Wenn das Gesundheitswesen krank macht

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 10.10.2007
In "Sicko" zeigt der preisgekrönte Dokumentarfilmer Michael Moore, welche Blüten die Privatisierung des Gesundheitswesens in den USA treibt. Die Folgen haben teilweise tödlichen Ausgang. Ein Film voll bitterer Anklage. "Operation Kingdom" ist klassische Hollywood-Action um ein paar FBI-Beamte, die in Riad Terroristen aufspüren sollen.
Sicko
USA 2007. Regie: Michael Moore. Länge: 116 min.
"SICKO " von Michael Moore, d e m Provokateur des amerikanischen Films; der als Michael Francis Moore am 23. April 1954 in Davison, einem Vorort von Flint/Michigan/USA, geboren wurde. Der heute 53-jährige ist einer der populärsten Filmemacher überhaupt, tritt vor allem als Regisseur, Autor und Produzent von Dokumentarfilmen bzw. richtigerweise von satirischen (also auch sehr unterhaltsamen) Dokumentarfilmen in Erscheinung.

Moore hat den Dokumentarfilm "erweitert", "verbreitert", sozusagen: für die Masse verständlicher gemacht, wenn er seine aufklärerischen wie aufwühlenden Meinungsbilder auf die gesellschaftlichen Wunden der USA legt. Es ist so, als würden sich hier filmisch die Ansichten und Attacken von zum Beispiel deutschen Spitzen-Satirikern wie Dieter Hildebrandt, Volker Pispers, Urban Priol zu einem großartig brodelnden Gesamtwerk vereinen. Neben seinen Büchern wie "Stupid White Men" (2002) und "Volle Deckung, Mr. Bush" (2003), die zu Bestsellern wurden, sind es vor allem drei Filme, die ihn weltweit zur Berühmtheit werden ließen:

"ROGER & ME" (1989), der Angriff auf die Autobranche (die in seinem Heimatort Flint - trotz guter Wirtschaftlichkeit - die Fabriken schließen und die Menschen verarmen ließ); der Film fand Erwähnung in mehr als 100 Jahres-Top-Ten-Listen renommierter Filmkritiker und gewann verschiedene Preise als "Beste Dokumentation" bei US-amerikanischen Filmfestivals.

"BOWLING FOR COLUMBINE" (2002), der Angriff auf die amerikanische Waffenlobby, ausgehend vom Schüler-Massaker an der Columbine High School in Littleton, wurde mit einem Spezialpreis bei den 55. Filmfestspielen von Cannes sowie mit dem "Oscar" als "Bester Dokumentarfilm" ausgezeichnet. Inzwischen ist "Bowling For Columbine" die Dokumentation mit den zweithöchsten Kasseneinnahmen aller Zeiten.

"FAHRENHEIT 9/11" (2003), der Angriff auf die Regierung Bush in Sachen Terrorismus und seine "wahren" Ursachen/Zusammenhänge; wurde 2004 mit dem Hauptpreis von Cannes, der "Goldenen Palme", bedacht. Er war der allererste Dokumentarfilm in Cannes, der diesen Preis zugesprochen bekam und gilt mittlerweile als d e r erfolgreichste Dokumentarfilm überhaupt.

Jetzt also "SICKO", abgeleitet vom englischen Wort "sick" = "krank": Michael Moore seziert das kranke amerikanische Gesundheitssystem. Ausgangspunkt: Am 3. Februar 2006 fordert er die Leute über seinen Blog dazu auf, ihm per E-Mail ihre "persönlichen Horrorgeschichten" mit dem heimischen Gesundheitswesen zu senden. Innerhalb von 24 Stunden erhielt er 3.700 E-Mails, am Ende der Woche waren es über 25.000. Tenor überall: Die einstige wie vollständige Privatisierung und die daraus resultierenden, weitreichenden Folgen. Das System ist keineswegs am Erhalt oder an der Wiederherstellung der Gesundheit seiner Bürger interessiert, sondern einzig und allein - am Profit.

