Wenn erst der Abend kommt

Von Helmut Böttiger · 20.05.2012
Der Dichter von "Morgue", "Trunkene Flut" und "Destillation" feierte in seinen späten Gedichten den Reim. Die Collage macht den Benn-Sound hörbar.
Dass Gottfried Benns Gedichte spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs oft wie Schlager, wie wahre Gassenhauer klingen, ist schon des Öfteren festgestellt worden. Alles reimt sich, alles löst sich in schönen, melancholisch verhangenen Harmonien auf, die Strophen sind ebenmäßig geformt und gehorchen einem eingängigen Rhythmus. Blumen und Pflanzen leisten immer wieder gute Dienste zur Seinsvergewisserung.

Die Anemone kommt vor und einmal auch die Eberesche, am meisten hat es Benn allerdings die Rose angetan, und man kann sich das durchaus auch in einer anderen Form als der reiner Lyrik vorstellen, gesungen zum Beispiel von der dunklen Stimme Zarah Leanders. Zur selben Zeit, als Rudi Schuricke mit seinem Lied von den "Capri-Fischern" Furore macht, beschwört Benn auf fast dieselbe Weise die "Latinität". Da liegt etwas in der Luft. Benn ergreift es, und er ist damit seiner Zeit in gewisser Weise auch voraus. Er versetzt seine Sprache häufig mit Alltagsslang, mit Anspielungen an die Populärkultur; er hat einen schnoddrigen, coolen Gestus.

Der Benn-Sound spielt mit Elementen des Pop, bevor es einen Begriff dafür gibt. Als Sohn eines protestantischen Landpfarrers geboren, neigt er nicht zu großen Gefühlen. Aber da er sie trotz allem ständig in sich spürt, hebelt er sie durch eine zwischen Zynismus und abgründiger Weisheit ständig changierende Artistik immer wieder aus. Dass er mitsamt den allermeisten Deutschen gerade einen wahnsinnigen Blut- und Boden-Rausch als Nationalsozialist initiiert hat, schwingt im Untergrund zwangsläufig mit:

"Wenn erst die Rosen verrinnen
Vom Baume oder vom Strauch
Und das Entblättern beginnen
Fallen die Tränen auch."


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