Wenn der Traumurlaub zum Alptraum wird

von Markus Plate · 13.06.2012
Wer an Costa Ricas Küste in der Sonne liegen will, kommt preisgünstig mit einer Pauschalreise ans Ziel. Dafür zahlen die Einheimischen oft einen teuren Preis: Viele von ihnen mussten ihre Häuser räumen, um Hotelketten Platz zu machen. Ein neues Gesetz soll Anwohnern jetzt ein Bleiberecht gewähren.
In Guanacaste, der Küstenprovinz im Norden Costa Ricas an der Grenze zu Nicaragua, beginnt die Regenzeit. Draußen über dem Pazifik thronen hohe dunkle Wolken, die Luft ist bei zweiunddreißig Grad feucht und drückend. Mit der Trockenheit neigt sich auch die touristische Hauptsaison ihrem Ende entgegen, die von Oktober bis Mai Abertausende nationale und internationale Besucher an die Strände zieht.

Der kleine Küstenort Ostional liegt direkt an einem langen Pazifikstrand, im Norden und Süden begrenzt durch Mangrovenwälder. Etwa 700 Menschen leben hier, oft noch in mit getrockneten Palmblättern gedeckten Holzhäusern. In den Gärten stehen Mango- oder die knallrot blühenden Guanacaste-Bäume. Hier in Ostional betreibt der Biologe Rodrigo Morena Avila eine kleine Forschungsstation. Auf seinem täglichen Strandrundgang beschreibt er einer Gruppe Studenten aus der Hauptstadt San José, was das Ökosystem der Pazifikküste von Guanacaste ausmacht. Dabei ist dem schüchternen Naturwissenschaftler aus Leidenschaft die Begeisterung anzusehen.

"Die ganze Region der Halbinsel ist geprägt durch den trockenen Tropenwald. In der Trockenzeit verlieren viele Bäume ihre Blätter, in der Regenzeit blüht dagegen alles. Es gibt eine große Vielfalt an Säugetieren: Jaguare, Brüllaffen, Waschbären, Fledermäuse, dazu rund 500 Vogelarten, Reptilien wie Kaimane, Schlangen, Leguane und Geckos. Der im Vergleich zu den Feuchttropen lichte Wald sorgt dafür, dass man diese reiche Ökosystem hier sehr gut beobachten kann."

In jedem Sommer erlebt Ostional eine Massenankunft. Es sind die 70 Zentimeter langen Bastardschildkröten, die den sanft ansteigenden und dann auf einem Sandplateau endenden Strand zur Eiablage nutzen. Dieses nächtliche Schauspiel erwarten nicht nur Touristen und Dorfbewohner, auch Geier und Leguane haben sich in Stellung gebracht. Das Schildkrötenprojekt von Ostional, für das Rodrigo arbeitet, ist mehr als Forschung, es bindet das ganze Dorf mit ein, zum Nutzen von Tieren und Einheimischen.

"Bei der ersten Ankunftswelle kommen etwa 15.000 Schildkröten. Mit der zweiten Welle kommen über 30.000 Tiere und in dieser Nacht werden die meisten Eier der ersten Welle zerstört. Deswegen haben wir gesagt, dass die Dorfbewohner nach der ersten Welle bis zu 200 Eier sammeln dürfen. So profitiert das Dorf, das nun die Eier beschützt. Vor dem Projekt kamen alle möglichen Leute und haben die Gelege geplündert. Heute ist dies reguliert und ab dem 3. Tag ist es illegal, Eier zu entnehmen."

