Wende nach unten

14.10.2013
Mit "Katastrophen" bietet Jörg Trempler einen überzeugenden Einblick in die Bildgeschichte der großen Desaster. Der Kunsthistoriker konzentriert sich dabei auf das 18. Jahrhundert, in dem der Katastrophenbegriff geprägt wurde - behält aber die Jetztzeit immer im Auge.
Als Tatpredigten Gottes wurden Naturkatastrophen einst verstanden. Strafend würde der Weltenlenker durch sie seinem Zorn über das sündige Leben der Menschen zum Ausdruck bringen, um sie so zur Umkehr auf den Pfad der Tugend zu bewegen. Ereignisse, die auch heute noch als Katastrophe bezeichnet werden, gab es schon immer. Aber erst seit dem 18. Jahrhundert werden sie so genannt.

Dass der Begriff Katastrophe zum Vokabular der Theatertheorie gehört, womit ein "Wendepunkt" in der dramatischen Handlung "nach unten" beschrieben wird, daran erinnert Jörg Trempler in seinem Buch "Katastrophen". Im Unterschied zur 2010 erschienenen Kulturgeschichte "Katastrophen" von François Walter, der das Katastrophenszenarium vom 16. bis zum 21. Jahrhundert anhand von Ereignissen beschreibt, konzentriert sich Trempler, Kunsthistoriker an der Berliner Humboldt-Universität auf den mit diesem Thema verbundenen ikonografischen Aspekt, der ein Desiderat in der bisherigen Forschung darstellt. Der Untertitel seines Buches beschreibt seine These in nuce: Die Vorstellungen über Katastrophen werden aus Bildern bezogen.

Zentrale Rolle der Bilder
Trempler geht es um die Aufwertung der Rolle der Bilder im Verhältnis zur Sprache, da im Bild bereits Katastrophen zu sehen waren, ohne dass das Ereignis bereits sogenannt wurde. Obwohl es den Begriff "Katstrophenbild" noch nicht gab, zeigt ein Bild wie zum Beispiel Gericaults "Das Floß der Medusa" ein katastrophales Ereignis. Beim Untergang der Fregatte "Medusa" gelingt es den Schiffbrüchigen, sich auf ein Floß zu retten. Wenige überleben die Katastrophe, aus der sie schuldig hervorgehen, weil sie auf dem Floß zu "Mördern und Kannibalen" wurden. An ein spezifisches Bildthema ist das Katastrophenbild nicht gebunden, das die Sintflut, einen Vulkanausbruch, einen Schiffbruch oder ein Erdbeben zum Inhalt haben kann.

Der entscheidende Umbruch in der Bildgeschichte setzt nach Trempler mit den 1757 entstandenen Kupferstichen von Jacques-Philipe Lebas ein. Zwei Jahre nach dem verheerenden Erdbeben von Lissabon legt Lebas sechs Blätter vor, die Trempler "als die eigentliche Geburtsstunde der Katastrophenbilder" bezeichnet.

Katastrophenbilder zeigen Katastrophen nicht einfach, indem sie sie abbilden, sondern durch das Bild wird die Katastrophe zum "ikonischen Erkenntnismodell". Im Unterschied zu anderen Darstellungen, bildet Lebas das Ereignis nicht ab, sondern er zeigt es als historischen Wendepunkt, wenn auf dem ersten Blatt hinter einer Kirchenruine bereits ein Neubau zu sehen ist.

Überzeugender ikonografischer Einblick
Das Bild hält einen Wendepunkt fest, denn die Katastrophe wird politisch und historisch gedeutet, wenn eine Kirche in Trümmern liegt. Lebas' Bilder können, so Trempler, "als erste Katastrophenbilder im Sinne einer Epochenschwelle" verstanden werden. Zwei Jahre nach der Katastrophe interpretiert Lebas das Geschehen, wenn er mit dem Neubau hinter der Kirchenruine jene auf eine Zukunft verweisenden Momente sichtbar macht.

Das mit vielen Abbildungen versehene, gut lesbare Buch, mit seinen sehr genauen Bildbeschreibungen, bietet einen überzeugenden Einblick in die Ikonographie der Bildgeschichte. Sie konzentriert sich auf das 18. Jahrhundert, aber sie behält die Jetztzeit immer im Auge, wenn sie Bezüge zu einem anderen Wendepunkt in der Geschichte herstellt, für den der 11. September 2001 steht.

Besprochen von Michael Opitz

Jörg Trempler: Katastrophen - Ihre Entstehung aus dem Bild
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013
155 Seiten, 24,90 Euro
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