Welzer: Ganz neue Konfliktszenarien

Moderation: Frank Meyer · 22.04.2008
Der Klimawandel habe nicht nur eine meteorologische, sondern vor allem eine gesellschaftliche Dimension, betont der Sozialpsychologe Harald Welzer. Die Aktualität seines gerade erschienenen Buches "Klimakriege - Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" habe ihn in Anbetracht der Meldungen über Unruhen in Haiti, Asien oder dem Sudan selbst überrascht.
Frank Meyer: Von Bangladesch bis Usbekistan gab es in den vergangenen Wochen Hungerunruhen. In Haiti gab es schwere Ausschreitungen, in Asien wütende Proteste gegen die explodierenden Preise für Reis. Der Präsident der Weltbank, Robert Zoellick, hat am Wochenende vor möglichen Unruhen in 33 Ländern gewarnt. Harald Welzer, Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten-Herdecke hat gerade ein Buch über Klimakriege veröffentlicht. Jetzt ist er für uns im Studio. Harald Welzer, in Ihrem Buch schreiben Sie darüber, dass die immer knapper werdenden Ressourcen unserer Erde immer mehr gewaltsame Verteilungskonflikte auslösen werden. Gehören die Hungerunruhen dieses Jahres denn für Sie schon dazu, zu diesen Kämpfen um knappere Ressourcen?
Harald Welzer: Ja, ich würde denken, die gehören dazu. Eigentlich hat sogar mich, der sich jetzt einige Zeit intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, das überrascht, dass das so schnell geht. Und es gehört auf vielfältige Art und Weise mit dazu, nämlich zum einen auf der Ebene, dass man sehen kann, dass Dinge, die an einer Stelle der Welt getan werden, also zum Beispiel in modernen Agrarwirtschaftsformen, Auswirkungen an einer ganz anderen Stelle der Welt haben, und zum anderen direkt mit dem Klimawandel insofern verbunden sind, als natürlich ein Teil der Verteuerung und Verknappung von Nahrungsmitteln darauf zurückgeht, dass jetzt plötzlich Anbauflächen genutzt werden zur Produktion von Energiepflanzen, für Biotreibstoff und nicht mehr für Nahrungsmittel. Und das ist natürlich schon der Hammer, wenn man sich das genau vor Augen führt, dass also die Versuche von westlicher Seite aus, mit dem Klimawandel umzugehen, zu Hunger an anderen Stellen auf der Welt führen.
Meyer: Sie haben ein anderes Beispiel, eine Art Hauptbeispiel für diese Art von Konflikten, nämlich die Auseinandersetzung in Darfur. Warum ist denn der Klimawandel für diese Katastrophe in dieser Region des Sudan verantwortlich?
Welzer: Aus einem ganz einfachen Grund, weil durch die Klimaerwärmung in dieser Region die Wüstenbildung rasant voranschreitet. Und wenn man sich vor Augen führt, dass das eine Gesellschaft ist, in der mehr als 70 Prozent der Bevölkerung vom Land lebt, dann muss man einfach sehen, das Land wird weniger, und Menschen, die dort als Bauern versucht haben, ihr Dasein zu fristen, treten in Konkurrenz mit Menschen, die Vieh züchtende Nomaden sind und auf diese Weise ihr Überleben gesichert haben. Jetzt wird das Land weniger, die Leute suchen Land, um ihr Vieh weiden zu lassen, und die anderen suchen etwas, wo sie noch ein bisschen Nahrung anbauen können, und das gerät in Konflikt miteinander. Und an der Stelle, wo das Überleben so direkt bedroht ist, ist Gewalt immer eine Möglichkeit, die sofort da ist. Und dann entsteht ein Konflikt, in den andere Parteien eintreten, Regierungstruppen, Befreiungsarmeen, private Gewaltunternehmer und so etwas, und dann hat man etwas, was wir dann jeden Abend in der Tagesschau sehen können.
Meyer: Der Klimawandel ist also der Ausgangspunkt, und in Ihrem Buch gehen Sie davon aus, dass die internationale Staatengemeinschaft das Ziel, von dem in den letzten Jahren so viel die Rede war, das Ziel, den Temperaturanstieg auf der Welt auf zwei Grad zu begrenzen, dass dieses Ziel nicht erreicht werden wird. Warum sind Sie da sicher?
