Werkvertragsarbeiter

Eingekaufte Menschen

Ein Arbeiter in einem Schlachtbetrieb
Ein Arbeiter in einem Schlachtbetrieb © pic
Von Godehard Weyerer · 28.12.2014
Die missbräuchliche Ausnutzung bulgarischer und rumänischer Arbeiter in der niedersächsischen Fleischindustrie - das ist nicht nur ein fiktives Thema im "Tatort" der ARD - in Niedersachsen ist es Realität. In Vechta nun regt sich Widerstand.
Das Offizial in Vechta, die Außenstelle des Bistums Münster. Im Arbeitszimmer von Prälat Peter Kossen steht das Fenster offen. Draußen schlägt die Kirchturmuhr die volle Stunde.
"Ich persönlich bin zum ersten Mal vor gut zwei Jahren damit konfrontiert worden beim Schlachthof 'Danish Crown', wo mich jemand aufmerksam machte auf die Arbeitsverhältnisse dort, auf die Unterbringung der Menschen, auf Schikane, wie er das darstellte, der Menschen dort, gerade der Arbeitsemigranten."
Danish Crown, einer der weltweit größten Schlachtbetriebe, hat im Oldenburger Land zwei Produktionsstandorte. Der dänische Konzern ist wie die übrige fleischverarbeitende Industrie vor Jahren dazu übergangen, die Arbeit im Betrieb an Subunternehmer weiterzugeben. In den Schlachthöfen arbeitet angelerntes Personal, das die Lohnunternehmer in Rumänien oder Bulgarien anheuern und nach Deutschland bringen. Die Arbeitskosten in Deutschland sind niedriger als in Dänemark. Deutschland – das Billiglohnland, empört sich Prälat Kossen, ohne sein einnehmend freundliches Lächeln zu verlieren. 46 Jahre alt ist er, von drahtiger Statur, das graumelierte Haar ist millimeterkurz geschnitten, das weiße Hemd bis oben zugeknüpft, die Brille ist rahmenlos.
"Es ist ja so, dass die Region grundsätzlich erst mal mit der Fleischverarbeitung und Fleischveredelung groß und stark geworden ist- Das war, glaube ich, auch lange im Bewusstsein der Bevölkerung und hat die Leute abgehalten, überhaupt was zu unternehmen, weil sie gesagt haben: 'Das ist so das Rückgrat der Wirtschaft hier.'."
"Hallo Frau Reim. Guten Morgen!" Daniela Reim hat sich für heute Vormittag bei Prälat Kossen angemeldet. Seit acht Monaten arbeitet die gebürtige Rumänin, die vor 14 Jahren nach Deutschland kam, in der Oldenburger Beratungsstelle für mobile Beschäftigte. Allein in Niedersachsen schätzt man die Zahl der Wanderarbeiter aus Südosteuropa auf 10.000. 6.000 von ihnen schuften im Süden des Oldenburger Lands, in der Hochburg der deutschen Schlachtindustrie.
Unterschlupf im Zimmer rechts von der Treppe
Daniela Reim erzählt Prälat Kossen von einem Rumänen, der sie heute Früh angerufen hat. 1.500 Euro Monatslohn war ihm in Rumänien in Aussicht gestellt worden. Einen Monat war er in Deutschland, gearbeitet hat er nur an 14 Tagen, er schlief auf einer Matratze, musste dafür 150 Euro zahlen, die ihm vom Lohn gleich abgezogen wurden. Sein Pass lag drei Wochen beim Lohnunternehmer. Jetzt hat er die Nase voll und will zurück.
- "Wir haben jetzt ein Problem Prälat Kossen. Der ist da, wir haben die Unterkunft bekommen von der Stadt Vechta. Er braucht heute 110 Euro für das Ticket. Wie besorgen wir das Geld für ihn? Wir haben keinen Topf für solche Fälle in der Beratungsstelle."
- "Ja, gebe ich Ihnen gleich mit."
- "Heute abend kommt der Bus, der holt ihn ab. Er braucht nur die 110 Euro."
- "Ja, ja."
- "Super, vielen Dank."
- "Ich hole Ihnen mal das Geld."
Kurz hinter der Ortsausfahrt von Vechta steht direkt an der vielbefahrenen Bundesstraße 69 ein kleines Haus; die Eigentümer hatten es wohl bereits vor längerer Zeit wegen des Straßenlärms verlassen. Der Putz bröckelt, in die braune Haustür sind kleine Milchglasfenster eingelassen, die Jalousien sind heruntergelassen.
