Westafrika

"Ebola ist noch nicht zu Ende"

Schüler in Monrovia (Liberia) waschen sich die Hände, um sich vor Ebola zu schützen.
Schüler in Monrovia (Liberia) waschen sich die Hände, um sich vor Ebola zu schützen. © dpa / picture alliance / Ahmed Jallanzo
Tankred Stöbe im Gespräch mit Dieter Kassel  · 02.04.2015
Die Menschen in Sierra Leone, Guinea und Liberia sind weiter von Ebola bedroht, warnt Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen. Er fordert internationale Unterstützung für den Wiederaufbau der Gesundheitssysteme in diesen Ländern.
Durch die Ebola-Epidemie seien die Gesundheitssysteme in Westafrika zusammengebrochen, sagte Tankred Stöbe, Präsident der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Sierra Leone, Guinea und Liberia seien bitterarme Länder, in denen die Krankenhäuser kaum noch funktionierten. Es fehle auch an Personal, seit rund 500 ärztliche Mitarbeiter an Ebola gestorben seien. Es handele sich um eine wichtige, langfristige Aufgabe, neues Krankenhaus-Personal auszubilden.
Jede Woche etwa hundert Neu-Infektionen
"Ebola ist noch nicht zu Ende", sagte Stöbe im Deutschlandradio Kultur. Die Lage sei zwar nicht mehr so schlimm wie im vergangenen Herbst, aber seine Organisation sei weiter sehr besorgt. "Es gibt jede Woche etwa hundert Neuinfektionen in den drei Ländern und das ist mehr, als es je bei einem der früheren Ebola-Ausbrüche gab." Es würden jetzt nicht mehr große Behandlungszentren benötigt, sondern kleine, flexible Teams, die dort hingingen, wo neue Ausbrüche der Epidemie seien. "Wir müssen uns stärker dort engagieren, wo Aufklärung nötig ist", sagte Stöbe. Es sei wichtig, Kranke aufzuspüren und sie zu informieren. Auch die Weitergabe von Informationen zwischen den betroffenen Ländern müsse besser funktionieren. "Es gibt noch viel zu tun, insofern können wir immer noch nicht entwarnen."
Hoffnung auf Impfstoffe und Medikamente
Stöbe forderte mehr Druck von Politik und Öffentlichkeit auf die Pharmaindustrie, damit sie sich der Ebola-Forschung stärker widme. "Wir haben recht früh gesagt, da muss viel gemacht werden, dass sowohl in Impfstoffe, aber auch in Medikamente gegen Ebola investiert wird, dort geforscht wird", sagte er. Die Impfstoffe seien inzwischen weiter in der Entwicklung.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: So sind Menschen, man gewöhnt sich an alles. Man gewöhnt sich auch an die Zahlen zu Ebola-Infektionen in Westafrika, und das gerade dann, wenn sie seltener genannt werden und die Anzahl der Neuinfektionen geringer scheint. 10.300 Tote, das ist die offizielle Bilanz der Epidemie in Westafrika bisher. Und das ist wichtig, das ist bisher, endgültig sind diese Zahlen nicht. Sowohl in Sierra Leone als auch in Guinea gab es gerade in den letzten 48 Stunden wieder Meldungen über Neuinfektionen, deshalb wurde sogar die Grenze zwischen beiden Staaten vorübergehend geschlossen. Und ein Impfstoff, der immun machen könnte gegen dieses Virus, der könnte jetzt zwar fast bereitstehen, aber eben wenn überhaupt, dann auch erst jetzt. Über den Stand der Dinge wollen wir jetzt mit Tankred Stöbe reden, er ist der Präsident der Organisation Ärzte ohne Grenzen. Guten Morgen, Herr Stöbe!
Tankred Stöbe: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Kann man denn im Moment wirklich sagen, das Schlimmste ist vorbei?
Stöbe: Nun, die Situation, wie wir sie im August, September, Oktober letzten Jahres hatten, so schlimm ist es nicht mehr. Aber wir sind weiterhin sehr besorgt, es gibt jede Woche etwa 100 Neuinfektionen in den drei Ländern und das ist mehr als es in je einem der früheren Ebola-Ausbrüche gab. Und das zeigt eben, Ebola ist noch nicht zu Ende. Und der Fokus verschiebt sich, wir brauchen jetzt nicht mehr große Behandlungszentren, wie wir sie noch vor ein paar Monaten gebraucht haben, wir brauchen jetzt kleine, flexible Teams, die dorthin gehen, wo neue Ausbrüche sind.
