Wer ist Milli Görüs?

Von Dorothea Jung · 19.06.2006
Auf ihrer Web-Seite sagt die IGMG über sich selbst, Milli Görüs sei eine islamische Religionsgemeinschaft, die das religiöse Leben der Muslime umfassend organisiere. Konkret bedeutet dies, dass der Verband Moscheen bauen lässt, Pilgerfahrten ausrichtet und in seinen Gemeinden Gottesdienste, Beschneidungen, Hochzeiten und Bestattungen durchführt.
Doch das Angebot von Milli Görüs geht über die Organisierung des religiösen Lebens hinaus. Ob mit eigenen Abteilungen für Kinder, Jugendliche, Studenten, und Frauen oder mit Sektionen für juristische Belange und Bildung - in fast allen Lebensbereichen seiner Mitglieder bemüht sich der Verband um Einfluss. …

Nach eigenen Angaben verfügt die IGMG in Europa über 30 Regional-Verbände und mehr als 500 Moscheevereine. Davon 323 allein in Deutschland. Als Mitgliederzahl gibt der Verband 87 000 an.

Die IGMG ist aber nicht nur eine europaweit agierende, länderübergreifend vernetzte und straff hierarchisch strukturierte Organisation, sondern Teil einer ideologischen Bewegung.

"Milli Görüs" bedeutet "Religiöse Nationale Weltsicht". Der Begriff geht auf ein 1973 erschienenes Buch des türkischen Islamistenführers Necmettin Erbakan zurück. In dem Werk legt er seine Strategie zur Umwandlung der Türkei in einen islamischen Staat dar und entwickelt ein auf Koran und Scharia basierendes Gesellschaftssystem. - Erbakan, der von 1996 bis 1997 Ministerpräsident der Türkei war, ist bis heute der unangefochtene Führer der Milli-Görüs-Bewegung. Regelmäßig fällt der 79-Jährige durch antiwestliche und antisemitische Äußerungen auf. Dennoch erntet Erbakan auch bei deutschen Anhängern begeisterten Applaus, wenn er bei Großveranstaltungen auf der Videoleinwand erscheint.

Seit Jahren beobachtet der Verfassungsschutz bei der Milli Görüs die Tendenz, sich von westlichen Werten abzugrenzen, um eine islamische Identität auszubilden; mit strenger Geschlechtertrennung und der Empfehlung an junge Mitglieder, auf enge Kontakte zu deutschen Kindern zu verzichten. Die Verfassungsschützer sind der Ansicht, dass sich die Milli-Görüs-Verbände nicht ausreichend um Integration bemühen und statt dessen Parallelgesellschaften errichten.

Die IGMG hat seit vier Jahren einen neuen Generalsekretär. Oguz Ücüncü verfolgt nach eigenem Bekunden nur verfassungskonforme Ziele und gibt sich integrationsbereit. Ob dies nur taktisches Kalkül ist oder auf einen inneren Wandel hindeutet, ist noch nicht ausgemacht. Ücüncüs Erfolg dürfte in jedem Fall davon abhängen, inwieweit es ihm gelingt, die Mitglieder der IGMG auf eine demokratischere Verbandspolitik und moderaterer Ziele einzuschwören.