Dazu muss man wissen: Vor Jahrzehnten, unter Präsident Nixon, gab Washington der einheimischen Pharmabranche die alleinige Berechtigung dafür, die Krankheit der Amerikaner gewinnbringend für sich auszubeuten. Der Solidaritätsgedanke verlor sich dabei weitgehend.

Pharma- wie Gesundheitsindustrie sorgen seitdem erfolgreich dafür, dass sich daran ja nichts ändert. Mit lukrativen Jobs wie auch mit großzügigen Spenden. (Auch an Hillary Clinton übrigens, die einst ja mal lauthals antrat, das System zu reformieren) Eine Recherche über jene Kongressabgeordneten, die am neuen US-Gesundheitsgesetz im Jahr 2003 beteiligt waren, ergab, dass 14 dieser Politiker danach auf Chef-Posten in der Gesundheitsindustrie wechselten!

47 Millionen Amerikaner leben dagegen nach dem "Prinzip Hoffnung"; die meisten der restlichen 200 Millionen Versicherten haben größte Schwierigkeiten, eine anständige Behandlung zu bekommen, wenn sie mal krank werden; 18.000 von ihnen sterben jedes Jahr, weil ihre Behandlung am Geld scheitert. Einige Fall-Beispiele:

Ein 79-Jähriger arbeitet an der Müllpresse im Supermarkt, um seine Arztrechnungen bezahlen zu können. Ein Ehepaar hat Haus und Ersparnisse für drei Herzinfarkte und eine Krebserkrankung "durchgebracht" und muss in das Haus der Tochter mit einziehen, um überhaupt ein Dach über den Kopf zu haben. Ein Mann, der sich zwei Finger abgesägt hat, muss entscheiden, ob er wirklich 72.000 Dollar für das Annähen investieren will oder sich nicht doch lieber nur auf den Zeigefinger beschränkt, was "nur" 12.000 Dollar kostet. Obdachlose Patienten werden aus den Krankenhäusern von Los Angeles jeweils in Taxis verfrachtet und in der Nähe des einzigen "Sozial-Krankenhauses" auf der Straße ausgesetzt.

Und so weiter... und so weiter... und so weiter. Um die Gewinne zu erhöhen, verweigern die Kassen lebensrettende OPs. Selbst in Notfällen bestehen sie darauf, dass sich die Patienten Leistungen vorab genehmigen lassen müssen - selbst wenn man, wie in einem Fall, bewusstlos im Straßengraben liegt. Dies führt auch zu Fällen wie schließlich zu dem einer Mutter, die ihr Kind mit hohem Fieber vom nächstgelegenen Krankenhaus zu einem viel weiter entfernt liegenden fahren muss. Als sie endlich dort ankommt, ist ihr Kind tot.

"Wie konnten wie, die reichste Nation der Welt, so weit kommen, dass Kranke, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können, wie Müll auf die Straße geworfen werden?", fragt vollkommen berechtigt und engagiert Michael Moore. Um zum Film-Schluss noch den "größten Coup" zu landen. An seiner Seite: Einst freiwillige Rettungskräfte, die anlässlich der Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York Rettungsarbeit leisteten und "daran" danach erkrankten. Hustende Ground-Zero-Wracks, die in den USA keine medizinische Hilfe bekommen. Moore fährt mit ihnen nach Kuba, wo sie sofort wie unbürokratisch medizinisch behandelt werden. Und wo das Asthmamittel statt 120 Dollar nur fünf Cent kostet.

Mit "Sicko" begibt sich Moore schließlich auch in Richtung des Nachbarn Kanada oder nach Europa (GB/Fr), um dort nach dem jeweiligen Gesundheitssystem zu schauen. Fazit: Überall ist es besser, sicherer, vernünftiger, sozialer, menschlicher als bei uns. Ein starker, weil vernünftiger, engagierter, richtig wie wichtig polarisierender Dokumentarfilm, der unter die Haut und direkt an die Birne geht, dabei auch wunderbar provokant unterhält, also auf schwarzhumorig-amüsant-zweideutige Weise auch prächtiges Infotainment anbietet mit Archiv-Aufnahmen, Reklamebildern, französischen Schlagern, chinesischen Märschen sowie mit Sowjetpropaganda (weil die amerikanischen Gesundheitsapostel und Pharmariesen immer wieder gerne den "schleichenden Sozialismus" proklamieren, falls am System etwas korrigiert werden sollte).