Welzer: Da kann man sich gar nicht sicher sein. Man kann sich über zwei Sachen nicht sicher sein, nämlich erstens, wie stark die Erwärmung tatsächlich ansteigen wird, und zweitens, was die Folgen bei jeweils 0,1 Grad mehr oder weniger sein werden. Man muss sich ja hier vor Augen führen, das wird ja auch ständig betont, dass Klima unendlich komplex ist, und alles das, worüber wir reden, sind Folgen, die man abschätzen kann, weil sie man linear hochrechnet. Nun wissen wir durch extreme Wetterereignisse, dass zum Beispiel auch Prozesse entstehen können, die nicht linear sind, die auf extreme Dynamisierung und Wechselwirkung zurückgehen, und dann passieren Dinge, mit denen keiner gerechnet hat. Insofern wird man also nicht davon ausgehen können, dass man das Problem in den Griff kriegen kann.
Meyer: Und auf der politischen Ebene? Es gibt ja Länder, die ganz deutlich nicht an Klimaschutzpolitik interessiert sind, die USA, Russland, China. Aber es gibt ja auch andere Länder, nicht zuletzt Deutschland, die sich einsetzen für Klimaschutz und die daran arbeiten, dieses Ziel, Eingrenzung auf zwei Grad, zu erreichen. Warum denken Sie, dass das keinen Erfolg haben wird?
Welzer: Na ja, weil Sie haben es eigentlich im Grunde gerade gesagt: Im globalen Maßstab kann man das als ein Bemühen bezeichnen, was ganz toll ist und sicherlich auch gar nicht hoch genug bewertet werden kann, es wird nur nichts nützen, weil wir sehen können, dass hinsichtlich der Emissionen der ungebremste Anstieg einfach weitergehen wird. Der wird dann durch bessere Politik in manchen Ländern etwas moderiert, aber im Großen und Ganzen geht das immer so weiter. Das ist das eine. Und das andere ist, das Klima ist träge. Die Probleme, mit denen wir jetzt zu tun haben, sind vor 30 Jahren produziert worden. Das heißt, selbst wenn jetzt die Emissionen runtergefahren würden, was sie nicht werden, hätte man auf absehbare Zeit noch gar keinen Effekt davon, sondern nur in der weiteren Zukunft. Das heißt, die Probleme, die durch die Erwärmung jetzt schon an vielen Stellen der Welt mit Händen zu greifen sind, die werden uns in den nächsten Jahren ganz intensiv beschäftigen.
Meyer: Gut, wenn Sie sagen, der Klimawandel wird nicht verhindert werden, er wird dramatischer ausfallen, als wir ihn jetzt absehen können, welche sozialen Folgen wird das Ihrer Meinung nach haben?
Welzer: Ja, eine Folge haben wir jetzt schon diskutiert. Es gibt in bestimmten Regionen der Welt, wo das Überleben für bestimmte Gruppen unmöglich wird, gibt es direkte Gewalt, gibt es Bürgerkriege und alles, was damit zu tun hat. Zweitens gibt es, und das prognostiziert die UNO auf der Grundlage sehr guter Daten, rasant anwachsende Flüchtlingsströme, es gibt ja auch den Begriff des Klimaflüchtlings, und da werden die Zahlen rapide anwachsen, woraus dann Gewaltpotenziale entstehen, erstens dort, wo die Menschen hingehen, wo sie aber niemand haben will, das heißt in die direkten Nachbarländer. Wie im Fall Darfur gehen sie in den Tschad und so, das erzeugt neue Konflikte. Aber generell natürlich auch, dass das Flüchtlingsaufkommen beispielsweise von Flüchtlingen aus Afrika den Druck auf die europäischen Grenzen erhöhen wird und da entsprechend auch Gewalt entsteht. Und der dritte Aspekt ist der, dass durch das Schmelzen des Eises ganz neue Rohstoffvorkommen ausbeutbar werden und es an vielen Stellen vollkommen unklar ist, wer denn eigentlich die Hoheitsrechte an den Vorkommen hat, und es da absehbar ist, und das lehrt auch die Geschichte, wird es massive Konflikte darum geben, wer die denn ausbeuten darf und wer nicht.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sind im Gespräch mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer über sein Buch "Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird". Sie haben jetzt schon mehrfach gesagt, die Konflikte um diese Ressourcen, die werden, so klingt es bei Ihnen, auf jeden Fall mit Gewalt ausgetragen werden. Warum denken Sie, dass es keine anderen Konfliktlösungsmöglichkeiten geben wird als dann offene Gewalt, Krieg, Bürgerkrieg?
