Weltweite Unterstützung für Liu Xiaobo

Von Jürgen König · 20.03.2012
Unter dem Motto "Freiheit für Liu Xiaobo" rief das internationale literaturfestival berlin zu Lesungen auf der ganzen Welt am 20. März 2012, dem Jahrestag der politischen Lüge, auf. In 121 Städten in 41 Ländern folgte man dem Aufruf. In Berlin wurde im Martin-Gropius-Bau der Text "Charta 08" gelesen, für den der Schriftsteller verhaftet und zu elf Jahren Haft verurteilt wurde.
Ulrich Schreiber ist ein hartnäckiger Enthusiast: seinem Aufruf, mit Lesungen an Liu Xiaobo zu erinnern, folgte man in 121 Städten in 41 Ländern. In Berlin wurde die gesamte "Charta 08" gelesen – jener Text, für den Liu Xiaobo verhaftet und zu elf Jahren Haft verurteilt wurde: "Anstachelung zum Umsturz der Staatsgewalt" lautete die Anklage.

"Das Zeitalter imperialer Macht ist in China schon lange vorbei und es wird auch nicht zurückkommen; die autoritären Systeme in der Welt nähern sich ihrer Abenddämmerung. Jetzt müssen die Bürger zu den tatsächlichen Herren der Staaten werden."

Franziska Herrmann und Roland Schäfer lesen diese Charta 08, die nicht nur eine allgemein gehaltene Mahnung ist, die Würde des Menschen zu wahren, seine Rechte zu achten, sondern eine Analyse des politischen Systems in China, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt. Punkt für Punkt listet die Charta 08 auf, was zum Umbau der chinesischen Gesellschaft auf dem Weg zur "Bundesrepublik China" nötig ist, etwa Änderung der Verfassung, unabhängige Justiz, unabhängige Parteien, ein nicht ideologisches Bildungssystem, die Gleichbehandlung von Stadt- und Landbevölkerung, praktizierter Umweltschutz, die Aussöhnung der Völker Chinas – und das alles auf der Grundlage wahrer Volksherrschaft.

"Zur Volksherrschaft gehören diese grundlegenden Charakteristika: 1. Die Legitimität politischer Macht kommt aus dem Volk, die Quelle der politischen Macht ist das Volk; 2. Die politische Herrschaft entsteht durch Wahlen des Volkes; 3. Die Bürger genießen echtes Wahlrecht, die wichtigsten Funktionäre der Regierungen aller Ebenen sind durch periodische Wahlen zu bestimmen; 4. Mehrheitsentscheidungen sind zu achten, die grundlegenden Rechte der Minderheit sind zu schützen. In einem Satz: Die Demokratie ist ein Mittel moderner Öffentlichkeit, mit dem diese die Regierung zu ihrem Besitz macht, zu ihrem Herrschaftsmittel und Nutzbringer."

"Die Regierung als Herrschaftsmittel der Öffentlichkeit" – es lohnt sehr, die "Charta 08" einmal in Ruhe zu lesen; man bekommt ein Gefühl dafür, wie gefährlich Liu Xiaobo für die chinesischen Wächter der "demokratischen Diktatur des Volkes" mit seiner " Charta 08"geworden ist. Herbert Wiesner, Generalsekretär des deutschen P.E.N-Zentrums:

"Die Sanftheit von Liu Xiaobo wird immer so hervorgehoben; er ist der schärfste, der sezierendste Kritiker dieses Einparteiensystems. Er hasst dieses Einparteiensystem."

Die Schriftstellerin Herta Müller:

"Man wundert sich jedes Mal, wenn man diesen Text jetzt hört über die Genauigkeit, über die Sensibilität, über die Menschlichkeit, in dem Ton und in den Inhalten – aus wie vielen Perspektiven heraus diese Veränderung der Gesellschaft vorgeschlagen wird; man denkt sich auch, wie nötig China diese Personen bräuchte. Wie unglaublich dringend sie auf solche Leute angewiesen wären! Es ist wirklich fatal und eine Katastrophe, dass das Regime gerade solche Leute ins Gefängnis steckt und ihnen das Leben stiehlt und sie wirklich bewusst und systematisch kaputt macht."

Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu, der aus Sicherheitsgründen nicht mehr in China lebt – hält das jetzige Politische System seines Landes ebenfalls für nicht zukunftsfähig. Das tut auch die Vorsitzende des unabhängigen chinesischen Auslands-PEN-Zentrums, Tienchi Martin-Liao, nicht – schon deshalb nicht, sagt sie, weil die Menschen "eines Tages ihre Würde zurückfordern werden".

"Dafür haben die Chinesen mehr als hundert Jahre gekämpft! In der 4.Mai-Bewegung, 1919 - das waren die gleichen Ideen! Was ist bis heute passiert? Nichts! Die Chinesen – angeblich - die Regierung oder die Partei: sind sehr reich. Aber wie leben die normalen Chinesen? Sie haben vielleicht ein bisschen Geld. Sie kaufen teure Sachen im Ausland. Aber sie haben keine Würde! Sie haben keine Seele, das ist das!"

Einig ist sich die Runde auch darin, dass man nicht viel mehr tun kann, als die chinesische Regierung, aber auch deutsche Politiker, die der Parole "Wandel durch Handel" zu sehr vertrauen, immer wieder – auf welchem Weg auch immer - an Gefangene wie Liu Xiaobo zu erinnern. Tienchi Martin-Liao ist sich sicher, dass das auch Liu Xiaobo selber hilft.

"Er weiß schon so ein bisschen, dass er nicht alleine ist. Er weiß es bestimmt. Selbst wenn es nur die Antennen im Gehirn sind... Der weiß, dass man ihn nicht vergisst. Da bin ich ganz, ganz sicher. Und ich hoffe, er wird nicht bis ins Jahr 2020 sitzen. Wer weiß, was da passiert in der Zwischenzeit."

Links bei dradio.de:

"Liu Xiaobo kennt hier niemand"
Sinologe Kubin über Solidarität mit chinesischen Dissidenten


Zeichen des Aufbruchs
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"Ein Prinzip ist vor allem Koproduktion" - Leiter des Goethe-Instituts Peking über die chinesische Kulturszene
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