Wir müssen uns stärker auch noch dort engagieren, wo Aufklärung nötig ist, wo die Kontaktverfolgung möglich ist, also dass Ebola-Infizierte nachgespürt werden, aufgeklärt werden, behandelt werden. Das alles muss noch besser funktionieren, die Informationsweitergabe zwischen den Ländern muss besser werden. Es gibt noch viel zu tun, insofern können wir immer noch nicht entwarnen.
Kassel: Sie waren vor ungefähr drei Monaten im Januar das letzte Mal vor Ort. Hat sich denn auch die Einstellung der Menschen geändert, ist da vielleicht eine Normalität eingekehrt, die auch nicht nur gut ist?
Stöbe: Ja, es ist zweierlei. Einmal hat die Aufklärung nie so weit gegriffen, dass es, glaube ich, wirklich jeder vollständig verstanden hat, was Ebola ist und wie man sich selber schützen kann. Das muss weitergehen. Und gleichzeitig war natürlich dann eine große Sehnsucht der Menschen in Westafrika, dass sie irgendwann zurück zu einer Normalität kommen wollen. Das ist ja ein sehr künstliches Verhalten gewesen, dass man die engsten Angehörigen nicht mehr umarmen soll und nicht mehr waschen darf. Das sind zwei Faktoren.
Und natürlich sehen wir, dass diese Verhaltensänderungen, die ja vor allem in Freetown beziehungsweise in Monrovia, in der Hauptstadt von Liberia gegriffen hat, wo die Menschen nicht mehr behandelt werden konnten und tot auf den Straßen lagen im letzten Jahr, da haben sich Verhaltensänderungen gezeigt, in vielen anderen Bereichen aber noch nicht.
Schwache Gesundheitssysteme
Kassel: Was man deutlich gemerkt hat in diesen drei Ländern, wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise während der Epidemie, ist der doch eher schlechte Zustand des Gesundheitssystems. Und immer wieder wurde gesagt, wir müssen auch so schnell wie möglich ein vernünftiges Gesundheitssystem aufbauen in diesen Ländern. Hat das begonnen?
Stöbe: Ja, Herr Kassel, das ist ganz wichtig. Die waren ja vor Ebola schon schwach, die Gesundheitssysteme, das sind ja drei sehr bitterarme Länder. Und sie sind durch Ebola jetzt zusammengebrochen. Es gibt kaum funktionierende Krankenhäuser, die müssen rehabilitiert werden, die müssen neu aufgebaut werden. Es sind ja auch in diesen drei Ländern fast 500 Gesundheitsmitarbeiter durch Ebola ums Leben gekommen, das heißt, da ist eine unglaubliche Schwächung auch auf der Mitarbeiterseite, hat dort stattgefunden.
Und diese Menschen auch wieder zu gewinnen, zu trainieren, das sind alles große, wichtige, aber auch längerfristige Aufgaben, die aber notwendig sind, um eben auch normale, Nicht-Ebola-Patienten zu behandeln, also Kinder, die an Malaria erkranken, schwangere Frauen, die Hilfe brauchen. Das ist eine große Aufgabe, vor der wir auch mit Sorgen sehen, dass sie jetzt betrieben werden muss.
Kassel: Organisationen wie die Ihre und auch viele andere haben sich von Anfang an darüber – so darf ich das, glaube ich, nennen – beschwert, dass die internationale Hilfe relativ langsam angelaufen ist. Auch die Weltgesundheitsorganisation hat immer wieder gesagt, dass die Weltgemeinschaft eigentlich noch nicht begriffen habe, was für eine Krise sich da wirklich abspielt in Westafrika. Ist das im Grunde genommen immer noch so?
Stöbe: Ja, also, die WHO ist tatsächlich irgendwann spät dann aufgewacht, die Weltgemeinschaft hat dann auch reagiert, aber eben sehr, sehr spät und sehr langsam und unflexibel. Das hat ja dann erst im November letzten Jahres irgendwann begonnen. Ja, rückblickend muss man sagen, war das natürlich wirklich tragisch, da hätten viele Tausende Tote verhindert werden können. Die Hilfe ist jetzt da, aber natürlich muss sie weitergehen. Einmal noch in der Akutbehandlung, da ist weiterhin Hilfe nötig, aber wie wir besprochen haben, auch eben in der Wiederaufarbeitung oder der Stärkung dieser Gesundheitssysteme. Das schaffen diese drei Länder nicht von alleine oder selbstständig, da muss international die Hilfe kommen. Und das wird sehr umfangreich und auch noch länger sein müssen.
