Wenn ein Text sie findet

Von Gerhard Richter · 18.08.2010
Gedichte blühen bei Poetry Slams oft erst richtig auf. Xochil Andrea Schütz ist eine Künstlerin, die in den letzten Jahren mächtig abgeräumt hat - mit ihren Texten und ihrer Stimme.
"Ich bin Nachtmensch, ich geh viel nachts raus ja und ich such eigentlich immer die Ecken in denen die Häuserschluchten schwinden und ganz viel Himmel ist."

Auf diesen nächtlichen Spaziergängen durch die Städte, in denen sie gerade lebt, bekommt Xochil Schütz manchmal unerwartet Begleitung. Von Worten, Sätzen, Texten:

"Ich freue mich, wenn mich ein Text findet. Die Texte kommen, kommen zu mir und sind dann wie kleine weiche Tiere, die dann bei mir leben. Aber die kommen einfach. Die werden gar nicht gesucht."

Xochil Schütz ist eine gute Adresse für Texte, die vorgelesen werden wollen. Das hat sich wahrscheinlich herumgesprochen, im Textland, dass man bei ihr gute Chancen hat, bei einem Poetry Slam vorgetragen zu werden. Seit mehr als zehn Jahren macht sie das schon:

"Ich wusste damals überhaupt nicht, was ist überhaupt Poetry Slam, ist ja ein Dichterwettkampf, das war mir gar nicht klar. Und dann bin ich da mal hingegangen und das Erste war zufällig gleich ein Sex-Slam, also Thema Sex, Erotische Geschichten. Es war heiß, es war eine aufgeheizte Stimmung. Da haben wahnsinnig viele Autoren – da haben bestimmt fast zwanzig Leute mitgemacht. Und ich wurde sofort Zweite."

Später wird sie auch Erste, ziemlich oft sogar. Diese Dichterwettbewerbe werden die literarische Heimat der zierlichen Frau mit schulterlangen dunkelbraunen Haaren. Mit halbgeschlossenen Augen steht sie vor dem Mikro, ganz aufrecht, und lässt die Worte mit ihrer Stimme davon wehen, ins gebannte Publikum. Mit solchen sinnlichen Gedichten macht sie sich einen Namen in der Szene. Sie unterbricht sogar ihr Politikstudium, obwohl sie ein Stipendium hat:

"Der Slam ist sehr bunt und es gibt politische Menschen dort und es gibt für jede Identität dort Raum. Und das ist so schön, das ist wie 'ne kleine Gesellschaft, die Raum lässt. Es ist Zivilgesellschaft auch und eine hohe demokratische Kultur. Man konnte sich ausprobieren und sich finden."

Xochil kam 1975 in Mannheim auf die Welt. Ihren Namen brachten ihr Vater, Deutschlehrer, und die Mutter, Übersetzerin, aus einem Mexiko-Urlaub mit. "Xochil" bedeutet "Maisblüte". Und auch wenn sie sagt, sie habe nichts mit Mexiko zu tun, ihre Augen sind doch so dunkel wie der Eingang zu einem unerforschten Maja-Tempel. Als Kind hört sie am liebsten eine Cassette mit Balladen und Gedichten:

"Also die Stimme und diese Texte, das war wie zuhause sein."

Ihr erstes eigenes Gedicht schreibt sie für die Deutschlehrerin. Mit zwölf gewinnt sie beim Lyrikwettbewerb der Schülerzeitschrift den 2. Preis. Von dem Geld kauft sie zwei Schallplatten. Der frühe Erfolg bestärkt sie im Schreiben, und sie schreibt, egal, wo sie später lebt:

"Mannheim, Pforzheim, Koblenz, Wuppertal, Berlin, Hamburg, Krakau und wieder Berlin."

Unterschiedliche Werke entstehen: ein Hörspiel über das Gefangensein in der Familie, dutzende Kurzgeschichten, zwei Romane, die bald veröffentlicht werden, darunter ein Handbuch für Männer über den Umgang mit Frauen. Und immer wieder kurze Texte für den Slam – den Wettbewerb. Eine harte Schule für die Dichterin:

"Es gibt kaum Vorschusslorbeeren, also man muss jedes Mal neu beweisen, dass man gut ist. Das ist hart. Man kann da auch total scheitern und sehen, wo die eigenen Schwächen sind."

Mittlerweile hat sie ein Schulbuch über Poetry Slam veröffentlicht, obwohl sie dort nicht mehr so häufig auftritt:

"Ich hab gemerkt, dass ich anfange mich zu ekeln, dass ich immer die gleichen Texte mache, nur weil ich weiß, mit den Texten hab ich den Slam schon weiß ich wie oft gewonnen, man fordert sich nicht mehr heraus, weil man nur noch gewinnen will, und das hat mich gelangweilt."

Aber sie ist noch ein Teil der Szene und gibt Workshops für Schüler im Gedichteschreiben und -vortragen. Sie hat ihr Politikstudium mit Diplom beendet, und: noch wichtiger: Sie hat eine CD veröffentlicht, mit ihren eigenen Texten und Musik. Perlenkind:

"Ich möchte eine Perle sein, kein Mensch. Sag ich dem Vogel Rot der fragt. Und dann das Rauschen um und um, ach ja. Und etwas - später weiß ich, ich war das - fängt da zu wachsen an."

Acht Jahre hat Xochil Schütz an dieser CD gearbeitet. Und was kommt jetzt?

"Ich weiß es nicht und das find ich auch schön, dass ich das nicht weiß. Es ist alles offen. Manchmal glaube ich sogar, es könnte ein Leben geben, in dem die Sprache weniger wichtig wird, aber vielleicht wird sich auch nur die Sprache verändern und dann bleibt die Sprache etwas sehr Schönes."

Perlenkind: "…Und wenn es zu schön ist, musst du deine Augen schließen, und alles, alles wird ein Rauschen und ein Fließen…"

Homepage von Xochil Andrea Schütz
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