Werbewirtschaft klammert Ältere als Zielgruppe aus

Moderation: Nana Brink · 04.04.2006
Obwohl die Gesellschaft immer älter wird und die kaufkräftigste Gruppe die Generation der über 50-Jährigen ist, hält die Werbewirtschaft an dem Dogma fest, dass nur die 14- bis 49-jährigen Konsumenten empfänglich für Werbung seien. Horst Röper vom Formatt-Medieninstitut in Dortmund glaubt, dass in der Werbewirtschaft nur allmählich ein Umdenken stattfindet. Werbung müsse in Zukunft gezielt auf Älteren ausgerichtet sein.
Brink: Die Gesellschaft wird immer älter, aber das Fernsehen scheint darauf keine Rücksicht zu nehmen. Zwar werden die Zuschauer immer älter, aber immer noch wollen die Sender vor allem junge Zuschauer. Dabei geht dies an der Realität vorbei, - und die Sender wissen das auch. Vor zwei Jahren gab es schon eine Studie für Sat1, Pro Sieben und RTL, die zeigte, das über 50-Jährige durchaus noch für Werbung "empfänglich" sind; dennoch bleiben die Werbetreibenden dabei: Nur die 14- bis 49-Jährigen könnten lustvoll konsumieren, heißt es in der Branche. Wir sind jetzt verbunden mit Horst Röper, Leiter des Formatt-Medieninstituts in Dortmund.

Röper: Ich grüße Sie.

Brink: Herr Röper, woher kommt denn dieser unerschütterliche Glaube, warum hält die Branche dann so an der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen fest?

Röper: Nun, die Werber, insbesondere die Werbeagenturen, gehen davon aus, dass nach wie vor die alte These der Werbepsychologen stimmt, dass über Werbung eben nur das Konsumverhalten der bis zu 49-Jährigen beeinflussbar sei. Das ist die entscheidende Grundlage für die Werbeaktivitäten und für die Werbeschaltungen und insofern sind davon dann natürlich auch in Sonderheit privater Hörfunk, privates Fernsehen und andere werbefinanzierte Medien abhängig. Sie können also sozusagen an die wertende Wirtschaft nur die Zielgruppe bis 49-jährig verkaufen, interessieren sich von daher eben auch nicht für die Älteren.

Brink: Aber die Medien haben ja, also die TV-Sender, haben ja selber eine Studie gemacht, in dem sie das eigentlich widerlegt haben.

Röper: Ja sicher, die privaten Sender hätten natürlich großes Interesse daran, diese Zielgruppe auszuweiten, denn dann könnten sie eben auch die Preise für ihre Werbung steigern, aber die Webeagenturen machen dies nicht mit. Sie sagen eben nach wie vor, unsere alte These ist richtig. Ein Konsumverhalten über Werbung lässt sich eben nur steuern bis zu einem Alter von 49. Ältere Mitbürger, die gleichwohl, wie Sie ja schon gesagt haben, über zunehmend freie Gelder verfügen, konsumfreudig sind, zahlenmäßig immer stärker zunehmen in dieser Gesellschaft, sind eben über Werbung in ihren Konsumverhalten nicht zu stimulieren. Sie ändern manchmal auch ihr Kaufverhalten, es ist nicht so, dass Ältere sehr markentreu sind, sondern sie ändern durchaus auch ihr Kaufverhalten, aber eben insbesondere dann, wenn sie von Jüngeren aus der Familie, aus dem Umfeld auf ein neues Produkt aufmerksam gemacht werden. Nicht über Werbung.

Brink: Dann geht also der Schwarze Peter zurück an die Werbeagenturen?

Röper: Ja, in der Tat. Denn die beharren seit nun Jahrzehnten auf dieser These, dass man eben mit Werbung Ältere in ihrem Konsumverhalten kaum beeinflussen kann, und die privaten Fernsehsender haben versucht dieses zu ändern, auch Verlage, Zeitschriftenverlage haben das versucht, immer wieder unter neuen Slogans, etwa wie Best Ager, also für die über 50-Jährigen, aber all das eben hat bislang eben nicht gefruchtet.

Brink: Es ist ja schon absurd, dass die 49-, 50-Jährigen schon, also, unter diese Kategorie fallen, und das seit Jahrzehnten, wie Sie eben gerade gesagt haben, das Bild des 50-Jährigen hat sich doch enorm gewandelt in den letzten drei Jahrzehnten.

