Wenn das Buch sprechen lernt

Von Dirk Fuhrig · 20.10.2011
Das E-Book ist ein Produkt, das seit Langem und dauerhaft "im Kommen” ist. Keine Buchmesse im neuen Jahrtausend, auf der das Thema elektronisches Publizieren nicht von oben bis unten besprochen worden wäre. Die Realität: Angekommen ist es noch lange nicht. Gerade einmal ein Prozent vom Umsatz machen die Buchverlage hierzulande mit sogenannten elektronischen Büchern.
Etliche Verlage haben auch die Multimedialität und Interaktivität fürs E-Book entdeckt: Bücher, die sprechen, Musik machen und Videos abspielen sollen den Durchbruch bringen. Einiges war schon auf der Frankfurter Buchmesse zu sehen.

"Ich lese das Buch und kriege einfach noch mal so ein bisschen Atmosphäre mit. Beispiel: Reiseführer. New York. Hier gibt's ne Seite, großes Bild vom Times Square, dass man auch den Times Square hört. Das gibt noch mal ein anderes Feeling beim Lesen."

Lesen mit dem Sound der Straße - nicht nur Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort. Ralf Biesemeier von der Software-Firma readbox zeigt, wie schön so ein multimediales E-Book sein kann.

"Das ist ein Beispiel für nen Fotoband, da geht's um Musikfotografie- Wenn man das Buch aufschlägt, kommt gleich ein Song der Band, um die's da geht. Man kann Videos integrieren, man kann aber den Look and Feel des Buches erhalten."

Look and Feel des Buches: Das Ganze ist im Prinzip eine Website, die mittels des sogenannten "epup-plus-Standards" aufs Lesegerät gebracht wird. Das Programm ist optisch jedoch so gestaltet, als hätte man die Seiten eines Buches vor sich. Blättern geht per Wischen mit dem Finger.
So weit, so im Prinzip bekannt. Richtig interessant wird es erst, wenn dieses Buch für Tablet-PC oder ipad interaktiv wird. Wenn der Leser selbst Entscheidungen für den Fortgang der Handlung treffen kann. Dafür hat Ralf Biesemeier erstmal eine Spiel-Demo:

"Nach einer langen Nacht, wenn man morgens aufstehen soll. Der Wecker klingelt – aufstehn oder nicht (Telefon klingelt) ... Da geh ich ran, ist mein Chef dran, ich muss also aufstehn ... Da verschwimmen so ein bisschen die Grenzen zwischen, Lesen-Buch, Film, Spiel, wird interaktiver und ein tieferes Erlebnis."

Dieses tiefere Erlebnis gibt es schon, zum Beispiel bei Ranga Yogeshwar. Der hat seine populären Wissenssendungen aus dem Fernsehen in eine App gepackt – also eine Anwendung für Apples ipad. Der Verlag Kiepenheuer und Witsch hat sich mit großem Aufwand in die Entwicklung gestürzt. Verlagsmitarbeiterin Gudrun Fähndrich tastet auf dem ipad herum:

"Ein digitales Buch, das es nicht in gedruckter Form gibt. Und das ist eben. Die Kombination aus Wort, Audio, Film, Experimenten. Es erschließt sich dem Leser assoziativ. Man kann hier durch die verschiedenen Icons klicken. Und dann kommt man zum Beispiel zu einer Gesundheitsfrage: Sollte man bei kleinen Wunden ein Pflaster benutzen?"

Die interaktive Wissens- und Ratgeber-Anwendung ist mit Blogs und sonstigen Internet-Anwendungen verknüpft. Der Verlag – eigentlich ein klassischer Verlag für überwiegend Belletristik - hat sich dafür mit Wucht in die elektronische Welt begeben. Der neue E-Book-Beauftragte von Kiepenheuer und Witsch Marco Verhülsdonk ist verhalten optimistisch.
"Bei Ranga Yogeshwar haben wir sieben Monate an dieser App gearbeitet. Wir glauben, das könnte ein neuer App-Standard werden. Wir haben dazu sehr lange gebraucht, und das ist auch eine Investition."

Ob sich die neuen Multimedia-ebooks für das Lesen von Romanen eignen, darf weiterhin bezweifelt werden. Ideal sind die Multimedia-Anwendungen aber sicherlich für Ratgeber und Lexika, für Reiseführer oder Kinderbücher. Gerade Kinder lieben es, zu experimentieren, statt nur linear zu lesen.

"Die mögen auch die gedruckten Bücher, ganz klar. Aber man sieht schon die wachsen ganz anders auf, in der multimedialen Welt. Dass schon echt der Glanz in den Augen schon da ist, wenn man selbst was machen kann. Ich kann selbst die Geschichte beeinflussen und es wird mir nicht nur vorgelesen. Das ist sicherlich auch schön."

Ob die glänzenden Kinderaugen auch die Kassen zum Klingeln bringen, ist allerdings nicht so klar: Deutschland ist nach wie vor Entwicklungsland bei E-Books. In den USA haben elektronische Bücher bereits einen Marktanteil von rund 19 Prozent – hierzulande dümpeln die Verlage seit Jahren bei maximal einem Prozent. Und das trotz großartiger Präsentationen und enthusiastischer Ankündigungen jedes Mal auf den Buchmessen. Der Erfolg von Apples ipad lässt die Hoffnungen jetzt erneut wachsen: In vier Jahren wollen die Verlage einen Anteil von fast zehn Prozent am Buchmarkt erreichen, so eine viel zitierte Marktprognose. Kiepenheuer und Witsch will da vorne mit dabei sein. E-Book-Leiter Marco Verhülsdonk:

"Diese Apps sind Testballons. Wir wollen ein Zeichen setzen, dass das, worüber schon lange geredet wird, möglich ist und wir die Bücher komplexer denken als bisher."

Komplexer denken, das heißt auch: Verlage müssen – wollen sie erfolgreich im -E-Book-Markt mithalten, umdenken. Oder weiterdenken. Ralf Biesemeier:

"Ich glaube, dass in Zukunft schon beim Lektorat in zwei Richtungen gedacht wird. Oder in drei Richtungen. Man hat ein gedrucktes Buch, man denkt über ein Hörbuch nach. Und man denkt auch über ein E-Book nach. Und da spielen auch solche Elemente eine Rolle."