Werkstattgespräch mit Nico Bleutge

Wie ein Gedicht entsteht

08:37 Minuten
Ein Haufen von beschriebenen und zerissenen Papierschnipsel liegt übereinander.
Beim Schreiben von Gedichten muss nicht alles auf Anhieb gelingen - oft landen Ideen und Ansätze auch im Papierkorb. © imago / Chromorange
Nico Bleutge im Gespräch mit Frank Meyer · 12.08.2019
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Präzise Sprache, Rhythmik, Ausdrucksstärke: Lyrische Texte gelten vielen als die Königsdisziplin des kreativen Schreibens. Muss man dafür ein Genie sein? Oder ist Dichten auch ein Frage von Technik und guter Recherche?
Wie kommt der Dichter zum Gedicht? Fließen die Wörter und Sprachbilder aus ihm heraus? Oder steckt in einem Gedicht vor allem prosaische Arbeit, viel Recherche, viel Versuch und Irrtum? Von beidem etwas, erklärt der Dichter Nico Bleutge am Beispiel seines Gedichts "Grasen mit Grisu" aus dem Band "nachts leuchten die schiffe".

Aus: grasen mit grisu

weiß ist die wiese. weiß
ist hier alles, alles
ist da. der hund, der rote hahn

und du. heute lernen wir
wie wir mit drachenspucke feiern:
drei teile rum, drei teile

frisches feuergras und dann
die heiße luft einlassen. nichts
von gewühle. nichts von feld

ein rechtes drachenherz
muß höher schlagen. handedel,
feuerfest. das dürft ihr

nicht von mir verlangen

Zunächst: Wie kommt man überhaupt darauf, ein Gedicht über einen Zeichentrickdrachen zu schreiben? Letztlich über Eduard Mörikes Ballade "Der Feuerreiter", sagt Bleutge: "Eine Sagengestalt, die in der Lage ist, Feuer zu ahnen, vorherzusehen und dann durch Zauber und Bannsprüche das Feuer in Schach zu halten."
Von dort ist der Weg zu Grisu nicht mehr weit: Denn der kleine Drache will nicht wie andere Artgenossen Feuer speien, sondern er will Feuerwehrmann werden.
Draghetto Grisu, aka: Grisu der kleine Drache aus der Zeichentrickserie; Italien 1972
Grisu, der kleine Drache, will Feuer löschen, anstatt welches zu machen - und ist so zur Inspirationsquelle für ein Gedicht geworden.© imago stock / TBM
Bleutge kennt die Zeichentrickserie schon aus seiner Kindheit in den 70er-Jahren und hat sie sich jetzt noch einmal über Youtube angeschaut. "Ich habe mir die Folgen sehr intensiv angesehen und dann überlegt, was kann ich damit machen?", so der Lyriker.
Beim Schreiben sei er dann Assoziationen, Wortklängen und Feuerbildern gefolgt. Am Anfang aber stehe eine "sehr starke Recherche", betont der Dichter:
"Ich gucke mir sehr viel Material dazu an, ich sammle Sprachteilchen, ich habe mir in dem Fall die Folgen genau angehört und geguckt: Wie sprechen eigentlich die Figuren? Habe mir Ausschnitte und kleine Zitate angefertigt in Listen. Das ist das Material, das ich immer zum Schreiben brauche."

"Eine Art Selbstversenkung"

Das Material macht sich dann mitunter auch selbständig: "Dann gibt es Momente, in denen man im Schreiben drin ist. Das ist wie so eine Art Selbstversenkung, in der man trotzdem immer wieder die Möglichkeit hat, ganz bewusst auf den Stoff zurückzugreifen", so Bleutge:
"Die schönsten, die glücklichsten Momente sind die, in denen die Sprache wie von selber etwas zustande bringt und man plötzlich eine Querverbindung hat zu etwas, von dem man fünf Sekunden vorher noch keine Ahnung hatte, dass es würde entstehen können."

Nico Bleutge: "nachts leuchten die schiffe. gedichte"
Verlag C.H. Beck, 2. Auflage 2019
87 Seiten, 16,95 Euro

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