Röper: Ja, in der Tat, das sehe ich auch so. Mich überzeugt diese These der Werbewirtschaft auch nicht. Aber für die Medienschaffenden, für die Medienindustrie, gilt natürlich das als richtig, was die Werbewirtschaft will. Denn sie verkaufen ja Publika eben an die Werbung. Das ist das Geschäft des Privatfernsehens und dementsprechend muss man sich eben auch ausrichten nach den Wünschen der Werbung und das geschieht eben nach wie vor.

Brink: Es gibt also eine direkte Abhängigkeit. Das heißt, die Medienagenturen müssten ihr Verhalten, oder ihre Analyse ändern, auf dass die TV-Sender das auch in ihren Einkäufen der Werbung machen könnten?

Röper: Ja, in der Tat, denn sie leben ja allein von dem Verkauf der Werbung und insofern gelten die Setzungen der Werbewirtschaft für sie, aber allerdings natürlich nur für die privaten Sender, die öffentlich-rechtlichen können sich gleichwohl eben für die 50-Jährigen und die Älteren interessieren. Das können die privaten Sender nicht. Und sie haben ja auch schon wiederholt Sendungen abgesetzt, die zwar eine hohe Quote erreichten, aber hinter dieser Quote steckten sozusagen die falschen Zuschauer. Also die 50-Jährigen und älter, eben jenes Publikum, das die Privatsender eben nicht weiter verkaufen können an die werbende Wirtschaft, und dann sind eben solche Sendungen abgesetzt worden.

Brink: Hat das Marketinginstrument Quote dann nicht ausgedient?

Röper: Tja, eben noch nicht, weil insbesondere diese Altersdifferenzierung eine ganz wesentliche ist und die Agenturen daran festhalten. Man sieht allerdings, es bröckelt etwas, weil eben die Gruppe der über 50-Jährigen eben immer größer wird, muss sie natürlich irgendwann auch relevant werden für die Werbung. Es wird also darauf ankommen, dass den Werbern einfällt, wie kann man denn diese Gruppe auch mit Werbung erreichen und sie in ihrem Konsumverhalten eben steuern, manipulieren.

Brink. War die Quote je ein Abbild der Gesellschaft? Das kann man ja jetzt sehr in Frage stellen doch, nicht?

Röper: Nein, das war sie sicherlich nie, sondern hinter der Quote stecken dann natürlich sehr unterschiedlich Teilgruppen der Gesellschaft. Das ist klar, denn gerade die Fernsehquote, die ja vielfach sogar in der Presse erscheint, ist nicht die Quote, die der Gesamtgesellschaft entspricht, sondern vielfach jene eben zwischen 14 und 49, also diejenige, die eigentlich nur die Werber interessieren sollte, aber nicht die Öffentlichkeit.

Brink: Haben Sie irgendwelche Anzeichen dafür, dass in Werbebranche ein Umdenken stattfindet, langsam und allmählich, so angesichts der 49-Jährigen?

Röper: Ja, man sieht ja schon, dass wir inzwischen auch Werbung haben, die sich ganz gezielt auch an Ältere wendet, das hat es immer auch gegeben, nur sie war eben minimal. Sie fiel nicht auf.

Brink: Ja, das waren dann immer so die Lebensversicherungen, oder die Säfte, die man unbedingt trinken sollte, oder irgendwelche Pillen ...

Röper: Ja, oder die berühmte Kukident-Werbung, also diese Kukident-Generation. Inzwischen sehen wir das mehr. Zum Beispiel, ein Leben ohne Treppen und ähnliches, also ganz gezielte Werbung für ältere Leute. Aber quantitativ ist es eben immer noch randständig, das Gros zielt eben ab auf die Gruppe bis 49.

Brink: Unumstritten scheint ja, dass sich die Medienlandschaft in den nächsten Jahren auch dramatisch ändern wird, nicht nur bei der Einschätzung der Zielgruppe, gerade findet eine große Fernsehmesse in Cannes statt und alles spricht von der Verschmelzung von Computer, Fernsehen und Handy. Dann wieder auf die Quote bezogen gefragt, wer wird denn dann bestimmen, was im Fernsehen läuft, der Zuschauer?

