Wenn das Zuhause zum Tatort wird

Rosmarie Priet im Gespräch mit Gabi Wuttke · 15.05.2013
Nach einem Einbruch stellen sich bei den Opfern nicht nur Angstzustände, sondern Ekel und Scham ein. Denn: "Die Einbrecher haben eine Intimgrenze überschritten", sagt die Psychologin Rosmarie Priet. Wichtig sei, dass die Opfer darüber sprechen und es nicht bagatellisieren.
Gabi Wuttke: Das traute Heim, immer öfter hat es ungebetene Besucher. Das belegt die neue Kriminalstatistik, die heute offiziell vorgestellt wird. Sie haben es vielleicht in den Nachrichten gehört: In nur vier Jahren ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland um fast 30 Prozent gestiegen. Immer mehr Einbrecher also knacken Türen auf, schlagen Fenster ein, nehmen mit, was ihnen nicht gehört. Und der Bewohner? Im geringsten Fall fühlt er sich in seinen eigenen vier Wänden nicht mehr wohl.

Was genau löst diese Grenzüberschreitung in ihnen aus? Rosmarie Priet ist Psychologin und leitet die Beratungsstellen Opferhilfe in Brandenburg. Einen wunderschönen guten Morgen!

Rosmarie Priet: Ja! Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Ist das für Menschen, bei denen eingebrochen wurde, wichtig, wer war das, was war das für ein Typ? Oder ist es die Tatsache an und für sich?

Priet: Es ist die Tatsache an und für sich. Natürlich fragen sich Betroffene danach – und das ist ja auch oftmals, dass es dann zu so einem Grübeln richtig kommt -, warum gerade ich, was hat den Täter dazu gebracht, gerade bei mir einzubrechen, ist da vielleicht doch was Persönliches dahinter, kommt der vielleicht wieder, holt der sich dann noch den Rest, und da kreisen natürlich die Gedanken viel um die Person des Täters und insofern spielt das natürlich eine große Rolle.

Wuttke: Mit welchen konkreten, sage ich mal, Symptomen kommen denn Menschen hauptsächlich zu Ihnen, nachdem in ihr Zuhause eingebrochen worden ist? Ist das erst mal sehr diffus, oder sehen Sie auf den ersten Blick, wie es diesen Menschen geht?

Priet: Das ist meistens nicht so diffus. Viele können das sofort benennen und sagen, sie schlafen nicht mehr, sie sind bei jedem kleinsten Geräusch sofort alarmiert, sie wollen meistens gar nicht schlafen, weil sie innerlich immer noch in Hab-Acht-Stellung sind, sie horchen auf jedes Geräusch, sie schrecken dann auch bei jedem Geräusch zusammen, sie kontrollieren ständig Fenster und Türen. Das ist erst mal ganz was Vordergründiges.

Hintergründig stellt sich dann oft heraus, dass es auch ganz viel zu tun hat mit Ekel und Scham. Die Einbrecher haben ja eine Intimgrenze überschritten, haben persönliche Dinge von ideellem Wert, haben alles angefasst, die Wäsche, haben es herausgerissen, auf den Boden geworfen. Und Betroffene erzählen dann, wenn man länger mit ihnen spricht, oftmals, dass sie sich wie beschmutzt fühlen, und viele, die ich hier berate, haben mir erzählt, dass sie dann erst mal das ganze Haus von oben bis unten geputzt haben, wie um sich sozusagen zu befreien und zu reinigen von dieser Beschmutzung.

Wuttke: In einer Studie – und das ist jetzt nicht klischeehaft mit der Rollenverteilung gemeint – heißt es, Frauen hätten nach Einbrüchen nicht unbedingt mehr Angst als Männer, aber der Einbruch in diese Privatsphäre wiegt für sie stärker. Können Sie das bestätigen aus Ihrer Berufserfahrung?

