Westjordanland

Junge Palästinenser proben den Aufstand

Tarek (links) und seine Freunde in Isawiya
Tarek (links) und seine Freunde in Isawiya © Foto: Torsten Teichmann
Von Torsten Teichmann · 08.10.2015
Vier junge Palästinenser wurden am Wochenende von israelischen Sicherheitskräften erschossen, darunter der 19-jährige Fadi Alloun. Er sei kein Attentäter, sagt sein Vater. Doch wie viele frustrierte junge Palästinenser glaubte auch Fadi, Israel reagiere nur noch auf Gewalt.
Trauer herrscht im Elternhaus der Familie Alloun. Vater Samir schleppt sich ins Wohnzimmer, wo seine Schwestern warten. Der 46-Jährige hat rot unterlaufene Augen. Sein Sohn Fadi sei kein Attentäter, sagt Samir:
"Das ist sehr schwierig für mich. Wegen dieses Hasses. Warum haben sie meinen Sohn umgebracht, was hat er sich zuschulden kommen lassen?"
Nach israelischer Darstellung soll Fadi einen 15-jährigen Israeli mit einem Messer verletzt haben. Ein Terroranschlag am vergangenen Sonntag in der Altstadt von Jerusalem.
Auf einem Handy-Video ist ein Mann zu sehen, der flieht. Das soll Fadi sein. Gefolgt von mehreren anderen Personen, die ihn jagen und rufen: Tötet ihn, zögert nicht, er ist ein Terrorist. Dann fallen die Schüsse.
Das Video steht im Netz. Und es hat auf palästinensischer Seite zur Eskalation beigetragen.
Samir Alloun, der Vater des ermordeten 19-jährigen Fadi
Samir Alloun, der Vater des ermordeten 19-jährigen Fadi© Foto: Torsten Teichmann
Junge Leute wollen etwas verändern
Eine neue, junge Generation von Palästinenser probe den Aufstand, sagt Ala Alazzeh. Er ist Anthropologe an der Bir Zeit Universität im von Israel besetzten Westjordanland:
"Palästinenser, die das Gefühl haben, sie können etwas verändern. Und Veränderung bedeutet für sie handeln. Die wollen nicht mehr auf die politische Führung oder die Weltgemeinschaft warten. Dieses Gefühl, etwas verändern zu können, ist sehr groß unter der jungen Bevölkerung."
Vom Widerstand gegen israelische Besatzung sprechen sie. Und glauben, Israel reagiere nur noch auf Gewalt.
Die israelische Regierung spricht vom Terror der Palästinenser gegen den Staat und seine jüdischen Bewohner. Und Ministerpräsident Netanjahu kündigt Härte an – wie im Stadtteil Isawija.
Issawija liegt hinter der Hebräischen Universität und gehört zu Jerusalem. Hier hatte Fadi Alloun mit seinem Vater gelebt. Seit Sonntag kontrolliert die israelische Armee die einzige Zufahrt. Die komplette Abriegelung ist offenbar wieder aufgehoben.
"Sie erlauben uns kein normales Leben"
Trotzdem habe er seit einer Woche keine Schule, erzählt Tarek. Denn die Schule liegt in der Altstadt von Jerusalem. Tarek ist 15 Jahre alt. Zu jung. Die Grenzpolizei lässt ihn und seine Klassenkameraden aus Sicherheitsgründen derzeit nicht passieren.
Tarek und Freunde:
"Die Besatzung ist auch schon zu unserer Schule gekommen. Mit Gummigeschossen, Blendgranaten und Tränengas. Sie erlauben uns kein normales Leben. Und um unseren Ärger zu zeigen, werfen wir Steine."
Die Schüler in Issawija sehen aus wie Fußballstars. Sie posieren für Bilder mit Motorrädern und sind westlich gekleidet. Aber im Kern habe sich nichts verändert, glaubt der Anthropologe Alazzeh:
"Die Jungen sehen modern aus, irgendwie anders. Aber sie sind im Kern wie jeder durchschnittliche Palästinenser. Und das ist ein wichtiger Punkt: Ganz normale Palästinenser nehmen sich wieder das Recht, politisch zu handeln."
Und zur Politik gehört für sie auch wieder Gewalt. Diese Erfahrung haben junge Palästinenser seit Beginn ihres Lebens gemacht. Deshalb lässt sich die gegenwärtige Eskalation womöglich nicht mit noch mehr Härte und Gewalt stoppen.
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