"Werde auf Deutschland tippen"

Martina Voss-Tecklenburg im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 15.06.2011
Die Chefredakteurin des Frauenfußballmagazins "FF" und Trainerin, Martina Voss-Tecklenburg, hält das deutsche Team für einen der Favoriten bei der FIFA Frauen-WM - auch wenn fünf, sechs andere Nationen "absolut das Potenzial haben, Weltmeisterinnen zu werden".
Liliane von Billerbeck: Fußball, das war die Männerdomäne. Seit die Frauen-Nationalelf Weltmeisterinnen geworden sind, da gilt das nicht mehr uneingeschränkt. Dennoch erleben wir dieser Tage eine Inszenierung von Weiblichkeit durch Fußballerinnen, als müsse diese Sportart verkauft werden als sinnlich, erotisch, glamourös, sexy - eben die schönste WM aller Zeiten.

Sabotieren die Fußballerinnen, wenn sie dabei mitmachen, nicht ihre eigene Sportart? "Wir wollen unseren Sport vermarkten und nicht unseren Hintern", hat mal die wohl bekannteste deutsche Spielerin Birgit Prinz gesagt. Ist Fußball also allein nicht weiblich genug? Martina Voss-Tecklenburg ist jetzt meine Gesprächspartnerin, sie hat viele Talente entdeckt, selbst lange gespielt und ist Chefredakteurin des Frauenfußballmagazins "FF" und ab 1. Juli auch Trainerin beim Bundesligisten FF USV Jena - und nun telefonisch zugeschaltet. Ich grüße Sie!

Martina Voss-Tecklenburg: Ja, schönen guten Morgen!

von Billerbeck: Müssen Frauenfußballerinnen, müssen Fußballerinnen noch immer beweisen, dass sie richtige Frauen sind?

Voss-Tecklenburg: Nein, also ich finde, das müssen sie überhaupt nicht beweisen, weil das, was sie auf dem Platz leisten, das zählt, und so wie jemand aussieht, ist eigentlich erst mal sekundär. Und ich bin auch im Moment ein wenig kritisch dieser ganzen Geschichte gegenüber, dass es eigentlich nur in eine bestimmte Richtung geht und dass man dabei den Sport aus meiner Sicht ein wenig vergisst.

von Billerbeck: Die Frauenzeitschrift "Brigitte" fotografierte die Kickerinnen der Nationalelf als Models für einen Elektrohändler, da werben Fußballerinnen zwar im Trikot, aber geschminkt und aufgehübscht, weil, so der Händler, weibliche Anmut und Schönheit kein Widerspruch zu sportlichen Erfolgen und Technik sind. Werden dadurch nicht die ganz alten Klischees verstärkt?

Voss-Tecklenburg: Nein, den Klischees möchte man ja eben entgegentreten, also es gab ja eben immer dieses Vorurteil, das sind alles Mannsweiber und die sehen alle nicht gut aus und da kann man nicht hingehen. Also diese Art von Werbung, die finde ich noch absolut in Ordnung, weil dort sicherlich die Frauen dort so dargestellt sind, wie sie auch im wirklichen Leben sind. Lira Bajramaj betont es ja immer wieder, dass sie eben nicht ungeschminkt aus dem Haus geht und dadurch auch nicht ungeschminkt auf den Fußballplatz. Ich finde auch, dass jede Sportlerin oder Fußballerin da ihre eigenen Grenzen finden muss, aber dieses Thema wird mir im Moment einfach zu groß gemacht, und da bin ich ein wenig kritischer.

von Billerbeck: Wir haben ja im "Playboy" auch durchaus sehr nackte Spielerinnen gesehen, da wird die Bayern-Spielerin Annika Doppler mit den Worten zitiert: "Fußballerinnen sind sehr durchtrainiert, sehen aber immer noch weiblich aus und oft auch sehr gut – ich lade alle Männer ein, sich bei einem Spiel live davon zu überzeugen." Da muss man sich doch eigentlich nicht wundern, wenn die Jungs auf den Rängen dann doch den Trikottausch fordern, oder?

Voss-Tecklenburg: Ja, ich glaube, das ist ein wenig unglücklich ausgedrückt, und die Annika Doppler hat das mit Sicherheit anders gemeint, weil das würde ja im Umkehrschluss heißen, dass sie sich dann auf dem Platz vielleicht noch auszieht und dann das noch mal beweist, was sie mit den Fotos schon gezeigt hat. Ich denke, sie hat es anders gemeint, dass man eben sagt, kommt zum Fußball, weil eigentlich ist die Fußballsportart attraktiv, und ihr könnt eure Vorurteile abbauen, dass hier eben auch ganz viele attraktive junge Frauen spielen. Es ist glaube ich ein Generationsthema, es ist ein Gesellschaftsthema – alle sollen immer bestmöglichst aussehen, und das hat eben jetzt diese Welle Frauenfußball auch erreicht.

von Billerbeck: Solche Körperinszenierungen, die hat es ja auch bei den Männern gegeben, wir erinnern uns an Fotos mit Oliver Bierhoff, Joachim Löw in körpernahen Hemden, an Ballack, Beckham, Ronaldo, die haben auch ihre wohlgeformten Körper präsentiert. Aber irgendwie scheint das noch viel, viel wichtiger zu sein jetzt. Heißt das, es ist ein entspannteres Verhältnis zum Körper, oder: Als Spielerinnen haben wir uns durchgesetzt, wir können euch ganz locker zeigen, dass wir auch ganz tolle Frauen sind?

