Wenn Skeptiker das Meditieren lernen

Von Frank Schüre · 30.07.2011
Meditation verbinden viele immer noch mit Esoterik, Räucherstäbchen und asiatischen Ritualen. Doch das muss nicht so sein. Ein neues Buch zeigt: Selbst durch und durch rationale Zeitgenossen können von den Entspannungstechniken profitieren.
Glauben Sie, Sie können bis zehn zählen? Sicher? Wollen Sie es probieren? Aber bitte nicht einfach runterbeten die Zahlen. Nein, ganz aufmerksam zählen, am besten etwas, das sich immerzu dafür anbietet: Ihren Atem zum Beispiel. Okay? Das können Sie natürlich nicht jetzt machen. Der Psychologe und Meditationsforscher Ulrich Ott erklärt Ihnen den Sinn der Übung:

"Rein technisch gesehen ist es gut, mit dem Atem zu arbeiten, um von Moment zu Moment immer dabei zu bleiben und auch über längere Zeiträume zu merken: Bin ich noch in der Meditation oder schon abgedriftet? Diese Atemzähltechnik, das ist etwas, was jeder machen kann, und wo man schnell sieht, wie wenig Kontrolle man hat."

Können Sie sich eine Banane vorstellen? Wie lange, glauben Sie, können Sie so ein Bananenbild im Geist halten? Probieren Sie es aus!

"Wenn ich mir vorstelle: eine Banane – dann taucht da vielleicht schemenhaft eine Banane auf. Und das geht ein paar Sekunden, höchstens, wenn jemand gut ist. Aber wenn die buddhistischen Mönche erzählen, wie sie eine Buddhastatue sich innerlich hervorrufen und dann da drauf lang spazieren und vielleicht mal einen Tag lang nur über die rechte Augenbraue meditieren."

Glauben Sie, Sie beherrschen Ihren Geist? Können Sie Ihre Gedanken kontrollieren, können Sie nicht denken – für wie lange? Wissen Sie, was mit Ihnen passiert, wenn nichts passiert – was in Ihnen geschieht, wenn Sie einfach nur da sitzen und die Augen schließen?

"Theoretisch sind wir der Herr unseres Geistes und sollten in der Lage sein zu sagen: jetzt tu ich mal die nächsten zehn Minuten nur auf meinen Atem achten. Wenn man's macht, stellt man fest: man kann's nicht. Und ich sehe es ja an der Uni, im Unterricht: Die Studenten haben ihren Plan, ihre Prüfungen – und wenn die sich hinsetzen und die Augen zumachen, und ich sag ihnen: achtet mal nur auf den Atem, dann bricht bei denen das Chaos aus, und sie sind völlig entsetzt, wie wenig Kontrolle sie haben über den eigenen Geist."

Ulrich Ott hat ein Buch geschrieben, das sofort zum Renner wurde. Es heißt "Meditation für Skeptiker". Sein Erfolg scheint darin zu liegen, dass es eine merkwürdige esoterische Praxis befreit aus Räucherschwaden und tiefasiatischen Ritualen für den Skeptiker, für unseren so gerne kritischen Geist.

"Also da gibt es ganz viele Rituale, wo Leute mit einem gewissen intellektuellen Niveau sagen: nein, das ist nicht meine Welt. 'Wir brauchen eine Anleitung zur Meditation für kritische Männer' – das war für mich der Auftrag als Autor vom Verlag her, wo ich gesagt habe: okay, das kann ich als Wissenschaftler vermitteln."

Ulrich Ott hat Meditation aus allen Glaubensformen gelöst und der so nüchternen wie bedürftigen geistigen Verfassung aufgeklärter Zeitgenossen – und Zeitgenossinnen - zugänglich gemacht. 'Nüchtern' sieht man wohl ein, aber bedürftig – wonach? Bedürftig nach Wohlbefinden in einer aufgeklärten Verfassung, die nichts mehr glauben kann, sondern alles ganz genau wissen will. Wirklich bedürftig zeigt sich unser ruhelos denkender Geist eben nicht nach noch mehr Wissen, sondern nach viel weniger von all dem. Wie schön wäre es, auch mal innezuhalten und nicht zu denken. Dieses Meditieren für Skeptiker liegt eindeutig im Trend:

"Also eine Art Kombination aus kritischen rationalem aufgeklärten Wissenschaftsverständnis und auf der anderen Seite aber auch ein Nicht-Ausblenden von grundlegenden Daseinsfragen, die sich jedem Menschen stellen. Diese Kombination ist sehr attraktiv und scheint momentan starken Zulauf zu finden."

Bedürftig ist der kritische Geist nach Ruhe. Oder genauer: danach, in Ruhe gelassen zu werden. Ja, richtig gehört: Unser Geist möchte nicht nur klug und kritisch, nicht nur aufgeklärt und schlagfertig sein. Er möchte nicht immerzu analysieren und bewerten. Mehr noch: Unser Geist möchte eigentlich auch nicht nur wissen. Aber was bleibt denn dann noch übrig an geistigen Aktivitäten? Es bleibt Nichts übrig – und das genau ist das Bedürfnis: einmal nichts tun müssen, und das auch gerne öfter. Aber was geschieht, wenn man sich derart in Ruhe lässt? Ulrich Ott und der Philosoph und Bewusstseinsforscher Thomas Metzinger berichten:

"Wenn man jetzt so naiv da ran geht, denkt man, in der Pause machen die Leute nichts. Und genau das ist aber ein großer Irrtum, weil wir können nicht Nichts tun – sondern wenn die Leute nichts zu tun haben, dann tun die eine ganze Menge. Wir gehen in die Vergangenheit, wir gucken zurück, verarbeiten irgendwelche Traumata, die wir hatten. Oder wir gehen in die Zukunft, planen, was wir alles noch vorhaben."