Vertrauenskrise der Patienten
Kassel: Haben denn die Leute in den Ländern – wir haben es ja erwähnt, Sie haben ja auch persönlich dort Erfahrungen gemacht – überhaupt noch ein Vertrauen in diese Hilfe und auch in ihre eigenen Gesundheitssysteme?
Stöbe: Ja, das ist auch wichtig, das ist eben verlorengegangen. Die Menschen haben sich natürlich auch gefragt, warum kann das sein, dass Ebola sich so ausdehnt und wir hier nicht gut informiert werden und auch nicht genügend Behandlungsbetten da sind. Also, die Menschen haben ja ... und das tun sie immer noch, kranke Ebola-Patienten werden immer noch versteckt zu Hause ... Also, dass die Menschen wieder Zutrauen haben und sagen, ja, wir vertrauen unserem Gesundheitssystem, wir bringen sie in die Krankenhäuser, das ist ja oft ein mindestens ähnlich großer Schaden wie jetzt der materielle, dass die Krankenhäuser nicht mehr existieren. Also, auch da muss ganz viel passieren, dass die Menschen sagen, ja, ich bin krank und ich gehe sofort zu einem Arzt oder in ein Krankenhaus.
Kassel: Natürlich haben die Menschen dort, aber auch die Menschen auf der ganzen Welt die ganze Zeit darauf gehofft, dass endlich ein Impfstoff zur Verfügung stehen könnte, der wirksam ist. Es gibt nun einen Impfstoff aus Kanada, bei dem – so lese ich das in den Meldungen – diese Hoffnung relativ berechtigt ist. Teilen Sie das?
Stöbe: Ja, wir haben ja recht früh gesagt, da muss viel gemacht werden, dass eben sowohl in Impfstoffe, aber auch in Medikamente gegen Ebola investiert wird, dort geforscht wird. Da ist auch dann spät, sind die Initiativen losgegangen. Die Impfstoffe sind tatsächlich weiter in der Entwicklung, wo wir hoffen, dass es dort eine erfolgversprechende Lösung gibt. Die haben wir aber noch nicht, wir versuchen gerade auch mit den Patienten, die wir dort haben, das gemeinsam zu testen, mit deren Einverständnis natürlich.
Wir hoffen, dass in den nächsten Wochen und Monaten dort Durchbrüche sind, sowohl was die Impfstoffe angeht, aber eben auch Medikamente. Da darf die Aufmerksamkeit und auch der Forschungswille auch der westlichen Welt nicht nachlassen. Es ist ja Thema des G7 auch, wo Frau Merkel ja sich engagiert. Also, das ist ganz, ganz wichtig, Ebola ist eine der vernachlässigten Krankheiten, da muss mit Hochdruck weitergearbeitet werden. Und das zeigt eben auch, dass, wenn diese Krankheiten nicht beforscht werden, dann kann eben auch so was passieren wie Ebola, so eine tödliche Epidemie. Also, da muss alle Konzentration und eben auch der Wille der Pharmaindustrie sehr stark anhalten.
Kritischer Dialog mit der Pharmaindustrie
Kassel: Allerdings wissen wir auch alle selbst, das 753. Mittel gegen Bluthochdruck bringt mehr Geld als das erste erfolgreiche Mittel gegen Ebola. Glauben Sie, dass wirklich ein Umdenken jetzt eingesetzt hat durch diese Epidemie?
Stöbe: Nun, Sie haben den Mechanismus beschrieben, genau den wird man nicht umdrehen können. Die pharmazeutische Industrie, mit der wir ja auch immer in kritischem Dialog sind, die gucken natürlich nicht primär auf das Wohl der Welt, sondern auf ihre Bilanzen. Und da ist aber ein Umdenken und natürlich auch Druck von der Politik nötig und von der Öffentlichkeit, dass da gesagt wird, ihr müsst nicht nur für die eigenen Statistiken und Bilanzen arbeiten, sondern eben für das Wohl der Menschen und vor allem auch der Menschen, die eben in solchen Gegenden leben, wo keine kaufkräftige Kundschaft ist, aber die eben solche großen Epidemien dann entfachen können. Da hoffen wir, dass jetzt bald Impfstoffe und Medikamente marktreif werden können.
Kassel: Sie ist noch nicht vorbei, die Ebola-Epidemie in Westafrika, sagt Tankred Stöbe, Präsident der Organisation Ärzte ohne Grenzen. Herr Stöbe, vielen Dank für das Gespräch!
Stöbe: Ich danke Ihnen, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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