Wenn der Job krank macht

03.07.2013
Joachim Bauer greift mit "Arbeit" einmal mehr eine drängende gesellschaftspolitische Frage auf. Dabei stellt er Leiden und Wohlergehen des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt. Sie müssten unter anderem Gestaltungsspielraum und gerechte Löhne erhalten, um gesund und in Würde zu arbeiten.
Rasch eine Internet-Recherche, ein paar Mails an Arbeitskollegen, die Listen vervollständigen, die Chefin zurückrufen - und was ist mit den Ausdrucken für das Meeting? Multitasking nennt sich das und ist eine von vielen aktuellen Entwicklungen, die Joachim Bauer in seinem neuen Buch "Arbeit" auf den Prüfstand stellt. Unter welchen Bedingungen empfindet ein Mensch seinen Beruf als erfüllend und sinnstiftend? Wann entgleitet das Arbeiten in eine demütigende und krankmachende Qual?

Einmal mehr greift Joachim Bauer eine drängende gesellschaftspolitische Frage auf und interessiert sich dabei für die Schnittstellen zwischen Medizin, Natur- und Kulturwissenschaften. Im Mittelpunkt seiner Reflexionen stehen Leiden und Wohlergehen des einzelnen Menschen.

Die Mehrheit aller Arbeitsplätze in den Industrieländern ist inzwischen so konzipiert, dass die Arbeitenden durchgehend mit verschiedenen Anforderungen jonglieren müssen. Neurobiologisch zwingt sie das zurück in die Frühzeit der menschlichen Evolution, warnt Joachim Bauer. Tiere ohne konkrete Anforderung durchstreifen ihre Lebensräume mit einer permanenten unspezifischen Wachsamkeit.

Von welcher Seite könnte ein Angriff drohen, wie ließe sich Deckung finden, wo liegt der Fluchtweg? Ein erst vor kurzem entdecktes "Unruhe-Stresssystem" ist dabei hoch aktiv, erklärt der Autor - genau das widerfahre Menschen, denen an ihren Arbeitsplätzen eine fokussierte Konzentration verwehrt bleibe: Sie geraten, im Extremfall über Jahre hinweg, in einen Zustand permanenter Beunruhigung.

Es sind die stärksten Passagen des Buches, wenn Joachim Bauer sein gesellschaftspolitisches Thema klug und menschenfreundlich mit medizinischem Wissen koppelt - so auch, wenn er sich engagiert dagegen wehrt, das Burn-Out-Syndrom als Modediagnose abzutun. Zu viel Arbeit und die womöglich noch ethisch fragwürdig oder sinnlos, ein Mangel an Lob, fairer Entlohnung und Kollegialität - das ist die wissenschaftlich gut dokumentierte Mixtur, die Menschen seelisch auslaugt und innerlich von Arbeit und Arbeitskollegen entfremdet.

Blasser geraten Joachim Bauers Ausflüge in die Geschichte und Philosophie - Wert und Entwertung der Arbeit von der Antike bis zu den prekären Beschäftigungsverhältnissen unserer Tage; Muße und das tätige Leben von Francis Bacon bis Hannah Arendt. Gründlich möchte der Autor sein Sujet ausleuchten, dennoch wurden solche Aspekte an anderer Stelle schon sinnfälliger platziert.

Zu seiner vollen Überzeugungskraft findet Joachim Bauer dann wieder, wenn er Bedingungen nennt, die erfüllt sein müssen, damit Menschen ihre Arbeit in Würde und Gesundheit ausüben können: Gestaltungsspielraum und Wertschätzung gehören dazu, eine gerechte Entlohnung und Kollegialität, und selbstverständlich sollte die schiere Arbeitsmenge das Menschenmögliche nicht überschreiten. Doch nichts davon ist selbstverständlich, darum sucht Joachim Bauer die Popularität und erhebt seine Stimme - mit dem Nachdruck und der Kompetenz des praktizierenden Arztes.

Besprochen von Susanne Billig

Joachim Bauer: "Arbeit. Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht"
Blessing Verlag, München 2013
270 Seiten, 19,99 Euro