"Wer sicher sein will, der muss schweigen"

Guido Strack im Gespräch mit André Hatting · 26.06.2013
"Es muss Stellen geben, an die Missstände gemeldet werden können, und die denen nachgehen", fordert der Vorsitzende des Vereins Whistleblower Netzwerk, Guido Strack. Bislang gebe es keine rechtliche Grundlage, die Whistleblower auch vor Repressalien schützt.
André Hatting: Whistleblower, das ist wörtlich genommen jemand, der in die Pfeife bläst, wie ein Polizist früher zum Beispiel, um auf einen Dieb aufmerksam zu machen. Der Whistleblower heute macht auf Missstände aufmerksam, zum Beispiel, dass Geheimdienste Millionen privater Daten auf der ganzen Welt ohne konkreten Verdacht und ohne Rechtsgrundlage ausspionieren. Edward Snowden hat das getan und wird dafür jetzt von den USA gejagt wie kein Zweiter.

Am Telefon begrüße ich jetzt Guido Strack, er ist Jurist, war früher in der EU-Kommission selbst ein Whistleblower und heute ist er erster Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerks. Guten Morgen, Herr Strack!

Guido Strack: Guten Morgen!

Hatting: Ein Whistleblower riskiert sehr viel, wie wir gerade bei Snowden erleben. Was ist die Motivation?

Strack: Ja, die Motivation ist im Regelfall die, den Missstand abzustellen, weil man sich für das Gute einsetzen will letztlich.

Hatting: Ist es so einfach, ist Snowden der Gute und die USA sind der Böse?

Strack: Wenn man auf die Motive guckt, wird man bei niemandem letztlich immer das reine Gute finden, sondern es ist immer ein Misch, aber ich denke, dass das, was er gemacht hat, insgesamt für die Gesellschaft vorteilhaft ist, weil wir jetzt mehr darüber wissen, wie wir alle ausspioniert werden.

Hatting: Interessanterweise wird das in Großbritannien nicht so von allen gesehen, da sehen Snowden viele auch als eine Art Nestbeschmutzer, Stichwort Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Wie sehen Sie diesen Konflikt?

Strack: Loyalität ist ja immer die Frage, wem gegenüber. Und wenn man Loyalität gegenüber Grundrechten, gegenüber der Menschenwürde sieht, dann, denke ich, ist er sehr loyal gewesen.

Hatting: Also hier hat sich aber Snowden offenbar extra einstellen lassen, um an diese Informationen zu kommen. Finden Sie das auch in Ordnung?

Strack: Gut, das ist natürlich auch noch mal eine Frage, ob man so was machen sollte, aber ich denke, er hat versucht, letztlich im Interesse der Öffentlichkeit zu handeln.

Hatting: Das klingt jetzt so ein bisschen, als sei der Whistleblower der bessere Mensch, eine Art Heiland, der sozusagen im Dienste des Höheren sich gegen die Loyalität zu seinem Arbeitgeber verhält. Hat ein Whistleblower immer das Recht, sich darüber zu stellen? Ist er derjenige, der das entscheiden darf?

Strack: Na ja, man sollte halt auch gucken, welche Alternativen hat er denn hier gehabt. Und normalerweise sagt man ja, man soll intern erst vorgehen, man soll sich dann an Behörden wenden und erst dann danach an die Öffentlichkeit wenden, wenn diese ersten Schritte fehlgeschlagen sind. Und hier war klar, dass Snowden diese beiden ersten Alternativen gar nicht hatte. Es gab genug Whistleblower aus dem NSA-Bereich, die abgestraft wurden, die bereits strafrechtlich verfolgt wurden, es gibt auch Leute, die im Knast sitzen, es gibt den Fall Manning, insoweit war klar, dass er dort kein Gehör finden wird.

Hatting: Ich mache jetzt mal, Herr Strack, den Advocatus Diaboli: Edward Snowden hat mit seinem Geheimnisverrat ja auch den Terroristen einen Bärendienst erwiesen, denn die werden in Zukunft viel mehr auf Verschlüsselung achten, die Gefahr von Anschlägen steigt.

Strack: Ich denke mal, dass die ohnehin wussten, dass sie auf Verschlüsselung achten müssen und alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen. Ich denke, betroffen sind hier vor allen Dingen die normale Bevölkerung und auch die Wirtschaft, die das eben in diesem Maße noch nicht wusste und nicht vorsichtig agiert.