"Man kann denken, und wohl dann auch sehr intelligent sein, ohne zu merken, dass man denkt. Alles, was in der Meditation geschieht, ist, dass man häufiger merkt, dass man denkt, dass man seltener auf Autopilot ist. Wenn das die Definition von Bewusstsein ist, dann gibt es einen Sinn, indem sehr viele von uns eigentlich Schlafwandler sind, weil sie die interne Dynamik, die sie antreibt dauernd, überhaupt nicht erkennen. Weil sie von diesem Prozess, der in uns kocht und plappert und ständig nach Aufmerksamkeit schreit, getrieben werden."

Also bietet auch skeptische Meditation jede Menge Erkenntnis. Das klingt weiterhin eher anstrengend als angenehm. Wenn das alles ist, bleibt man vielleicht doch lieber ein kritischer Schlafwandler. Also wo bleiben bitte schön die versprochenen neuen Erfahrungen infolge von Meditation? Was geschieht im Geist, wenn man nicht agiert? Was bringt weiter als Glauben und Wissen? Der Unternehmensberater Roland Gieske hat es probiert:

"Als ich das 1999 das erste Mal gemacht habe, meine erste Meditation über 25 Minuten, habe ich gedacht: Das fühlt sich so an, als ob du dein Leben lang noch nie was anderes gemacht hast, um zu entspannen, als zu meditieren. Aber du hast es nie Meditation genannt. Ich kam mir so vor, als wäre ich bei etwas wieder angekommen."
Immer mehr Skeptiker möchten für ihren kritischen Geist Ruhe finden. Dass Glaubensformen da nicht weiter helfen, ist inzwischen klar – aber dass auch die geliebten und gewohnten Wissensformen den Geist eher beunruhigen und als Unruhe nur eine Facette seiner Möglichkeiten darstellen, das erreicht unsere aufgeklärte Kultur erst neuerdings. Aber warum soll für weitere geistige Möglichkeiten ausgerechnet eine Haltung gut sein, die dem bewährten Aktivismus unserer Kultur geradezu ins Gesicht schlägt – eine Inne-Haltung? Was soll es bitte schön nutzen oder gar trainieren, wenn man regelmäßig und regungslos da hockt und einfach nur wahrnimmt? Was gibt es zu erkennen, wenn absolut nichts los ist? Roland Gieske beschreibt seine konkrete Erfahrung diesseits von Glauben und Wissen:

"Man läuft in dieser Meditation durch eine ganze Reihe von inneren Zuständen hindurch, die auf unterschiedlichste Weise extrem gut tun. Es muss irgendeine Form von emotionaler oder körperlicher Wertschöpfung geben, und die ist bei mir in der Meditation eine unglaublich effektive Art und Weise, mich körperlich zu entspannen, auf der Arbeitsseite komplexe Probleme einfach aufzulösen, und das alles ohne Tabletten, ohne externe Invasion von irgendwas: Ich muss mir nichts spritzen, ich muss nichts lutschen, ich muss mich nicht betrinken."

Und jetzt? Wenn Sie es wirklich probieren, erleben Sie, dass bis zehn zu zählen gar nicht so einfach ist – wenn man es nicht gläubig runter betet, sondern forschend und mit voller Aufmerksamkeit tut. Sie erleben, dass man bei nichts wirklich verweilen kann, was im Geist auftaucht. Sie erleben, dass man keine Kontrolle über den eigenen Geist hat. Aber wozu das Ganze?

"Mich interessiert die Meditation als eine rein körperliche Übung, mit der ich mich entspannen kann, mit der ich aber auch neue Verhaltensweisen in mir verankern kann. Es gibt ganz klare Handlungsleitlinien, die es auch so schön einfach und haptisch und pragmatisch und auch handhabbar machen: Du musst an keinen Gott glauben, du glaubst an keinen Erlöser oder Propheten oder an sonst was. Es ist eine sehr auf dich selbst bezogene Weisheitslehre, aber gleichzeitig verbindet sie dich eben auch mit allem anderen, wie der Atem dich eben auch mit deinem Umfeld und deiner Umwelt verbindet."

...sagt der meditierende Unternehmensberater Roland Gieske. Auch Bewusstseinsforscher Thomas Metzinger erlebt Meditation fernab jeder Religion als Schlüssel zu eigenen Möglichkeiten, die eine ruhelose Haltung gar nicht wahrnimmt:

"Also ganz einfach gesagt ist Meditation Innehalten, was Freiheit erhöht, Autonomie erhöht, weil es dem System mehr Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Zum Beispiel jetzt etwas Bestimmtes nicht zu machen."

Literaturtipps:

"Meditation für Skeptiker" von Ulrich Ott, Barth 2010

"Der Ego-Tunnel" von Thomas Metzinger, Berlin Verlag 2009