Weltweit einmaliges Projekt

Von Thomas Migge |
Bereits in den 90er-Jahren gab es Versuche zur Digitalisierung der vatikanischen Handschriften. Die Zusammenarbeit mit IBM war allerdings nicht von Erfolg gekrönt. Nachdem das Vorhaben für mehrere Jahre stillgelegen hatte, erregte ein NASA-System die Aufmerksamkeit der päpstlichen Techniker.
Man kommt nicht einfach hinein. Der in seinem historischen Gewand Wache schiebende und streng blickende Schweizergardist an der Porta Sant' Anna, dem offiziellen Haupteingang in den Kirchenstaat, schickt den Besucher zunächst ins Passbüro, keine zehn Meter entfernt. In diesem kleinen Raum, ständig voller Menschen, die zum Vatikanpost, in den Supermarkt oder in die Apotheke oder aber in die Bibliothek möchten, muss man ein Ausweisdokument hinterlegen. Dafür erhält gibt es einen Passierschein und hinein geht es ins Minireich von Benedikt XVI.

Vorbei geht es an einem Brunnen, der päpstlichen Post und Apotheke und durch ein hohes Tor, das in einen riesigen rechteckigen Innenhof führt. Scharf rechts und noch einmal wird man mit einem Passierschein ausgestattet. In die Schatzkammern einer der umfangreichsten und ältesten Bibliotheken der Welt gelangt man nur nach aufwendigen Kontrollen. In dieser altehrwürdigen Bibliothek, deren Ursprünge bis in das 4. Jahrhundert zurückreichen, die aber erst 1447 unter Papst Nikolaus V. offiziell eingerichtet wurde, werden nicht nur Handschriften und Bücher gesammelt - rund zwei Millionen Schriftenbestände. Hier arbeitet man auch an einem weltweit einmaligen Projekt: der digitalen Erfassung sämtlicher Handschriften mit Hilfe von hoch auflösenden Scannern, die bisher ausschließlich in der Astronomie Anwendung fanden. Leiter dieses ehrgeizigen Projekts ist der Informatiker Luciano Ammenti:

"Wir kontaktierten dafür Spezialisten der astrophysikalischen Fakultät der Uni Rom sowie des italienischen Raumfahrtzentrums, denn dort nutzt man seit rund zehn Jahren das System 'Fits', das in den sechziger Jahren von der NASA entwickelt wurde, um Daten der Mondmissionen digital zu sichern"."

"Fits" steht für Flexible Image Transport System. Das ist Speichersystem mit einer Technologie, die auch die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA für ihre Daten nutzt. Für alle Informationen, die bei ihren Missionen anfallen. Darunter auch jene Fotografien, die von der Europäischen Südsternwarte und dem Hubble Space Telescope erstellt werden. "Fits" hat auch den großen Vorteil, dass es eine dreidimensionale Erfassung eines Gegenstandes erlaubt - auch einer uralten Handschrift, die ja nicht einfach nur flach ist wie ein modernes Blatt bedruckten Papiers, sondern oft auch über Miniaturen verfügt, die mit Farbe auf das Pergament aufgetragen sind. Diese Farbe kann bis zu zwei Millimeter dick sein.

Luciano Ammenti hat sich für "Fits" erst nach langen Testphasen mit anderen Datenerfassungssystemen entschieden:

""Uns wurde klar, dass eine Technologie, dass ein System mit Datenfiles, die auch nach rund 50 Jahren noch ausgezeichnet lesbar sind, ideal für unsere Zwecke ist. Hierbei handelt es sich um das einzige Speichersystem, das so langlebig ist."

Von Vorteil für den Vatikan ist bei "Fits" auch der Umstand, dass es sich um ein so genanntes nicht proprietäres Format handelt. Das heißt: Wer es benutzt, verliert nicht das Eigentum an den auf diese Weise erfassten Daten. Das bedeutet für den Vatikan, dass er die kompletten Rechte aus seinen datentechnisch erfassten Handschriften behält. Handschriften, von denen viele, vor allem aus dem Mittelalter, aufwendig mit Miniaturen verziert sind, und die als Reproduktionen Geld einbringen können.

Auf dem Weg durch die Vatikanbibliothek bekommt man nicht nur kilometerlange Regale zu sehen, auf denen zahllose Bücher und andere Dokumente aufbewahrt werden. Der Weg führt auch durch Werkstätten. Hier werden alte Schriften restauriert und sonst wie für die Nachwelt haltbar gemacht. Dazu gehört der Kampf gegen Bücherwürmer. Von den Tierchen befallene Bücher und Handschriften werden deshalb einige Monate lang in luftdicht versiegelten Plastikbeuteln untergebracht. Ein darin enthaltenes Gas tötet die Insekten. Ganze Räume sind mit solchen Plastikbeuteln voll gestellt. Aufschriften geben Auskunft über den Inhalt der Beutel und informieren über die Dauer der Anti-Bücherwurm-Behandlung.

Das Scannen der vatikanischen Handschriften wird in einem eigens dafür eingerichteten Fotostudio durchgeführt. Bei Handschriften, die bis zu 2000 Jahre alt und extrem sensibel sind, ist das allerdings kein Kinderspiel.

Als Erstes wird jede einzelne Manuskriptseite mit einer 50-Megapixel-Hasselblad-Kamera abgelichtet. Diese fotografischen Daten werden anschließend mit dem Datenspeichersystem "Fits" konvertiert.

Irma Schuler arbeitet seit 21 Jahren als Fotografin in der Vatikanischen Bibliothek. Sie kennt die Schwierigkeiten bei dieser Zeit aufwendigen Arbeit. Neben einzelnen datentechnisch zu erfassenden Blättern hat sie es vor allem mit Büchern zu tun:

"Sehr viel schwieriger ist es bei eingebundenen Handschriften. Man muss natürlich die Handschrift schützen, sowohl als Einband als auch die einzelnen Blätter und deshalb gibt es in unserem Digitalisierungsprojekt Vorrichtungen, die es ermöglichen, ein Buch zu fotografieren oder zu scannen, ohne es auf 180 Grad zu öffnen."

Denn öffnet man ein altes Buch zu weit, dann könnte die Seitenbindung, in vielen Fällen Jahrhunderte, wenn nicht über 1000 Jahre alt, brechen mit unabsehbaren Schäden für kostbarste Pergamentseiten. Um diese Buchschätze zu schützen, werden die einzelnen Seiten von Hand umgeblättert.

Die Scannerlinse sauste über eine Minischiene über das abzulichtende Dokument. Erst langsam und dann ganz schnell. Der in der Vatikanischen Bibliothek benutzte Scanner ist circa 1,50 mal 1,50 Meter groß. Er verfügt über zwei Polsterhocker. Darauf legt Irma Schuler die Bücher mit alten Handschriften.

In den nächsten zehn Jahren sollen circa 80.000 Handschriften mit etwa 40 Millionen Seiten erfasst werden. Man rechnet mit einem Speicheraufwand von ungefähr 45 Millionen Gigabyte. Das gesamte Projekt wird um die 50 Millionen Euro kosten und von Sponsoren bestritten.

Beim Verlassen der Vatikanbibliothek geht es durch ein Kontrollportal, das sicherstellen soll, dass man kein Buch oder keine Handschrift mitgehen lässt. Der Weg führt wieder ins Passbüro zurück, wo der Passierschein zurückgegeben wird und man seinen Ausweis erhält. Der Schweizergardist grüßt beim Verlassen des Kirchenstaats mit einem "Grützi".
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