Wendemarke in der Geschichte Mitteleuropas

Von Helge Buttkereit · 10.11.2011
Nach der Wahl zum König regierte Konrad I. nur sieben Jahre das Ostfränkische Reich. Seine Herrschaft gilt als eine Übergangsperiode zwischen den mächtigen Dynastien der Karolinger und der Ottonen. Er wurde lange Zeit als erster deutscher König bezeichnet.
Der 10. November 911 markiert eine Wendemarke in der Geschichte Mitteleuropas. Im Ostfränkischen Reich, aus dem das Deutsche Reich des Mittelalters entstehen soll, endet die Herrschaft der Karolinger. Ludwig das Kind war tot und das Ostfränkische Reich lag danieder. Gute 100 Jahre zuvor hatte das Geschlecht der Karolinger mit der Kaiserkrönung Karls des Großen seinen Höhepunkt erlebt. Nun aber wählten die Großen Ostfrankens Konrad I. in Forchheim bei Erlangen zu ihrem König. Er war der mächtigste Mann in Franken. Wie eine solche Wahl im frühen Mittelalter ablief, erklärt der Hamburger Geschichtsprofessor Hans-Werner Goetz:

"Es ist selbstverständlich keine Urnenwahl und auch keine allgemeine Wahl, sondern die Einfluss nehmenden Großen, weltliche und geistliche Große, kommen zusammen, um über die Nachfolge zu entscheiden, es gibt Vorschläge und diesen Vorschlägen stimmt man zu oder nicht."

Wer die Wahl nicht unterstützte, der wurde in der Folge auf den Reisen des Königs aufgesucht und um Unterstützung gebeten. Zum Teil mit Gewalt. Wie alle Könige seiner Zeit hatte Konrad keine Hauptstadt, sondern reiste mit seinem Hofstaat durch das Reich. Da nach dem Tode Karls des Großen im Verlauf des neunten Jahrhunderts die lokalen Fürsten immer mehr Macht gewonnen hatten, musste Konrad vor allem ihnen gegenüber seinen Herrschaftsanspruch immer wieder verteidigen. Insbesondere in Schwaben, das damals auch einen großen Teil der heutigen Schweiz umfasste und mit dem Bayernfürsten Arnulf, der auch über Teile des heutigen Österreichs bestimmte, kam es während der Regentschaft Konrads immer wieder zu Auseinandersetzungen. Stützen konnte sich der König hingegen auf die Kirche. Die Bischöfe erhofften sich von ihm eine Stärkung ihrer eigenen Stellung und eine Sicherung des Reichs nach Außen. Das war auch bitter nötig. Den beklagenswerten Zustand Ostfrankens beschrieb Bischof Salomo von Konstanz noch vor Konrads Wahl:

"Allenthalben fehlen die Lenker. Die Zucht verfällt und es erhebt sich ihr Gegenteil. Ohne Furcht, sagt man, sei die Ehre nichts. Die Barbaren, einst in ihrer Heimat aufgesucht und zum Zinse gezwungen vom Christenvolke, da ein König ihnen gebot, überfallen jetzt die katholische Gemeinschaft, weil kein König sie leitet, in ihrer Behausung und fordern den Zins mit Blut zurück."

Die Barbaren, das waren vor allem die Ungarn. Sie fielen mehrfach aus dem Osten ins Reich ein und hinterließen schwere Verwüstungen. König Konrad kämpfte oft selbst in vorderster Front. Im Krieg gegen den Bayern Arnulf siegte er so zwar vorerst im Jahr 917, aber er wurde schwer verwundet. Möglicherweise in Folge dieser Verwundung starb er am 23. Dezember 918. Nach Aussage des Chronisten Widukind von Corvey hatte der kinderlose König vor seinem Tod seinen Bruder Eberhard beauftragt, die Macht an seinen Nachfolger, den sächsischen Herzog Heinrich, zu übergeben. Dabei soll er dem Bruder gesagt haben:

"Die Führung des Staates liegt bei den Sachsen. Nimm daher diese Insignien, die heilige Lanze, die goldenen Armspangen mit dem Mantel, dem Schwert der alten Könige und der Krone, gehe zu Heinrich, schließe Frieden mit ihm, damit du ihn für immer zum Verbündeten habest ... Er wird nämlich wahrhaft König sein und Herrscher über viele Völker."

Während Konrads Wirken als König über lange Jahre sehr kritisch gesehen wurde, ist diese wegweisende Übergabe der Insignien immer wieder gepriesen worden. Ob sie überhaupt stattgefunden hat, ist unklar. Was man auf Grundlagen der Quellen über Konrads Wirken und seine Möglichkeiten sagen kann, fasst Professor Goetz zusammen:

"Er ist sicherlich gemessen an den Karolingern und an dem, wie er selbst begonnen hat, ist er gescheitert, weil es ihm nicht gelungen ist, das Reich hinter sich zu bringen und zu halten. Wäre er nicht in der letzten Schlacht gegen Arnulf von Bayern verwundet worden und hätte gesiegt und die Herrschaft auch dort übernommen, ist es durchaus denkbar, dass sich seine Herrschaft konsolidiert hätte."

Da mit Konrads Wahl sich das ostfränkisch-deutsche Königtum endgültig vom westfränkisch-französischen löste, wurde er oft als erster deutscher König beschrieben. Die heutige Geschichtsforschung sieht das differenzierter.

"Die Menschen wussten damals nicht, dass sie im deutschen Reich lebten, das hat sich so allmählich entwickelt, dass es auch erst allmählich bewusst geworden ist. Die Entstehung des ostfränkisch-deutschen Reiches ist ein langer Prozess, in dem 911 ein vielleicht nicht ganz unwichtiger, aber doch nur ein Markierungspunkt darstellt."