Ein klasse Denk- und Fühl-Film, ein neues Meisterwerk von Michael Moore, das gut gemacht berührt und voll betrifft.

Operation: Kingdom
USA 2007. Regie: Peter Berg. Darsteller: Jamie Foxx, Jennifer Garner, Chris Cooper, Jason Bateman u.a.

"OPERATION: KINGDOM" ist der vierte Spielfilm des Regisseurs und Schauspielers Peter Berg (als Schauspieler: "Cop Land"/1997 + "Collateral"/2003; als Regisseur: "Very Bad Things"/1998 + "Welcome to the Jungle"/2003). Mit dem erfahrenen Produzenten Michael Mann (zuletzt: "Miami Vice") im Schlepptau, entwickelt der Regisseur einen aufregenden Action-Film mit aktuellem Polit-Geschmack, bei dem schon der Vorspann "neugierig" macht: Mittels Nachrichtenbilder-Montage à la Michael Moore gibt es eine Lektion in Sachen paranoide saudisch-westliche Zwangsehe. Über die Verquickung des archaisch-strukturierten Feudalstaates mit westlichen Öl-Konzernen unter Nennung der "engagierten" Bush-Family. Sowie mit dem Hinweis, dass 15 der 19 Attentäter vom 11. September 2001 Saudis waren. Und dass die königliche Herrscherfamilie einerseits die Amis als Schutzmacht und Handelspartner benötigt, andererseits aber - in einer Art religiösem Ablasshandel - radikale Islamisten finanziert, um "die Gemeinde zu beruhigen".

Um Öldurst und Terrorismus sowie um den Kampf der Kulturen geht es dann auch in diesem Action-Drama: In der aufregenden Ouvertüre dringen in Riad Attentäter in das abgesicherte Wohngebiet eines Ölkonzerns und richten unter den amerikanischen Angestellten und ihren Familien ein gigantisches Blutbad an. Das FBI will den Fall vor Ort untersuchen, wird jedoch durch konkurrierende Regierungsbehörden behindert. Schließlich aber werden vier FBI-Experten beauftragt, die Ermittlungen vor Ort aufzunehmen und die Terroristenzelle zu vernichten.

Trotz vieler Versuche, ihre Arbeit zu torpedieren, gelingt es ihnen dennoch, die Angreifer, die bereits einen weiteren Anschlag vorbereiten, ausfindig und dann unschädlich zu machen. Wie gesagt, wir befinden uns hier in einem energiegeladenen Hollywood-Film. Nichtsdestotrotz ist er nicht nur packend-spannend und hoch-emotional (mit einem der polizeilichen Aufpasser entwickeln sich freundschaftliche Privat-Kontakte), sondern auch unverblümt irritierend in der hintergründigen Beobachtung/Beschreibung der politischen Abgründe zwischen den "Doch-Verbündeten". Motto: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.

In den männlichen Hauptrollen sind die "Oscar"-Preisträger Jamie Foxx ("Ray") und Chris Cooper ("Adaption - Der Orchideen-Dieb") an vorderster Front, während Jennifer Garner ("Pearl Harbor") für die kompetente weibliche Team-Begleitung sorgt. Keine Dutzendware, sondern: ein bemerkenswerter neuer Spannungsfilm aus Hollywood.
Die Schauspielerin Jennifer Garner macht in Basel Werbung für ihren neuen Film "Operation Kingdom".
Die Schauspielerin Jennifer Garner macht in Basel Werbung für ihren neuen Film "Operation Kingdom".© AP