Auch immer mehr internationales Publikum zieht es an die Strände von Guanacaste. Surfer schätzen die steten, langen Pazifikwellen. Rucksacktouristen tingeln gemächlich von Ort zu Ort. Dazu gesellen sich Golfer, die auch in der Trockenzeit über saftige Wiesen spielen wollen. Und die Anleger, die hier im großen Maßstab Appartementparks hochziehen. Rund vierzig Kilometer nördlich von Ostional sind in den letzten drei Jahrzehnten ein gutes Dutzend riesiger Hotels entstanden, die den Touristen den so beliebten All-Inklusive Urlaub bieten, sehr zum Ärger des Biologen Rodrigo:

"Mega-Tourismusprojekte wurden oft auf den Mangroven errichtet, Flussläufe wurden umgeleitet, der Wald gerodet. Der zunehmende Wasserverbrauch ist eines der größten Probleme hier, in einer Gegend, wo die meisten Flüsse nur in der Regenzeit Wasser führen. Die Golfplätze zapfen massiv das Grundwasser an. Damit versalzen unten an den Buchten die Brunnen, da der Grundwasserspiegel sinkt und das Meer hineindrückt. Der Megatourismus ist also eine gewaltige Bedrohung für so fragile Ökosysteme wie Ostional"

Der Strandort Brasilito nur eine Autostunde von Ostional entfernt war vor zwanzig Jahren noch ein winziges Küstendorf, heute umgeben ihn große Tourismusanlagen. Am südlichen Ende der langen Bucht macht sich eines dieser Großhotels breit, am nördlichen Ende stehen fünf Appartmentkästen. Hier, in Brasilito, ist Sharon geboren und aufgewachsen. Die Dreißigjährige sitzt mit ihrer Mutter Magdalena und vier Kindern im Schatten eines alten Mandelbaums vor ihrem kleinen Haus mit Blick auf das Meer. Die Mutter denkt wehmütig an friedlichere Zeiten zurück:

"Wir waren damals noch wenige, 15 Familien vielleicht. Die Leute haben Mais gepflanzt und vom Meer gelebt, von Krabben und Fischen. Manchmal wurde ein Huhn geschlachtet und ab und zu ein Schwein. Wir mussten keine Stromrechnungen bezahlen, wir hatten eben nur Kerzen. Heute können die Kinder nicht mehr auf der Straße spielen, wegen des ganzen Verkehrs. Früher haben wir uns um nichts Sorgen gemacht."

Mit der Ruhe ist es schon länger vorbei. Mittlerweile verbinden asphaltierte Straßen die Umgebung Brasilitos mit dem Hinterland und dem internationalen Flughafen von Guanacaste. Hier sind täglich hunderte Busse und unzählige Autos sonnenhungriger Besucher zu den Meeresbuchten unterwegs. Viel habe der Touristenboom den Dörfern nicht gebracht, nicht einmal Arbeitsplätze, klagt Sharon:

"Nur wenige arbeiten in den Hotels oder den Luxusappartments, das meiste Personal kommt von außen. Einige bieten Touren ins Umland an oder verkaufen Kunsthandwerk. Aber das sind alles informelle Beschäftigungen. Wir sind hier unsichtbar gemacht worden, fast von der Landkarte gelöscht. Die Investoren würden uns am liebsten ganz von hier fort haben, damit sie selbst hier leben oder die Bucht nach ihren Plänen entwickeln können."

Eigentlich gibt es in Costa Rica seit über dreißig Jahren ein Küstenschutzgesetz, dass unter anderem Einheimischen wie Besuchern den Zugang zum Meer garantiert. Es erklärt die ersten 50 Meter von der Wasserkante landeinwärts zum Staatsbesitz, der nicht bewirtschaftet werden darf. Die nächsten 150 Meter dürfen nur eingeschränkt und unter Auflagen genutzt werden. Den Menschen, die seit Generationen in beiden Schutzzonen leben, räumt das Gesetz ursprünglich das Recht ein zu bleiben, wenn sie ihr Land registrieren lassen. Doch das ist heute leichter gesagt als getan, schimpft Sharon.

