Wenn Olivenbäume um Gnade flehen

Von Igal Avidan · 25.06.2007
Der Sohn eines palästinensischen Politikers tötet den Säugling des israelischen Gouverneurs und setzt damit eine blutige Gewaltspirale in Gang − ausgerechnet am Tag der Olivenernte. Was im neuen Theaterstück "Hebron" des Dichters Tamir Greenberg nach alltäglichem Nahost-Konflikt klingt, wird poetisch überhöht, denn Mutter Natur tritt auf die Bühne und schreitet ein.
Wenn Israelis ins Theater gehen, wollen sie nicht an ihren Alltag, an Terror und Besatzung erinnert werden. Daher sind politische Stücke selten. Der Erfolg der politischen Satire "Plonter", die in kurzen und prägnanten, komischen wie tragischen Szenen beide Seiten des Konfliktes zeigt, war eher eine Ausnahme. "Plonter" war dazu im Ausland, auch auf mehreren deutschen Bühnen, wesentlich erfolgreicher als in Israel selbst. Außerdem lässt sich mit Humor vieles besser aushalten.

Daher stellt das neue Theaterstück "Hebron" eine kleine Sensation dar. Das Stück ist sehr politisch und erschüttert mit seiner Darstellung der israelischen Besatzung - und das in einer sehr poetischen Sprache. Regisseur Oded Kotler, der das Stück für das Nationaltheater Habima in Zusammenarbeit mit dem Cameri-Stadttheater von Tel Aviv inszeniert hat, ist einer der prominentesten Theatermacher Israels. Seit über 40 Jahre spielt er auf allen Theaterbühnen, wo er auch Regie führt. Er gründete und leitete mehrere Theaterhäuser und spielte früher viel im Kino, wo er bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1967 den Preis für den besten Schauspieler gewann.

An "Hebron" schätzt Oded Kotler besonders, dass der Text Mitleid für beide Seiten weckt, die in einem blutigen Konflikt aneinander gekettet zu sein scheinen:

"Wir haben immer weniger politische Stücke gemacht, weil die Theaterhäuser kommerzielle populäre Stücke wollen, am besten auf niedrigem Niveau. Aber 'Hebron' ist kein politisches Theater, weil es nicht Partei ergreift und keine Propaganda ist. Was die Größe und Schönheit des Textes ausmacht ist, dass er beide Seiten, also das gemeinsame Schicksal der moslemischen Palästinenser und der religiösen jüdischen Israelis verdeutlicht. 'Hebron' erinnert mich an das klassische griechisches Theater, an Shakespeare und an Garcia Lorca."

Nicht nur die Menschen leiden in Hebron, sondern auch die Natur. Als Strafe für die Mordtat seines Sohnes werden Haus und Olivenbäume des Palästinensers Khader zerstört. Als der junge Olivenbaum unter Tränen den Kommandanten anfleht, ihn weiterleben zu lassen, streichelt ihn Mutter Erde sanft und sagt: "Die Tränen sind sinnlos, mein Kind. Wie sollen dich diejenigen hören, die taub sind gegenüber dem Geschrei ihrer eigenen Spezies". Eine Szene voller märchenhafter Poesie, die gerade deshalb viel mehr schockiert als die Bilder in den Nachrichten.

Die 17 jüdischen und arabischen Schauspieler, ein ungewöhnlich großes Ensemble, verkörpern 38 Rollen, darunter mehrere Olivenbäume, einen Frühlingstag, die Mutter Erde und Grassblätter, die sogar singen.

Die Natur verlangt, die Toten zu beerdigen. Die Frau des jüdischen Gouverneurs und die Frau des palästinensischen Mörders verstoßen gegen dieses Naturgesetz. Sie wollen ihre kleinen Kinder nicht begraben. Ihre Sturheit führt in die Tragödie. Der Autor von "Hebron", Tamir Greenberg:

" "In diesem Stück steht die Natur für eine Ordnung, die einen Zyklus von Geburt, Wachstum, Leben und Tod ermöglicht. Leider vergrößert der Mensch den Anteil des Todes in diesem Lebenskreis. Und in meinem Stück geht die Natur dagegen vor"."

Tamir Greenberg schreibt eigentlich überwiegend Gedichte - und ist außerdem Architekt. "Hebron" ist erst seine zweite Arbeit für das Theater. Er schrieb es auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada 2003 und bezog sich darin auf wirkliche Ereignisse. Greenberg stellte sich die Frage, welche Geschichten man sich in 500 Jahren über diesen israelisch-palästinensischen Konflikt erzählen wird. Sein historischer Stoff führte ihn zwangsläufig in die Stadt Hebron, denn hier liegen die Gräber der jüdischen Stammväter Abraham, Isaak und Jakob; hier wurde die jüdische Gemeinde 1929 ausgelöscht und hier ermordete der jüdische Siedler Baruch Goldstein Dutzende Palästinenser in der Moschee.

" "Ich suchte eine Stadt, die einerseits eine deutliche Verbindung zum jüdischen Volk aufweist - daher kamen weder Jenin noch Gaza in Betracht. Andererseits wollte ich einen Ort, in dem die jüdische Präsenz am problematischsten ist. Hebron ist das ultimative Beispiel dafür, dass die historische Erinnerung eine kleine jüdische Gruppe dazu veranlasst, die Kontrolle über eine ganze Stadt zu übernehmen und das Leben ihrer Bewohner zur Hölle zu machen. Hebron ist die beste Essenz des jüdisch-arabischen Konfliktes, dort ist der Konflikt am explosivsten. Oded hat mir übrigens angeboten, zusammen nach Hebron zu fahren. Aber da dies für uns als Vertreter des Nationaltheaters nur unter Militärschutz möglich war, lehnte ich ab, weil ich das für einen unmoralischen Akt halte"."

Der Regisseur Oded Kotler und der Autor Tamir Greenberg würden "Hebron" gern in den Palästinensergebieten aufführen. Aber das lässt die Armee aus Sicherheitsgründen nicht zu. Das Nationaltheater "Habimah" organisiert deswegen den Theaterbesuch palästinensischer Schüler aus Hebron. Sie sollen das Stück zusammen mit israelischen Jugendlichen ansehen und darüber diskutieren. "Hebron" wurde bereits ins Arabische übersetzt und das Programmheft ist dreisprachig: Hebräisch, Arabisch und Englisch - das ist sowohl politisch korrekt als auch für den Export gedacht.