Voss-Tecklenburg: Ja, ich denke, da spielt beides eine Rolle, und Sport und Erotik gehören ja auch irgendwie zusammen, ob das jetzt verschwitzte Männerkörper oder Frauenkörper sind, und das Thema ist anscheinend auch nicht zu trennen, und das eine ist mit dem anderen eben auch verbunden. Und ich bin ja auch froh, dass es auch tolle Bilder von den Männern gibt – ich habe immer gesagt, wenn die Frage kam, sollen die Frauen-Nationalspielerinnen sich nackt zeigen, dann kam meine Antwort: Ja, dann aber bitte mit der Männer-Nationalmannschaft zusammen.

von Billerbeck: Eine Birgit Prinz hat zu solchen Dingen meistens geschwiegen, auch als es mal eine Barbiepuppe mit ihrem Namen gab. Und wenn man sich jetzt aber die jüngeren Spielerinnen anguckt, dann wirkt das so, als nehmen die das als Chance, um zu zeigen, was sie haben. Ist das nun gut oder schlecht für den Frauenfußball?

Voss-Tecklenburg: Das weiß ich auch noch nicht genau, ob das gut oder schlecht ist. Wie gesagt, ich denke, es gibt eine Grenze, man darf es nicht nur darauf reduzieren, aber die jungen Mädchen gehen eben auch anders mit dem Thema um, sie beschäftigen sich auch viel intensiver mit dem Styling vor dem Platz. Ich habe ja selber noch mit Birgit Prinz zusammen gespielt und wir haben eine Minute vor dem Spiegel gestanden, damit die Haare nicht in die Augen fliegen beim Fußballspielen.

Die Mädels heute stehen viel länger vorm Spiegel, weil sie raus wollen, sie wollen gut aussehen, sie wissen aber auch, sie haben eine höhere Medienpräsenz, und der Fokus ist auf sie gerichtet, und da möchte man eben auch bestmöglich aussehen, und ich glaube, das spielt auch eine ganz große Rolle im Hinterkopf.

von Billerbeck: Nun gibt es ja den Satz: "Sie war jung und brauchte das Geld." Werbung bringt bekanntlich Geld. Was verdienen eigentlich Spielerinnen, wenn sie, sagen wir, Halbprofis sind?

Voss-Tecklenburg: Das ist ganz unterschiedlich, also Halbprofis sind ja fast nur ausschließlich die Nationalspielerinnen. Es gibt Spielerinnen in der Bundesliga, die haben den kleinsten Amateurvertrag, der liegt bei 250 Euro im Monat, und es gibt sicherlich ...

von Billerbeck: Das ist unter Hartz IV.

Voss-Tecklenburg: Ja, die müssen ja dann auch ihre duale Karriere machen und arbeiten und studieren gehen. Aber es gibt eben auch Spielerinnen, die mittlerweile davon leben können, aber sicherlich nicht in der Dimension, dass man nach dem Fußballspielen sagt, so, jetzt kann ich mich mal fünf Jahre auf die faule Haut legen, sondern unsere Sportart ist immer noch so, dass wir dual planen müssen, dass wir dadurch auch eine Persönlichkeitsentwicklung haben außerhalb des Platzes, und viele interessante Menschen mit interessanten Backgrounds finden.

von Billerbeck: Eine Persönlichkeitsentwicklung außerhalb des Platzes – das klingt ja ein bisschen so, als hätten die Männer das nicht, weil die verdienen ja genug Geld.

Voss-Tecklenburg: Ja, es wird ja immer so ein wenig unterstellt, dass man sagt, ja, die haben keine abgeschlossene Ausbildung, haben die Schule abgebrochen. Auch das hat sich ja Gott sei Dank geändert. Aber es ist trotzdem so, dass ja die Frauen in dem Bereich mehr leisten. Also ich kann es ja noch an mir festmachen, ich habe immer Vollzeit gearbeitet, habe meine Tochter alleine großgezogen und habe Leistungssport gemacht am Abend. Und man hat eben vorher schon seinen ganz normalen Alltag gehabt. Im Männerprofifußball ist es eben ungleich anders, dort ist der Fußball die Arbeit, der man nachgeht, und deshalb ist die Belastung sicherlich nicht ganz so hoch.

von Billerbeck: Aber viele Frauen wünschen sich doch auch, dass sie nur Fußball spielen können, also da gibt es doch schon bei den Mädchen ganz viele, die diesen Traum haben. Die müssten doch dann auch besser bezahlt werden.

