Wer schaut, wird selig

Von Johannes Halder · 23.11.2008
Die "Rückkehr der Religionen", von der heute oft die Rede ist, bedeutet nicht unbedingt eine Zunahme der Gläubigkeit. Gemeint ist damit die Tendenz, dass sich die Religionen aus der privaten Sphäre des Glaubens zunehmend in die öffentliche Sphäre der Medien bewegt haben. Mit über 70 Werken auf 3000 Quadratmetern setzt sich eine Schau im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie mit der medialen Präsenz der großen Weltreligionen auseinander.
Zu biblischen Zeiten wäre so was noch als schieres Wunder durchgegangen: Eine Maschine, die mit einer Schreibfeder aus Stahl die Bibel buchstabiert, Letter für Letter, Satz für Satz. Sieben Monate braucht der von einem Karlsruher Künstlerteam konstruierte Schreibroboter, um das komplette Buch der Bücher in kalligraphischer Tintenschrift auf lange Papierrollen niederzuschreiben, ohne Pause und präziser als je ein Mönch das könnte. Museumschef Peter Weibel passt das technische Mirakel perfekt in das Konzept der Schau; stolz steht er daneben und zitiert den Philosophen Jacques Derrida:

""Dort, wo eine Schrift ist, gibt es eine Kirche, und wo eine Kirche ist, gibt es Schrift. Also am Anfang war das Medium Schrift, und ohne dieses Medium gäbe es keine Religion."

In der Tat: Die Religion, gleich welcher Art, hat schon immer als riesige Propagandamaschine funktioniert, als kreativer Katalysator der Künste und Kommunikation, mit Geboten und Verboten, mit starken Bildern und Geschichten von Leben, Tod und Martyrium, von Erlösung und Ekstase.

Was früher die Schrift erledigte, verrichten heute Film und Video mit ihrer Möglichkeit unendlicher Wiederholung, die den Religionen hilft, ihre Botschaften als mediale Marke massenwirksam und effektiv zu etablieren, sagt Peter Weibel:

"Die technischen Eigenschaften des Mediums wie Repetition sind genau das Ritual, das die Religion hat: die Wiederholung des Gebets, die kalendarischen Wiederholungen, die ganzen Rituale. Die Religion benötigt nicht nur ein Medium, sondern ist selbst ein Medium."

Zwar gliedert sich die Schau in einen dokumentarischen Teil und einen künstlerischen, der die mediale Omnipräsenz der Religionen kritisch reflektiert, doch die Grenzen zwischen beiden sind nicht immer klar erkennbar.

So weiß man nicht so recht, was man beklemmender finden soll: die als Dokumente abgespielten Videobotschaften von Osama Bin Laden, der mit den Mitteln religiöser Propaganda politischen Terror verbreitet, oder die fanatische Emphase, mit der amerikanische Fernsehprediger auf speziellen TV-Kanälen mit billigen Slogans und Animationstechniken den Glauben als Sonderangebot verramschen: Wer schaut, wird selig.

Wir sehen auch, wie der Hinduismus mit unsäglichem Devotionalienkitsch regelrecht religiöses Merchandising betreibt, was medientechnisch wohl auch eine Mentalitätsfrage ist. Auch Jesus war schließlich eine Art Popstar, das zeigt uns der Koreaner Sang-Kyoon Noh: Mit ausgebreiteten Armen und Disco-Glitzer am Gewand steht seine riesige Christus-Statue gleich zweifach mitten in der Schau: der Messias als Zwilling aus der Retorte.

Dennoch: Der Islam bietet derzeit wohl die größte Angriffsfläche für künstlerische Kommentare. Christoph Büchel etwa präsentiert tausend folienverschweißte Exemplare von Hitlers "Mein Kampf" in arabischer Übersetzung – in dortigen Ländern ein Bestseller.

Doch keine Religion wird ausgespart, auch nicht das Judentum. In einem Video der Israelin Nira Pereg wird gezeigt, wie die Bewohner eines ultraorthodoxen Viertels in Jerusalem am Vorabend des Sabbats temporäre Straßensperren aufziehen: ein groteskes Ritual, das die Stadt in einen sakralen und einen säkularen Sektor teilt.

Das Künstlerduo Korpys/Löffler wiederum entlarvt den Vatikan als sakralen Hofstaat mit angeschlossener PR-Abteilung. Wenn man in ihrem Video verfolgt, wie Papst Johannes Paul II. eine Generalaudienz als perfekter Medienstar absolviert, würde man seinen vatikanischen Zeremonienmeistern wohl auch eine inszenierte Himmelfahrt abnehmen.

"Medium Religion": Die Mehrzahl der Künstler behandelt das Thema kritisch, meist sogar blasphemisch, gelegentlich geschmacklos. Tabubrüche, wohin man blickt.

Manch medialer Auswuchs entlarvt sich ohnehin von selbst: Was dem Moslem sein Gebetsteppich, das ist dem Afroamerikaner die Aerobicmatte. "Gospel Aerobics mit Paul Eugene", das ist kein Kunstwerk, sondern bizarre Wirklichkeit aus den USA.

Sigmund Freud hat die Religion als Illusionssystem beschrieben, doch am Ende des Lebens wird abgerechnet.

Der Tod spielt denn auch eine große Rolle in der Schau, berührt er doch das zentrale Heilsversprechen der Religionen: ewiges Leben, Unsterblichkeit – wenn nicht als Leib, so doch als Seele.

Boris Groys, als Medientheoretiker und Ko-Kurator der Schau eher skeptisch eingestellt, empfiehlt uns die Medien als Seelenretter.

"Statt Seele haben wir ein Videobild. Das ist das, was auch die ganze Filmindustrie uns Anfang des 20. Jahrhunderts versprochen, aber nicht realisiert hat. Denn es waren nur die Stars, die sich verewigen konnten. Heute kann sich jeder verewigen. Jeder hat einen Videorekorder und kann seine Seele selbst produzieren, verkünden, verbreiten und immortalisieren."

Über so viel Mediengläubigkeit sind wir dann doch erstaunt. Die Seele auf dem Speicherchip – da hilft wohl nur noch beten.

Service: Die Ausstellung "Medium Religion" ist im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie bis zum 19. April 2009 zu sehen.