Wenn die Uhr nicht tickt

Über das schlechte Image der kinderlosen Frau

Eine Federwippe auf einem Spielplatz in Bayern.
Kinderlosigkeit werde schnell als "verantwortungslos" gezeichnet, so Kommentatorin Sarah Diehl. © picture alliance / dpa / Armin Weigel
Von Sarah Diehl · 25.03.2015
Frauen, die einfach keine Kinder wollen, stoßen immer wieder auf Unverständnis. Das Image der kinderlosen Frau sei ein negatives, meint die Autorin und Filmemacherin Sarah Diehl. Dabei würden "Natur" und "Autonomie" gegeneinander in Stellung gebracht.
Es hat eine lange Tradition Frauen einzureden, dass sie durch ihre Gebärfähigkeit unfreier sind als Männer: Weiblichkeit wird gerne gepriesen als Garant für Liebe und Fürsorglichkeit, womit Frauen eine Kompetenz für Pflege und Einfühlsamkeit unterstellt wird.
Seit seiner Erfindung im 18. Jahrhundert, ist die Behauptung des “Mutterinstinkts“ ein Mittel, um Frauen an Kind und Herd zu binden und der Verfügungsgewalt von Staat und Ehemann zu unterstellen – und er hält sich bis heute im pseudowissenschaftlichem Allgemeinwissen. Daraus wird ihnen leicht ein Strick gedreht: Denn wenn sie ihm nicht nachkommen, gelten sie als selbstsüchtig, gefühlskalt und unnatürlich. Das Image der kinderlosen Frau ist bis heute oft negativ besetzt.
Doch die Zeiten haben sich bekanntlich geändert: Der finanzielle und soziale Status von Frauen wird heute nicht mehr durch ihre Heirat und ihre Mutterschaft bestimmt. Zudem haben sie durch sichere Verhütungsmethoden und den Schwangerschaftsabbruch die Kontrolle über ihre Fortpflanzung erlangt.
Tickende Uhr als Angstmacher
Da diese ökonomischen und sozialen Zwänge nun weitestgehend wegfallen, werden Frauen gerne die tickenden biologischen Uhren vorgehalten: Man will ihnen nun Angst machen, dass sie aufgrund ihrer "Natur" psychologische Schäden bekommen, wenn sie sich der Kleinfamilie und der Fürsorgearbeit, die sie darin unentgeltlich leisten sollen, entziehen. Die "Natur" scheint keine Freundin der Frau zu sein, denn sie wird rhetorisch immer gegen ihre Autonomie in Stellung gebracht.
Ohne Kinder kommen Frauen gar nicht erst in die Situation, in Arbeitsbedingungen, im Haushalt und der Kinderbetreuung gedrängt zu werden – die jede Gewerkschaft ablehnen würde, die sie aufgrund der emotionalen Bindung an ein bedürftiges Kind aber hinnehmen müssen. Kinderlosigkeit mag somit für manche eine Art Selbstschutz sein, denn die herrschenden Geschlechterbilder drängen viele Mütter in eine Rolle, die ihre Handlungsfähigkeit massiv einschränkt.
Mehr Kinder wird auch von Politik und Medien als einfaches Allheilmittel gegen demografische Probleme angepriesen – mit zweierlei Effekt: Zum einen kann man der Frauenemanzipation die Schuld am herbei diskutierten Niedergang der Nation geben, zum anderen kann man andere Lösungen, wie Erweiterung des Familienbegriffs, Zuwanderung und mehr Geld für Kinderbetreuung auf die lange Bank schieben. Aber bei wachsender Arbeitslosigkeit und dem Ausbau des Niedriglohnsektors hilft auch ein Bevölkerungswachstum den Rentenkassen nicht.
Vorwurf der gesellschaftlichen Entsolidarisierung
Die Politik muss also die Rahmenbedingungen an die aktuelle Lebensrealität der Menschen anpassen und nicht umgekehrt, die Menschen in das starre Korsett überholter Konzepte pressen wollen.
Kinderlosigkeit wird schnell als "verantwortungslos" gezeichnet, um es als Symptom für die Entsolidarisierung in der Gesellschaft abzustrafen. Im Gegenteil betonen Kinderlose, dass sie mehr Kapazitäten haben, sich gesellschaftspolitisch zu engagierten.
Sie kreieren neue Formen des solidarischen Zusammenlebens, die unsere Gesellschaft abseits der Kleinfamilie sowieso benötigt. Sie machen die Unzufriedenheit gegenüber alten Familienkonzepten und Geschlechterverhältnissen deutlich und etablieren das Nachdenken über Alternativen. Und: Kinderlose ermöglichen somit auch das Zusammenleben mit Kindern, auch wenn es nicht die eigenen biologischen sind. Damit werten sie soziale Elternschaft auf, was Mütter und Väter immens entlasten kann.
Aber vor allem etablieren sie neue Konzepte von Weiblichkeit – abgekoppelt von der Aufopferung in der Mutterschaft – von denen alle Frauen profitieren können.
Sarah Diehl, geboren 1978, studierte Museologie, Afrikawissenschaften und Gender Studies. Sie arbeitet zum Thema "Reproduktive Rechte im internationalen Kontext", hat zwei Anthologien veröffentlicht und einen preisgekrönten Dokumentarfilm gedreht: Abortion Democracy: Poland/South Africa. 2012 erschien ihr erster Roman Eskimo Limon 9. Sarah Diehl lebt als Autorin, Publizistin und Filmemacherin in Berlin.
"Die Uhr, die nicht tickt – Kinderlos glücklich" – Eine Streitschrift erschien im November 2014 im Arche Verlag.
Die Publizistin und Filmemacherin Sarah Diehl
Die Publizistin und Filmemacherin Sarah Diehl© privat
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