Hatting: Sprechen wir mal über die Rechtsgrundlage eines Whistleblowers, das ist ja auch eine der Aufgaben, der sich Ihr Netzwerk widmet. Was genau ist das Problem für den Whistleblower, wenn er sich so an die Öffentlichkeit wagt?

Strack: Wenn er sich an die Öffentlichkeit wagt, ist er im Regelfall von der rechtlichen Seite seinen Job ohnehin los, weil das darf er in Deutschland in den allerwenigsten Fällen. In Deutschland gibt es aber ansonsten auch schon keine Rechtsgrundlage dafür, sich an Behörden zu wenden. Auch da kann der Whistleblower nicht sicher sein, ob am Ende das Gericht in fünf Jahren später sagen wird, ja, das durftest du im Rahmen einer Abwägung, oder das durftest du nicht.

Das heißt, wer sicher sein will, der muss schweigen. Und das ist etwas, was wir uns gesellschaftlich nicht leisten sollten.

Hatting: Was muss sich deswegen ändern?

Strack: Ich denke, wir brauchen ein vernünftiges Gesetz, in dem klar geregelt ist, an wen ich mich wenden darf, dass auch diese andere Stelle, insbesondere wenn es Behörden sind, die Pflicht hat, den Sachen nachzugehen, dass es eine unabhängige Stelle sein muss, und dass der Whistleblower auch vor Repressalien beschützt sein muss.

Hatting: Wie genau, wie kann man es unterscheiden? Sie sagen, gewisse Whistleblower, ab wann sollten sie geschützt werden?

Strack: Nein, ich habe nicht gewisse Whistleblower gesagt, sondern ich sage, auf gewissen Wegen.

Hatting: Auf gewissen Wegen?

Strack: Das heißt, es muss Meldestellen geben intern, die unabhängig von der Geschäftsleitung agieren und Sachen überprüfen können, und es muss auch Behörden geben, die genügend Kompetenzen haben, genügend Sachmittel haben, Sachen nachzugehen, die das auch wollen. Wenn man sich anguckt, was im Fall Mollath passiert ist zum Beispiel, wo die bayrischen Behörden ja bewusst weggesehen haben.

Hatting: Ich habe trotzdem das Gefühl, dass es oftmals eine Frage der Abwägung ist. Natürlich kann Whistleblowing wichtig und notwendig sein, um Missstände aufzudecken, aber nicht jeder, der Interna ausplaudert, ist gleich ein Whistleblower, der geschützt werden muss, oder?

Strack: Wenn er die direkt an die Öffentlichkeit gibt, dann gebe ich Ihnen recht, wenn es um Dinge geht, die die Öffentlichkeit erst mal nicht zu interessieren brauchen, dann ja, aber das Problem ist halt, es muss Stellen geben, an die Missstände gemeldet werden können, und die denen nachgehen. Und wenn die das nicht vernünftig machen, dann muss als letzte Möglichkeit auch die Möglichkeit bestehen, an die Öffentlichkeit gehen zu können.

Hatting: Gucken wir noch mal auf den aktuellen, den berühmten Fall Snowden. Wie ist eigentlich die Rechtslage in den USA?

Strack: In den USA ist der Whistleblower-Schutz für Geheimdienstmitarbeiter im Prinzip auch nicht vorhanden. Das heißt, es hat sich in den letzten Jahren einiges getan im Wirtschaftsbereich in den USA, wo auch teilweise mit Prämien ja mittlerweile operiert wird, wenn man an die Börsenaufsicht denkt. Aber gerade dieser militärisch-industrielle Komplex und die Geheimdienste sind im Wesentlichen ausgespart worden.

Hatting: Gibt es also für Snowden keine Chance, ungestraft davon zu kommen?

Strack: Na ja, sie müssen ihn erst mal kriegen.

Hatting: Ja, gut.

Strack: Und wenn sie ihn nicht kriegen, dann mag er vielleicht ungestraft davonkommen, wobei das ja auch schon eine Strafe ist, sich ein Leben lang verstecken zu müssen. Ansonsten, denke ich, hat er unter der derzeitigen US-Administration und auch unter all dem, was so in den USA absehbar ist, wahrscheinlich kaum eine Chance, davonzukommen.

Hatting: Der Whistleblower – eine tragische Figur? Das war ein Gespräch mit Guido Strack, dem ersten Vorsitzenden des Whistleblower-Netzwerks. Vielen Dank, Herr Strack!

Strack: Ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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