Wenn Muslime geistlichen Rat brauchen

Von Ita Niehaus · 14.07.2012
Rund vier Millionen Muslime leben in Deutschland. Darunter Menschen, die Lebenskrisen durchmachen, die krank und einsam sind oder sich Fragen zu ihrem Glauben stellen. Ein seelsorgerisches Angebot gibt es für sie bislang kaum - doch der Bedarf wächst.
"Das gesamte Konzept der Seelsorge, so wie wir es aus dem christlichen Kontext kennen, ist so nicht bekannt im Islam. Früher hat man gewohnt in der Großfamilie, wo Familienmitglieder sich umeinander gekümmert haben. Aber es geht die Tendenz in Deutschland in der zweiten und dritten Generation, dass die Familien immer kleiner werden, wo so ein institutionalisiertes Seelsorge-Angebot immer wichtiger wird."

Mouhanad Khorchide ist Professor für Islamische Religionspädagogik am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster. Die professionelle Seelsorge für Muslime befindet sich im Aufbruch in Deutschland, sagt er:

"Einerseits fehlt noch die praktische Erfahrung: Wie macht man das? Fragen, die man so in den islamischen Ländern nicht kennt. Zum Beispiel ältere Menschen, die vereinsamen, weil die Großfamilie vielleicht in der Türkei oder woanders ist. Die andere Herausforderung ist: Wer finanziert das? Wir haben keine Institution wie die Kirche, die Imame oder Seelsorger hauptamtlich bestellt."

Seelsorge beginnt im alltäglichen Umgang, das zeigt sich auch in der Seniorenarbeit. Hier gibt es schon erfolgreiche Beispiele. Das interkulturelle Tagespflegezentrum in Frankfurt etwa. Hüseyin Kurt vom Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe zählt zu den Initiatoren des Projekts. Es ist speziell auf die Bedürfnisse von älteren Muslimen zugeschnitten:

"Wir haben damit angefangen, dass wir ihre Essgewohnheiten beachten: halal essen, kein Alkohol, kein Schweinefleisch. Türkisches Personal, dass sie Gebetsmöglichkeiten haben und dass wir auch mit ihrer Religiosität die Gläubigen mitnehmen, wo sie sind - all diese Dinge bieten wir an und dann sagen sie, eigentlich fühle ich mich wie in der Familie."

Trotzdem ist es nicht einfach, Muslime für religions- und kultursensible Pflege- und Betreuungskonzepte zu gewinnen. Nur wenige kennen sich gut aus im deutschen Altenhilfesystem. Und viele schrecken davor zurück, die älteren Familienmitglieder ins Altersheim zu schicken:

"Weil sie gewisse Vorschriften der muslimischen Religion nicht richtig interpretieren. Religion sagt ja, du bist für das Wohl deiner Eltern verantwortlich und wir haben das so interpretiert, wenn meine Eltern pflegebedürftig sind, muss ich zu Hause pflegen, bis der stirbt. Nach Diskussionen haben wir herausgefunden, dass wenn wir unsere Eltern nicht selber fachgerecht pflegen können und zur professionellen Altenhilfe geben, das ist sehr wohl im Rahmen der muslimischen Religion, weil meinen Eltern in einem Pflegeheim wohler ist."

Ein anderes Beispiel: Vor einigen Jahren starteten die Evangelische Akademie der Pfalz und das Mannheimer Institut für Integration mit muslimischen Verbänden ein Krankenhausseelsorgeprojekt. Rund 20 Seelsorger und Seelsorgerinnen wurden bisher ausgebildet, sie arbeiten vor allem ehrenamtlich. Die Resonanz ist sehr positiv und auch die Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen hat sich bewährt, so Georg Wenz, Studienleiter der Evangelische Akademie der Pfalz und Islambeauftragter der Evangelischen Kirche der Pfalz:

"Ich würde sagen, es ist eine Weiterentwicklung des interreligiösen Dialogs. Es geht um existenzielle Fragestellungen, um Leben und Tod, Lebensmut, Verzweiflung - und da spielt die Praxis die vornehmliche Rolle. Und insoweit ist es eine Intensivierung dessen, was aber immer schon im Dialog angedacht war."

Seine Erfahrung: Die seelsorgerische Praxis in beiden Religionen ist ähnlich. Wo aber liegen die Unterschiede?

"Auf islamischer Seite ist es so von Anbeginn, dass Religion eine große Rolle spielt. Es wird relativ unbedarft in einem Krankenzimmer der Koran rezitiert, es wird öffentlich gebetet. Also die Religion wird sehr viel öffentlicher gelebt und somit mehr öffentlicher Teil der Seelsorge, als es in vergangenen Jahren in der christlichen Seelsorge der Fall war."

Mouhanad Khorchide: "Wenn man Seelsorge so versteht, ob christlich oder islamisch, dass es um den Menschen geht, das Heil des Menschen hier und im Jenseits, seine Glückseligkeit, dann gibt es keine Unter -schiede zwischen Islam und Christentum. Nur der Weg dorthin ist etwas anders. Der eine beruft sich mehr auf den Koran, Mohammed, der andere mehr auf die Bibel und auf Jesus."

Professioneller seelsorgerischer Beistand für Muslime wird in Zukunft immer wichtiger werden. Georg Wenz und Mouhanad Khorchide sind überzeugt: Die islamische Seelsorge in Deutschland ist auf einem guten Weg.

Georg Wenz: "Es kommt auf die Anerkennung von außen an, von innen, es kommt auf die Überzeugung durch die Arbeit an. Anerkennung von außen bedeutet, dass Gespräche mit anderen Seelsorgeanbietern, vor allen den großen Kirchen, geführt werden. Anerkennung nach innen bedeutet, dass sich in der islamischen Community das Bewusstsein stärker breitmacht, was islamische Seelsorge ist. Und Überzeugungsarbeit wird am Krankenbett geleistet. Und damit wird auch die beste Werbung für islamische Seelsorge gemacht, wenn die Patienten das in ihre eigenen Communities hineintragen."

Mouhanad Khorchide: "Ich glaube, gerade durch die Etablierung der islamischen Theologie an Universitäten in Deutschland, dass dieser Prozess ziemlich beschleunigt wurde, dass wir in den nächsten drei bis fünf Jahren einige gut qualifizierte muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger haben werden. Es wird nicht lange dauern, bis sich das etabliert und institutionalisiert im deutschen Raum."


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