Röper: Also, das tut er indirekt natürlich heute schon, insbesondere bei den privaten Sendern, weil die ja halt vom Zuspruch der Zuschauer abhängig sind. Aber wir bekommen eben ein neues TV-Angebot, will heißen, immer mehr Pay-TV-Sendungen, nicht nur eben Premiere oder künftig auch Arena, den neuen Fußballsender, sondern auch andere Programme werden umswitchen und werden versuchen, sich eben in Teilen von der Werbung unabhängiger zu machen, indem sie eben auch den Zuschauer zur Kasse bitten. Das ist sozusagen das US-amerikanische Modell.

Und dieses Modell wird jetzt auch stärker hier in Deutschland greifen. Wir werden demnächst ja die Bepreisung erleben beim Satellitenfernsehen. Dort wird also der Satellitenkunde für einzelne Programme zahlen müssen. Und so ähnlich wahrscheinlich auch bald im Kabel. Und das wird sich fortsetzen, also wir erhalten immer mehr Pay-TV-Programme. Und auch die Nutzung über Handy oder Computer wird natürlich von vornherein eine bepreiste sein, das heißt eben nicht mehr, so wie wir es heute verstehen, kostenlos für den Zuschauer, nur die Werbung zahlt, sondern demnächst zahlt eben auch der Zuschauer immer mehr für solche Fernsehangebote.

Brink: Haben solche Modelle dann überhaupt wirklich Zukunft? Bislang war das ja immer sehr kritisch. Man hat es bei Premiere gesehen, nicht immer waren die Leute bereit auch zu zahlen. Gibt es da auch ein anderes, ein Umdenken, meinen Sie das, bei den Konsumenten?

Röper: Nun, die Satellitenbetreiber können natürlich kein Interesse daran haben, nun ihre Kunden zu verschrecken und diese dann etwa zu zwingen, über hohe Preise nun zum Kabel zu wechseln, oder auf den terrestrischen Empfang über die Hausantenne, sondern man wird hier natürlich sehr kleinpreisig einsteigen, mit sehr geringen Preisen, die der Zuschauer dann vielleicht eben mitträgt, um dann sukzessive, wenn er erst mal an eine solche Bepreisung gewöhnt ist, eben auch die Preise zu erhöhen.

Brink: Ist das zum Beispiel eine Möglichkeit, diese ganzen Werbeeinnahmen zu umgehen, RTL hat das ja schon angekündigt, die wollen sich ja unabhängig machen, zumindest für fünfzig Prozent, von Werbeeinnamen in den nächsten Jahren.

Röper: Ja, das ist einer der Wege, eben über solche Pay-TV-Formen. Ein anderer Weg ist, dass wir wahrscheinlich noch mehr von solchen Call-In-Formaten hören, also Sendungen, in die sich Zuschauer qua Telefon einwählen können und dann eben sogar an der Sendung mitgestalten. Aber im Hintergrund tickt natürlich die Uhr für den Telefonanruf, das heißt, die Sender finanzieren sich dann eben zum Teil auch über solche Telefonanrufe. Natürlich auch über Teleshopping, auch über die Verwertung von Sendungen über Handy-TV, das findet in Amerika schon statt, das man zum Beispiel, ja von gut laufenden Serien, von nachgefragten Serien, kurze Episoden über Handy-TV ausstrahlt, bevor sie überhaupt im Fernsehen, im originären Fernsehen, gelaufen sind. Das natürlich dann immer gegen Preise.

Brink: Wie lange wird es dauern, bis wir auf dem Sofa sitzen und über Handy unser abendliches Programm zusammenstellen?

Röper: Also ich hoffe, dass wir beide diesen Tag nicht mehr erleben werden. Ich hoffe auch, die kommenden Generationen werden es so nicht mehr erleben, sondern das würde natürlich auch bedeuten, wenn wir den Zuschauer wirklich zum so genannten Programmdirektor machen, dass ein Teil der Integration, die ja Fernsehen in der Gesellschaft auch immer dargestellt hat, also als gemeinsames Erleben, als Basis für die Gespräche am nächsten Tag am Arbeitsplatz oder sonst wo, dass das entfällt.

Brink: Vielen Dank, Horst Röper, Leiter des Formatt-Medieninstituts in Dortmund.