Voss-Tecklenburg: Ja, aber das wünschen sich fast alle, ausschließlich, und wenn man dann eine Bundesligamannschaft hat mit fünf, sechs Nationalspielerinnen, die sich eben dieses erlauben können, können auch mehr trainieren, und die anderen können es nicht, dann gibt es auch innerhalb so einer Mannschaft schon mal Probleme. Aber wir haben eben in der Liga speziell noch nicht den finanziellen Background in den Vereinen, dass der Verein die Möglichkeit schaffen kann, allen Spielerinnen zumindest ein semiprofessionelles Dasein zu finanzieren. Und da müssen wir noch ganz viel arbeiten, damit wir das erreichen, weil dadurch bekommt man natürlich auch automatisch wieder ein höheres Leistungsniveau.

von Billerbeck: Also ist es noch nötig, dass die Spielerinnen Werbung machen und damit auch ein bisschen Geld einspielen. Was hält denn eigentlich der DFB von all diesen ziemlich sexualisierten Darstellungen des Frauenfußballs und seiner Spielerinnen?

Voss-Tecklenburg: Das weiß ich gar nicht so ganz genau, ich glaube, da gibt es auch unterschiedliche Meinungen.
von Billerbeck: Wird das nicht diskutiert?

Voss-Tecklenburg: Ja, ich habe jetzt persönlich noch nicht die Chance gehabt, mit jemandem zu diskutieren. Ich glaube, da gibt es eben auch unterschiedliche Meinungen: Die einen finden das gut, das andere gehört dazu, der DFB hat ja auch viel im Bereich Marketing jetzt gesteuert und die Nationalspielerinnen unterstützt. Aber wie gesagt, wo da die Grenze ist, das muss ja auch jeder für sich selber entscheiden.

von Billerbeck: Gehen wir mal weg vom Äußeren und mal hin zum Fußball, da gab es so eine schöne Äußerung von Alexandra Popp, die ist Nationastürmerin, und sie hat lange als Mädchen mit Jungen trainiert, und auf die Frage, ob sie da "wie ein Kerl", Zitat, spielen musste, gesagt, sie sei athletisch im Nachteil gewesen und hätte als Mädchen viel abgezockter spielen müssen. Stimmt das?

Voss-Tecklenburg: Ja, das stimmt, das ist bei vielen Mädchen so, die diesen Weg gegangen sind, weil, ich sage mal, im Alter von 15, 16 Jahren ist die körperliche Entwicklung dann so, dass es nicht mehr gleich ist, dass man das Laufduell nicht mehr gewinnen kann, und dann muss man sich eben taktisch klüger verhalten, abgezockter sein, und ich habe Alex Popp ja drei Jahre trainieren dürfen, und ich weiß, dass sie da eine Menge gelernt hat und es hat ihr nur geholfen eben in ihrer Karriere, heute eine so gute Spielerin zu sein.

von Billerbeck: Sie hat ja als Mädchen auch gesagt: "Ich hatte keinen Bock auf Mädchenfußball". Was war so schlimm daran?

Voss-Tecklenburg: Das war einfach die Leistungsfrage. Der Mädchenfußball war da noch nicht so stark, die Alex ist dort nicht gefordert worden, weil sie überragend gut war, und hat deshalb ihren Leistungsvergleich bei den Jungs gesucht. Und wir gehen ja heute zum Beispiel auch hin, dass ganze Mädchenmannschaften in einer Jungenstaffel spielen, also elf Mädchen eben gegen elf Jungen, um sich dort zu vergleichen und wir immer die optimale Talentförderung finden, weil Unterforderung ist eben so hemmend wie Überforderung, und dann muss man dann immer die Balance finden und den möglichst besten Weg.

von Billerbeck: Das heißt, die Mädchen sind unterfordert, wenn sie mit den Jungs spielen, oder wenn sie mit Mädchen spielen?

Voss-Tecklenburg: Das ist unterschiedlich, das kommt auf die Liga an, aber in der Regel, wenn man starke, sehr ausgeprägt starke Mädchenmannschaften hat, die in einer Mädchenliga spielen, dann kommen sehr hohe Ergebnisse oft zustande, es gibt eine dominante Mannschaft, und dann ist das für die Entwicklung nicht ganz so optimal, als wenn dann diese Mädchenmannschaft in einer Jungenstaffel spielt gegen Jungenmannschaften, wo sie sich jede Woche beweisen müssen, um eben dann auch die Stärke zu gewinnen im Training und im Wettkampf, die man nachher braucht.

von Billerbeck: Also doch - die Männer, das Maß aller Dinge?

Voss-Tecklenburg: Ja, manchmal schon, aber nicht uneingeschränkt.

von Billerbeck: Zum Schluss Ihr Tipp für die Frauenfußball-WM, wer wird gewinnen?

Voss-Tecklenburg: Ja, ich muss ja und will und werde auf Deutschland tippen, aber ich weiß auch, dass es fünf, sechs andere Nationen gibt, die absolut das Potenzial haben, Weltmeisterinnen zu werden, und deshalb freue ich mich darauf, auf eine spannende WM, und kann nur jedem empfehlen: Gehen Sie hin.

von Billerbeck: Sagt Martina Voss-Tecklenburg, Frauenfußballtrainerin, selbst Spielerin und als solche als Trainerin ab Juli in Jena. Ich danke Ihnen!

Voss-Tecklenburg: Gerne!