"Moin. Ist da jemand?"
Im Zimmer rechts von der Treppe hat der Rumäne letzte Nacht Unterschlupf gefunden. Daniela Reim überreicht ihm das Geld für das Busticket. Er bedankt sich. Sichtlich unwohl fühlt er sich in seiner Situation als Bittsteller. 40 Jahre alt ist der Rumäne, im blauen Trainingsanzug steht er im Zimmer, die schwarzen Haare ungekämmt. Das Fenster zur Straße ist eingetrübt, der Verkehrslärm dringt in das kahle Zimmer. Von der Decke baumelt eine Glühbirnen-Fassung ohne Lampenschirm. Die Zimmertür aus blankem Aluminium ist nicht gestrichen, die Türklinke aus billigem Plastik. Dort, wo er vorher gewohnt hat, war es noch schlimmer – die Matratze lag auf dem Boden, die Wände waren voller Schimmel.
Euro-Paletten musste er reparieren. 35 Cent bekam er pro Stück. Er schaffte bis zu 200 am Tag. Durchschnittlich 60 Euro verdiente er in zehn Stunden Arbeit. Abgezogen wurden ihm neben den 150 Euro für den Schlafplatz noch weitere 110 Euro für den Transport nach Deutschland.
- "Pawel, … tschau."
- "Dass man mit Menschen so umgeht?"
Daniela Reim fährt zurück nach Vechta, bringt Prälat Kossen die Quittung.
Er ist in der Gegend groß geworden, war viele Jahre Pfarrer im Rheinland und zutiefst erschrocken über die Zustände, die er nach seiner Rückkehr ins Oldenburger Land vorfand.
Sukzessive wurde die Stammbelegschaft verdrängt
"Ich weiß, in meiner Kinderzeit, also in den 80er Jahren, aus der Nachbarschaft, aus der eigenen Verwandtschaft, dass Leute auf dem Schlachthof arbeiteten und immer gesagt wurde: Die machten eine schwere, harte Arbeit, aber die Arbeit werde gut bezahlt. Und das war auch so. Ein Onkel von mir, der hatte fünf Kinder, die haben ein Haus gebaut, der war Alleinverdiener und das ging. Eine schwere Arbeit, die anständig bezahlt wurde. Das hat sich verändert mit der Möglichkeit, Menschen aus Südosteuropa einzukaufen, die hier dann zu ganz anderen Konditionen bereit waren zu arbeiten, mit denen man dann sukzessive Stammbelegschaften verdrängt hat."
Peter Kossen scheut nicht davor zurück, von der Kanzel auch die anzusprechen, die ihre heruntergekommenen Immobilien für viel Geld an südosteuropäische Arbeiter vermieten.
"Also, manche reden sich das auch schön – damit: Ich biete den Leuten für 110 Euro eine Wohnmöglichkeit an. Dass das dann aber bedeutet: in 6-Bett-Zimmern oder heruntergekommenen Wohnungen, das wird ausgeblendet oder man redet sich das schön, dass man sagt: 'Naja, in Rumänien und Bulgarien sind die das gewohnt.' Das habe ich auch schon öfters gehört. Die leben in großen Familienzusammenhängen und leben mit vielen Leuten in einem Zimmer. Da wird das dann so auf dieser Schiene verhandelt: 'Sie kennen das nicht anders, sie wollen das auch gar nicht anders, dafür haben sie es billig.' In meinen Ohren ist das menschenverachtend."
Prälat Peter Kossen wird in der Fleischindustrie argwöhnisch betrachtet. Von der Landjugend etwa, die ihm vorwirft, die Region schlechtzureden. Dabei ist es doch aber Peter Kossen, der Prälat, dem der schlechte Ruf der Gegend große Sorge bereitet.
"Ich ziehe ja so ein bisschen über Land, das kann ich in meiner Aufgabe auch, so dass ich immer wieder in Gemeinden komme, wo ich eingeladen werde, darüber etwas zu sagen. Da stoße ich schon auf offene Ohren, den Eindruck habe ich schon, dass Leute – nicht überall – aber doch in größerer Zahl bereit sind, sich sensibilisieren lassen. Warum das so lange nicht passiert ist, darüber kann man sich schon Gedanken machen. Das hat ja jahrelang, im Grunde genommen 20 Jahre lang, funktioniert."
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