Wenn der Hund die Zeitung holt

23.03.2009
Dass sich in Tieren ein komplexes mentales Innenleben abspielt, ist jedem offensichtlich, der mit einem Tier zusammenlebt. Wer hat nicht manchmal das Gefühl, dass ein Hund so gut wie jedes Wort versteht oder die Katze einen geheimen Plan verfolgt, uns mit ihren Launen auf Trab zu halten?
Biologen berichten von Schimpansen, die Gebärdensprache erlernen, von Krähen, die Werkzeuge planen und bauen, oder Delfinen, die sich in komplizierten Lautfolgen verständigen können. Denken Tiere? Denken sie so wie wir? Der deutsche Philosoph Reinhard Brandt geht in seinem Buch "Denkende Tiere" dieser Frage nach.

Die Maus findet ihren Weg durchs Labyrinth, der Hund holt die Zeitung, die Krähe baut Werkzeuge, der Wal funkt Botschaften ins Meer – was denken sich Tiere dabei? Denken sie überhaupt? In seinem schmalen Band "Können Tiere denken?", erschienen im Suhrkamp Verlag, fordert der deutsche Philosoph Reinhard Brandt zunächst eine präzise Definition des Begriffes "Denken" - daran fehle es häufig in naturwissenschaftlichen Publikationen, kritisiert er.

Für Brandt geht es darum, ein Urteil bilden zu können, das drei Eigenschaften aufweist: Zum ersten muss das Urteil sich auf etwas beziehen, dass der Denker sich geistig vorstellt und das außerhalb des Urteils liegt, zum zweiten muss sich die Aussage bejahen oder verneinen lassen und drittens wahr oder falsch sein können. "Der Baum ist nicht rot" wäre ein Beispiel für solch ein Urteil: Das Prädikat "rot" zeigt imaginativ auf etwas, das außerhalb des durch "Baum" bezeichneten Gegenstandes liegt. Die Aussage beinhaltet die Möglichkeit einer Verneinung – in diesem Fall wird sie ausgesprochen. Und das Urteil des nicht-roten Baumes kann wahr oder falsch sein.

Schon im ersten Kapitel kommt der Autor zu dem Schluss, dass Tieren eben diese Art des urteilenden Denkens nicht möglich ist: So komplex Singvögel ihre Strophen variieren und kombinieren: Niemals äußern sie dabei eine Verneinung, niemals sagen sie Wahres oder Falsches. Nicht in Abrede stellt der Autor die komplexen mentalen Leistungen von Tieren: Über Augen, Ohren, Tastsinn nehmen sie ihre Außenwelt wahr, sie können Freude äußern oder Schmerz und bilden komplexe Sozialgefüge, in denen sie sich streiten und versöhnen.

Auch über eine "innere Arena von Bildern" verfügen Tiere, führt der Autor aus, denn sie erinnern sich, hoffen und warten. Doch alles dies sei Naturgeschehen: Tiere reagieren auf Reize. Verblassen die Reize, verblasst auch die innere Vorstellung. Ein Denken - wenn man mit diesem Wort jene innere Welt des Erwägens, Urteilens, Reflektierens, logischen Verknüpfens und Moralisierens bezeichnen möchte, die Menschen in sich bewegen – ist das alles eben nicht, folgert der Autor schlüssig.

Seit Darwin wissen wir, dass der Mensch sich allmählich aus Vorformen entwickelte. Das gilt auch für sein Denken - womit nicht entschieden ist, ob der Geist als solcher als Produkt der Evolution verstanden werden kann oder ob die Evolution lediglich mit dem Gehirn ein physisches Werkzeug geistiger Erkenntnis hervorgebracht hat. Reinhard Brandt wagt sich sogar an eine Erklärung, wie das Denken stammesgeschichtlich entstanden sein könnte: Aus dem Zeigen auf etwas Vorhandenes, das sich später zu einem Kommunizieren über das Nicht-mehr-Vorhandene und dem Urteilen über den Wahrheitsgehalt solcher Kommunikation weiterentwickelte.

In all dem spricht der Autor als Philosoph – nicht als naturwissenschaftlicher Empiriker. Biologen mögen ihm das zum Vorwurf machen, Reinhard Brandt verteidigt es: Zum einen seien psychische und geistige Prozesse nicht auf chemische und physikalische Prozesse reduzierbar (kein Atom kann erkranken, kein Molekül trauern), zum zweiten sammele die Biologie Fakten über Sachverhalte und bediene sich dabei Denkformen, die sie in der eigenen Disziplin nicht mehr untersuche. Deshalb müsse die Logik des Erkennens philosophisch reflektiert werden. In der aktuellen Diskussion um Hirnforschung und Bewusstseinsbildung liefert Reinhard Brandts Buch einen nicht immer leicht zu lesenden, aber klugen und differenzierten Beitrag.

Rezensiert von Susanne Billig

Reinhard Brandt: Können Tiere denken?
Ein Beitrag zur Tierphilosophie.

Suhrkamp Verlag, 159 Seiten, 10 Euro