"Wenn Ihr zu langweilig seid, dann schmeißen wir Euch raus"

Von Dirk Fuhrig · 03.07.2013
Die Ankündigung des ORF, den Lese-Marathon ab 2014 womöglich nicht mehr auszurichten, ruft heftige Ablehnung in der Literaturszene hervor.
Böse Zungen behaupten ja, der Literaturbetrieb hänge nur deshalb so an Klagenfurt, weil man dort nach ermüdender Autorenlesung so prima zur Abkühlung in den nahe gelegenen Wörthersee springen kann. Und auch das Zanderfilet im "Maria Loretto", dem stilvollen Restaurant direkt am See, soll vorzüglich sein. Anfang Juli scheint zudem meist die Sonne, und Italien ist nur einen Katzensprung entfernt.

Auf jeden Fall galt der Ingeborg-Bachmann-Preis immer als schönster Betriebsausflug der deutschsprachigen Literaturfamilie. Kämpfen deren Mitglieder etwa deshalb so verbissen um den Fortbestand der Lesetage?

Strigl: "Das ist vielleicht die letzte Bastion der Literatur im Fernsehen. Und jeder Fußbreit Terrain, den die Literatur im Fernsehen aufgibt, der ist weg."

sagt Daniela Strigl, Literaturwissenschaftlerin und Jurymitglied. Dabei gehe es praktisch nur um Peanuts.

Strigl: "Der ORF hat genug Geld. Er gibt im nächsten Jahr 100 Millionen Euro für Sport aus. Aber dafür kassiert er keine Gebühren, sondern für den Kulturauftrag. Also, die 350.000 Euro sind eigentlich eine lächerliche Summe für den ORF."

Die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz sieht in den Führungsetagen des Österreichischen Rundfunks Kulturbanausen am Werk.

Streeruwitz: "Es ist einfach in Österreich das Problem, dass diese neue Crew im Fernsehen, die jetzt seit anderthalb Jahren da werken, mit den Privilegien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Privatfernsehen aufbauen, das sich einer wüsten und schreckliche Form der Unterhaltung verschreibt, und das ist genau der Punkt, den ich kritisieren würde."

Spaßkultur statt Literatur – für Streeruwitz ist der Niedergang der Qualität im Fernsehen unaufhaltsam.

Streeruwitz: "Da wird an der Kultur ein Exempel statuiert: Wenn Ihr zu langweilig seid, Leute, dann schmeißen wir Euch raus."

Streeruwitz hat selbst noch nie am Bachmann-Preis teilgenommen. Und würde das auch nicht tun. Weil sie es nicht leiden kann, wie bei dem Wettlesen am Wörthersee öffentlich über die vorgetragenen Texte diskutiert wird.

Ingeborg Bachmann, österreichische Autorin
Die Autorin Ingeborg Bachmann (1926-1973). Nach ihr wurde der Wettbewerb benannt.© AP Archiv
Karrieresprungbrett Klagenfurt

Der aus Niederösterreich stammende Schriftsteller Josef Haslinger, der auch Vorsitzender des deutschen PEN-Zentrums ist, ist da völlig anderer Meinung:

Haslinger: "Die jungen Autoren verlieren eine der besten Möglichkeiten, im deutschsprachigen Raum als Autoren bekannt zu werden"

Und in der Tat: Die Einschaltquoten bei den Live-Übertragungen mögen gering sein. In der Literaturszene werden die Nachwuchsautoren, die es mit ihren Texten bis auf die Klagenfurter Bühne geschafft haben, genau beobachtet. Bei dem Wettlesen wurden immer wieder junge Talente entdeckt, daher gehören die vier Tage im Juli zum Pflichtprogramm für Verleger und Agenten. Ein Gewinn beim Bachmann-Preis ist keine Garantie für eine Karriere als Bestsellerautor. Aber ein großer Schritt.

Umgekehrt hat die Stadt Klagenfurt, abgesehen von dem Lesewettbewerb, kulturell wahrhaftig nicht viel zu bieten. Josef Haslinger hat Mitleid mit dem Austragungsort:

Haslinger: "Die Stadt Klagenfurt ist, was die Literatur betrifft, in einer ganz jämmerlichen Lage. Sie hat sich immer darauf rausgeredet, wir machen ja den Bachmann-Preis. Aber es gibt in Klagenfurt so gut wie keine von der Stadt finanzierte Lesungen, ja, es gibt in Klagenfurt die Eigenart, dass es nicht einmal eine Stadtbibliothek gibt."

Der Wettbewerb war eine ureigene Erfindung des Österreichischen Rundfunks. 1977 gründete der damalige Kärntner Landesintendant des ORF zusammen mit dem Schriftsteller Humbert Fink die "Tage der deutschsprachigen Literatur" und benannte sie nach Ingeborg Bachmann, der berühmtesten Tochter der Stadt Klagenfurt. Vorbild für das Treffen sollten die Diskussionen der "Gruppe 47" sein.

Viele wichtige Gegenwartsautoren sind in letzten vier Jahrzehnten durch die Tortur des Klagenfurter Literaten-Castings gegangen – und dadurch bekannt geworden. Uwe Tellkamp zum Beispiel oder Katrin Passig, Michael Lentz, Terezia Mora, Sibylle Lewitscharoff. Marcel Beyer und Katja Lange-Müller.

Und natürlich Rainald Goetz, der sich 1983 mit einer Rasierklinge die Stirn ritzte, um Jury und Zuschauer zu provozieren, den Bachmann-Wettbewerb zu unterminieren. Mittlerweile wendet sich das Fernsehpublikum anderen Spektakeln zu. Heute ritzen und schlitzen sich keine Jungdichter mehr die Haut auf – heute hungern sich Magermodels zu Tode.

Streeruwitz: "Es ist eigentlich ein Vorgang, der bezeichnend für unsere heutige Kultursituation ist. Es wird ein Vorzeigewettbewerb, der viel früher war als Deutschlands 'Top Model', und eine Vorführung von Autoren und Autorinnen in den peinlichsten Situationen. Es ist eine Art Turnier, und nachdem das Turnier nun durch viele andere Turniere ersetzt worden ist, die viel lustiger sind und wo viele schönere Menschen auftreten, schaltet das Fernsehen ab."

Der Vorsitzende der Klagenfurter, Jury Burkhard Spinnen, kämpft auf jeden Fall für den Erhalt des Wettlesens. Denn nirgendwo sonst gibt es das, dieses - oft peinliche, oft schmerzhafte - öffentliche Diskutieren über die vorgelesenen Prosatexte.
Spinnen: "Das Zustandekommen eines Urteils kann man normalerweise bei Preisen nicht nachvollziehen. Hier ist das der Fall. Und das strahlt auf alle anderen Preise ab. Was ich hier sehen kann, ist genau das, was ich anderswo nicht sehe und nicht mitbekomme."

Externe Links:
Internetseite des Bachmann-Wettbewerbs
Das Maria-Theresien-Denkmal am Neuen Platz in Klagenfurt, Österreich
Klagenfurt. "Die Stadt ist, was die Literatur betrifft, in einer ganz jämmerlichen Lage."© AP
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