Welzer: Es wird je nach Region unterschiedliche Formen der Lösung geben. Es wird sicherlich Möglichkeiten geben und auch dafür, man kann ja mal was Positives sagen, gibt es Beispiele aus der Geschichte. Es sind schon Wasserkonflikte friedlich gelöst worden, indem man Regelungen gefunden hat. Nur ich glaube, man muss einfach sehen, es ist eine Frage der Handlungsmöglichkeiten der beteiligten Länder. An der Stelle, wo man es mit einer gescheiterten Gesellschaft zu tun hat, die ohnehin keine vernünftigen Konfliktlösungsinstrumente hat und die keine Bewältigungskapazitäten hat, ist direkte Gewalt immer die erste Option. Das gilt für viele Länder in Afrika, insbesondere im südlichen Afrika, aber auch in anderen Regionen der Welt. Auf der Ebene der viel größeren Handlungsmöglichkeiten reicher Gesellschaften wie Deutschland, sieht das Ganze natürlich anders aus. Ich behaupte nicht, dass wir in zehn Jahren hier Krieg haben oder so, aber natürlich muss man die Rolle sehen, die auch unsere scheinbar unbeteiligten Länder einnehmen in dem gesamten Konfliktszenario. Und sie nehmen halt die Rolle ein, dass sich vertiefende Problemlagen, sich vertiefende Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten nicht zur Kenntnis genommen werden, aber dass man daraus keine Handlungsnotwendigkeiten für sich selber ableitet. Und ich glaube, mit dieser Haltung kommen wir in sehr starke Probleme.
Meyer: Es ist schon klar geworden, Harald Welzer, Sie sehen sehr pessimistisch oder skeptisch auf die Problemlagen rund um den Klimawandel. Sehen Sie denn keine Anzeichen einer Alternative?
Welzer: Doch, die würde ich sehen. Die Alternative besteht darin, dass man aufhören muss, so zu tun, als sei das ein Problem wie viele andere, das man mit dem Drehen an ein paar Stellschrauben bewältigen kann. Ich glaube, der Klimawandel ist ein gesellschaftliches Problem von einer Dimension, die bisher noch gar nicht zureichend erfasst worden ist. Also Ungleichheit haben wir schon gesagt, Ungerechtigkeit, aber auch einfach Prozesse, die in Gang gesetzt werden hinsichtlich zum Beispiel der Flüchtlingsströme, über deren Konsequenzen man sich bislang viel zu wenig Gedanken gemacht hat. Und das bedeutet in der Konsequenz, man muss erst einen illusionslosen Blick auf die Dramatik der Probleme werfen, um dann zu erkennen, dass wir mit dem Denken wie üblich, mit unseren traditionellen Problemlösungen nicht weiterkommen, sondern wir müssen ganz anders auch über unsere eigene Lebens- und Existenzform nachdenken, die sicherlich nicht in der Form des Konsums, der Mobilität und der Verschwendung weitergehen kann, wie das bislang der Fall gewesen ist.
Meyer: Wo sehen Sie denn bei uns gesellschaftliche Kräfte, die so ein neues Nachdenken über unsere Art zu leben in Gang bringen könnten? Gibt es nach Ihrer Ansicht solche Kräfte in unserer politischen Elite?
Welzer: Ja, ich glaube schon. Also wir bei uns am Institut, am Kulturwissenschaftlichen Institut, versuchen seit etwa einem halben Jahr, verschärfte Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet Klimawandel zu machen, also kulturwissenschaftliche Klimawandelsforschung, keine naturwissenschaftliche. Und wir sind doch überrascht darüber, dass schon nach wenigen Monaten sehr viele Anfragen auch aus der Politik gekommen sind, die unsere Expertise in Anspruch nehmen wollen, weil sich mittlerweile rumspricht, dass der Klimawandel kein Problem der Meteorologen primär ist, sondern insbesondere der Politik und der Kulturwissenschaft und der entsprechenden Akteure auch in der Gesellschaft. Und insofern bin ich, obwohl ich mich immer so pessimistisch anhöre, gerade was das angeht doch eher positiv überrascht.
Meyer: Klimakriege, die werden mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen, wenn sie nicht schon da sind wie in Darfur. Das sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer in seinem Buch "Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird". Das Buch ist im S. Fischer-Verlag erschienen, es hat 335 Seiten und kostet 19 Euro 95. Harald Welzer, vielen Dank für dieses Gespräch.
Welzer: Ja, ich danke Ihnen.
Harald Welzer: Klimakriege
Harald Welzer: Klimakriege© S. Fischer Verlag
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