Priet: Ich kann das jetzt für Wohnungseinbrüche speziell nicht differenzieren. Frauen reagieren generell auf Übergriffe, seien sie nun körperliche Attacken oder Einbrüche, anders als Männer, sind da auch eher bereit, darüber zu sprechen, wie es ihnen damit geht. Männer reagieren tendenziell, sage ich – ich bin da sehr vorsichtig -, eher auch aktiver oder auch aggressiver, sind leichter wütend.

Wuttke: ... , was aber nicht dazu führt, dass sie dann die Häuser putzen?

Priet: Nein, das machen dann eher die Frauen.

Wuttke: Was können denn Einbruchsopfer tun, die nicht von diesem Gedanken loskommen können, dass da jemand war, jemand, der ihr Zuhause irgendwie angetastet, überschritten, schmutzig gemacht hat? Wie können Sie denn da helfen?

Priet: Das ist ja erst einmal so, überhaupt anzuerkennen, dass das ein tiefgreifender Einschnitt war. Viele Einbruchsopfer und auch das Umfeld verharmlosen das eigentlich und gestehen es sich gar nicht richtig zu. Die sagen, na ja, ist ja nichts passiert, ist ja nur Geld weggekommen oder es sind ja nur Sachen weggekommen. Aber tatsächlich ist ja viel mehr passiert, ein Eingriff in die Privatsphäre. Das Zuhause, was ja eigentlich Geborgenheit, sicheren Rückzug, Regeneration und Entspannung gewährleisten soll, das ist es plötzlich nicht mehr. Das Haus ist plötzlich ein Tatort geworden.

Und insofern ist es schon wichtig, erst mal anzuerkennen, dass da überhaupt was ganz Schlimmes passiert ist, und auch mit Menschen zu reden, die das nicht bagatellisieren, darüber zu reden, was geschehen ist und was das mit einem gemacht hat, und dann auch, wenn es möglich ist, aktiv zu werden, aus dieser Lähmung, die ja erst mal da ist, auch aus diesem Schock und dieser Lähmung herauszukommen, auch was zu machen, zum Beispiel eine Beratung in Anspruch zu nehmen bei der Polizei, was die Sicherheitstechnik betrifft, und dann für Erholung und Abstand auch zu sorgen.

Ganz wichtig finde ich auch die Selbstvorwürfe, die sich die meisten machen: hätte ich doch bloß nicht zu dem oder jenem Zeitpunkt jetzt das oder das gemacht, wäre ich früher gekommen, später gekommen, also sich klar zu machen, die Tat haben die Täter verübt und die haben auch die Verantwortung. Diese Selbstvorwürfe führen dann oftmals in so Grübelkreisläufe hinein.

Und was auch wichtig ist, natürlich sich Beratung bei uns zu holen, wenn Betroffene merken nach Tagen, dass das eben nicht abnimmt, dass ihr Grübeln oder ihre Ängste so bleiben, oder vielleicht sogar steigen, dass die dann zu uns kommen, dass sie sich beraten. Wir beraten ja auch nicht nur psychologisch, wir beraten ja auch über die rechtliche Situation: Die Polizei war ja dort, was geschieht jetzt weiter? Viele hören erst mal eine ganze Weile lang nichts von dem Verfahren, was geschieht jetzt überhaupt, hat man uns vielleicht vergessen, da gehen ja dann auch die Spekulationen los.

Um da für Beruhigung zu sorgen, Orientierung und Information, Beratung sich zu holen, das rate ich natürlich gerne an, gerade bei den Wohnungseinbruchsopfern, weil das oft unterschätzt wird, was für psychische Folgen dort dann sind nach einem Einbruch.

Wuttke: Wenn man es nicht bearbeitet, dann verklumpt es und kann noch viel schlimmer werden – vielen Dank an Rosmarie Priet, Psychologin und Leiterin der Beratungsstellen Opferhilfe in Brandenburg. Schönen Tag wünsche ich Ihnen!

Priet: Vielen Dank, Ihnen auch.

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