"Die Menschen hier haben jahrelang versucht, in der Provinzhauptstadt ihr Haus eintragen zu lassen. Aber dort sind sie auf taube Ohren gestoßen. Die haben nur Interesse an Unternehmern oder Investoren. Uns haben sie gesagt, wir müssten hier weg, die sind sogar mit Bulldozern angerückt, um unsere Häuser zu zerstören. Und heute sagen sie, klar, ihr könnt einen Besitztitel bekommen, für 6.000 Dollar. Aber die Leute haben hier nicht soviel Geld. Unter diesen Umständen verkaufen einige Familien dann lieber an einen Amerikaner und ziehen weg, um endlich Ihre Ruhe zu haben."

Ein Besuch im RIU Guanacaste, einem der neuesten Großhotels, keine 10 Kilometer Luftlinie von Brasilito entfernt. 1500 Betten hat das 5-Sterne Hotel, verteilt auf vier Stockwerke, und drei Flügel, die einen riesigen Bar- und Poolareal einrahmen. Vier Restaurants stehen den Gästen zur Verfügung, Fitness- und Wellnessbereich, Shoppingmall und eine hoteleigene Diskothek runden das Angebot ab. Eine kleine Stadt direkt am Strand.

Dass Hotels dieser Größenordnung Auswirkungen auf die Umwelt haben und das Leben der lokalen Bevölkerung verändern, sei dem Unternehmen bewusst, sagt der stellvertretende Hotelmanager, Ricardo Alfaro. Ricardo sitzt gerade mit einem Vertreter des Tourismusministeriums zusammen und bespricht, wie sich die regionale Küche noch stärker im kulinarischen Angebot wiederfinden kann.

In diesem Unternehmen habe man aus den Fehlern der ersten Hotels gelernt und von Anfang an Wert gelegt auf Umweltschutz und eine Zusammenarbeit mit den Gemeinden. Abfall werde in seinem Hotel konsequent vermieden, getrennt und recycelt, beim Einkauf achte man auf Ressourcenschonung und regionale Produkte und der Wasserverbrauch sei in seinem Hotel mittels moderner Wiederaufbereitungstechniken drastisch reduziert.

"Jede große Investition eines Unternehmens bedeutet Auswirkungen auf die Menschen, die dort leben. Durch Orte, wo früher eine Handvoll Autos fuhren, kommen heute Hunderte. Wir kümmern uns daher intensiv um das Verhältnis zu den Nachbargemeinden. Wir investieren in Entwicklung, wir stellen bevorzugt lokale Kräfte ein und wir haben ein Schildkrötenschutzprojekt aufgelegt, das den Menschen hier Arbeit bringt."

Sechzig Kilometer südlich von Brasilito betreibt die Münchenerin Berit ein kleines Bed-and-Breakfast-Hotel direkt am Strand. Der Ort Sámara liegt an einer weiten Bucht, eingerahmt von Hügeln und geschützt von einem Riff draußen auf dem Meer, das die Wellen bricht, die so nur noch seicht an den Strand schwappen. Sámara lädt zum Baden ein, zum Surfen, zum Sonnenbaden auf dem weißen, flachen Strand oder gemütlichen Strandspaziergängen.

Berit sitzt auf der Veranda und genießt die Ruhe. Ihr Hotel ist nach dem Ende der Hochsaison geschlossen. Die Schönheit der Küste Guanacastes hat nicht nur Aussteiger wie sie angezogen, auch Anleger und Immobilienspekulanten haben sich hier in den letzten Jahren massiv eingekauft.

"Als wir kamen vor zwölf Jahren war Sámara ein kleiner, verschlafener Strandort. Es war ein angenehmer Mix aus Einheimischen, den Ticos. Und dann kam dieser große Boom dass Costa Rica auf dem Weltmarkt die Nummer Eins wurde, wo man sich einkaufen kann, wo man investieren sollte und wo man schnelle Kohle machen kann. Es kamen unglaublich viele Amerikaner hierher. Und haben Grundstücke gekauft und Grundstücke gekauft und wollten hauptsächlich Appartementgebäude hinsetzen. Und haben angefangen, das Land zu zerstören, also das erste, was sie gemacht haben, ist die Wälder abzuholzen. "

Playa Pelada, zwischen Sámara und dem Schildkrötenstrand von Ostional gelegen, ist so ein Beispiel. Eine winzige Fischergemeinde mit zwanzig Häusern wehrt sich verzweifelt gegen Villen, Luxusappartements und feine Wellnesshotels, deren Besitzer mit unfeinen Mitteln versuchen, das ganze Dorf loszuwerden.

