Werbung wirkt!

04.05.2009
Werbung wirkt! Schon der erste Eindruck, den der Leser vom Buch bekommt, beweist das: Die Schrift des Titels "Wer trinkt die wächserne Kaulquappe?" auf dem Cover ist typografisch so gestaltet, dass sie an die Marken Nivea, Kinderschokolade und Coca-Cola erinnert. Aber Werbung kann noch mehr, wie die kleine Kuriositätensammlung von Wolfgang Hars auf unterhaltsame Weise belegt.
Zum Beispiel moderne Legenden schaffen. Der typische Weihnachtsmann mit weißen Rauschebart und – Achtung! – rot-weißer Kutte verdankt sein Aussehen einer Kampagne von Coca-Cola aus den Dreißigerjahren. Lila Kühe sind zwar Unfug, weiß jeder, aber wem war klar, dass auch das Verkaufsargument "reine Alpenmilch" großer Humbug ist: Schokolade wird aus Magermilchpulver hergestellt. Nur so lässt sich garantieren, dass jedes Exemplar einer Marke immer gleich schmeckt.

Oder wie der Werber sagen würde: unverwechselbar. "Alpenmilch hat jedenfalls genauso viel von den Alpen gesehen wie eine Wagner-Pizza vom Steinofen", resümiert Wolfgang Hars das typische Exemplar aus dem Märchenreich der Werbung, in dem auch die Fantasiefrüchte Piemontkirsche, Byzantiner Königsnüsse oder die Carmagnola-Minze wachsen. Neben diesen Beispielen mehr oder weniger gelungener Volksverblödung hat Hars jede Menge skurriler Missgeschicke zusammengestellt.

Leider überzeugt seine Kategorisierung nicht, sondern riecht ihrerseits ein bisschen nach Werbefinte. Die Einteilung der insgesamt rund einhundert Beispiele in neun Einzelkapitel täuscht unnötigerweise Vielfalt vor. Drei Abschnitte hätten zur Orientierung ausgereicht: "Mythen", "Verschwörungstheorien" und "Versteckte Botschaften" gehören ebenso zusammen wie "Namenspannen", "Peinliche Autonamen" und "Übersetzungsfehler".

Diese Missgeschicke erweisen sich als besonders fruchtbar, gut ein Drittel der Beispiele stammt aus diesem Bereich. Es sind die besten. Eine japanische Firma taufte ihr Babypuder "Skinababe" – was in angloamerikanischen Ländern wie "enthäute ein Baby" klingt; ein britischer Soßenfabrikant versuchte mit einer neuen Kreation in Indien Fuß zu fassen, deren Name im Dialekt eines Bundesstaates wörtlich "Arsch" bedeutete. Die Soße wurde zurückgezogen.

Namensgeber der "wächsernen Kaulquappe" im Titel war der angeblich erste Versuch von Coca-Cola, sein Produkt lautlich entsprechend ins Chinesische zu übersetzen. Eine Legende, die nach Recherchen des Autors nur zum Teil der Wahrheit entspricht. Hars beschränkt sich nicht darauf, lustige Peinlichkeiten oft hoch bezahlter Marketingexperten zu erzählen. Jede Anekdote erhält von ihm ein Wahrheitssiegel. Falsch ist zum Beispiel die weit verbreitete Legende, die Fernsehsender drehten in den Werbepausen den Ton lauter. Das aus den Fünfzigerjahren stammende Axiom "sex sells" ist insofern falsch, als es nicht funktioniert.

Studien zeigen, dass Sex in der Werbung vom Produkt ablenkt, und zwar bei Mann und Frau gleichermaßen. Bei den vielen Verschwörungstheorien, die seltsamerweise gerade in der Tabakindustrie prächtig gedeihen, beweist das Buch des ehemaligen Werbers Hars geradezu aufklärerisches Potenzial. Für sie gilt das Gleiche, was der Autor lakonisch über die angeblich so gut gehütete Rezeptur von Coca-Cola schreibt: "Besonders ist […] nicht die Formel, sondern nur der Zirkus, der um sie gemacht wird."

Aber genau um den geht es den Marketingabteilungen. Dass Aufmerksamkeitsmaximierung durch Promis nicht dem Produkt hilft, sondern nur dem Promi, ist eine Erkenntnis, von der man sich wünscht, ihrer würde nicht nur das Zielobjekt Konsument teilhaftig, sondern auch der Schütze Produzent – dankbar sähen wir womöglich einer großen Bildschirmbefreiung entgegen, die uns zukünftig alle Jauchs, Kerners und Beckenbauers erspart – zumindest in den Werbepausen.

Rezensiert von André Hatting

Wolfgang Hars: Wer trinkt die wächserne Kaulquappe? Mythen, Märchen, Missgeschicke aus der Welt der Werbung
Rowohlt Hamburg, 2009
192 Seiten, 7,95 Euro