Olga Duarte ist 40 Jahre alt und hier geboren. Ihr Großvater hatte sich hier vor über 70 Jahren niedergelassen und arbeitete zeitlebens als Fischer, wie fast alle hier. Sie trägt weite Shorts, eine enge, ärmellose Bluse und wie fast alle an der Küste Flipflops. Olga geht am Strand spazieren und blickt über die Bucht, die ihre Heimat ist:

"Am Strand zu leben ist alles, was ich brauche. Wenn sie mir das wegnehmen, ist das, als ob sie mir die Luft zum Atmen nähmen. Der Frieden, die Harmonie, der Wind, der Dein Gesicht und Deinen Körper berührt. Ich habe hier alles, was ich brauche, mehr kann ich mir nicht wünschen."

Vier bescheidene Häuser umfasst das Grundstück, hier leben neben Olga, ihrem Mann und den vier Kindern noch die Geschwister mit ihren Familien. Eine kleine Metall- und Holzwerkstatt steht unter Mangobäumen, auf denen Brüllaffen krabbeln. Auch Olgas Familie hat keinen Landtitel, Investoren und Behörden machten gemeinsame Sache, um die Filetstücke am Strand denen zuzuschanzen, die Geld haben. Und so ist das ursprüngliche Playa Pelada nun eingezwängt von teuren Bauten reicher Ausländer, deren Anwesen sich die Hügel hinaufziehen. Die ausländischen Nachbarn haben sich einfallen lassen, zusammen mit der Kreisverwaltung und der Umweltbehörde die ganze Bucht unterhalb ihrer Anwesen unter Naturschutz zu stellen.

"Damit versuchen sie, uns von hier weg zu bekommen, um dann ihre Großprojekte direkt an den Strand zu setzen. Wenn sie wirklich den Naturschutz im Sinn hätten, dann würden sie mit uns zusammenarbeiten und Bäume pflanzen, statt abzuholzen. Wie ist das möglich, dass Leute, die kaum hier angekommen sind, Häuser in der Schutzzone errichten können? Das haben sie mit Geld gemacht, nicht auf legalem Wege. Ein Abgeordneter hat sogar gesagt, die Strände seien für die Reichen, nicht für die Armen. Und so habe ich Angst, dass irgendwann der Tag kommt, wo wir nicht mehr können und von hier weg müssen. "

Seit ein paar Jahren wehren sich die Küstengemeinden ganz Costa Ricas gegen die Investoren. Wie es scheint, mit Aussicht auf Erfolg: Im Parlament in San Jose liegt derzeit ein Gesetzentwurf, der die Küstengemeinden schützen soll. Alle Costaricaner, die mindestens seit zehn Jahren in den Schutzzonen leben, sollen für siebzig Jahre bleiben dürfen. Ihr Land würde registriert, sie dürften es vererben, aber nicht verkaufen.

"Das neue Gesetz der Küstendörfer wird sowohl mir, als auch meinen Kindern und Enkeln ein Bleiberecht garantieren. Es ist ein Gesetz, dass uns umarmt, das uns unterstützt, es ist ein Gesetz der Solidarität. Wir alle hoffen, dass die Abgeordneten dieses Gesetz beschließen."

Es wäre ein Anfang, der Schutz costaricanischer Lebensweise in den Küstenzonen. Für Olga aus Playa Pelada und Sharon aus Brasilito besteht Grund zur Hoffnung, dort bleiben zu können, wo sie immer gelebt haben, direkt am Pazifik in Guanacaste.
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