Weltverantwortung und Frömmigkeit

Von Thomas Kroll · 17.05.2008
"Wenn es Katholikentage nicht gäbe - man müsste sie erfinden". Der Satz stammt von Hans Maier, dem ehemaligen Präsidenten des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Die aktuellen Anmeldezahlen für den 97. Katholikentag in Osnabrück bestätigen Maiers Sicht: Die Veranstalter gehen von mehr als 40.000 Teilnehmenden aus.
"Fromm sein ist wichtig – ohne Zweifel und ohne Ironie –, aber wir sind Christen, um wirklich auch die Welt mit zu gestalten."

Thomas Grossmann, Leiter der Arbeitsgruppe Katholikentage und Großveranstaltungen im Generalsekretariat des ZdK.

"Und wenn das vom Katholikentag ausgeht, wenn die Menschen merken, ja, da sind Leute die ihren Glauben ernst nehmen, die dabei nicht nur an sich denken, die dabei auch an die denken, denen es weniger gut geht, dann wäre das für mich ein gelungener Katholikentag."

Geistliche und politische Ausrichtung von Katholikentagen sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das kommt jeweils auch im Leitwort des Katholikentags zur Sprache. In diesem Jahr ist das Motto Psalm 18 entnommen: "Du führst uns hinaus ins Weite."

Krenzel-Zingerle: "Ich verbinde damit die befreiende Kraft unseres Gottes, der uns aus allen möglichen Engen hinausführt in die Weite, ich verbinde damit aber auch zum Beispiel die Weite im interreligiösen Dialog oder im interkulturellen Dialog."

Paul: "Für mich heißt dies Motto: Wir suchen nicht das Weite, wir flüchten nicht, sondern wir stellen uns den Herausforderungen der pluralen Gesellschaft."

Veronika Krenzel-Zingerle aus der Vorbereitungsgruppe des Kulturprogramms und Theo Paul, Generalvikar des Bistums Osnabrück.

Paul: "Für mich ist zum Beispiel ganz deutlich so eine Frage: Wie geht es mit dieser Spannung von Arm und Reich weiter? Wie können wir diese Spaltungsprozesse in unserer Gesellschaft aufhalten? Wo gibt es Erneuerungspotential für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft?"

Grossmann: "Wir haben im letzten Dreivierteljahr heftig um die Frage gerungen: Wie viel Staat braucht die Familie. Wir haben eine Veranstaltung mit Ursula von der Leyen: 'Braucht Mama Papa Staat?' Ich kann mir gut vorstellen, dass hier auch das Publikum heftig mitdiskutiert."

Da muss auch Thomas Grossmann kein Prophet sein. Maulfaul waren die Katholiken auf ihren Laientreffen noch nie – und werden es auch in Osnabrück nicht sein, zum Beispiel bei einem großen Podium zur gerechten Klimapolitik. Hier stehen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der frühere Umweltminister Klaus Töpfer Rede und Antwort.

Grossmann: "Und ganz gewiss wird die Hauptveranstaltung ein Highlight sein, die Hauptveranstaltung, zu der Bundespräsident Dr. Köhler kommen wird. Da geht es um die Zukunftsfähigkeit von Demokratie und der Frage, wie wir, durchaus auch als Christen uns engagieren können, um sie zukunftsfähig zu halten."

Natürlich stehen auch theologische Diskussionen, innerkirchliche Themen und ökumenische Probleme auf der Agenda. Ein hochsensibles Thema ist immer noch die Frage nach dem gemeinsamen Abendmahl von Katholiken und Protestanten.

Grossmann: "Persönlich bin ich sehr gespannt auf einen Vortrag von Karl Lehmann, der schon, als er das Amt des Vorsitzenden abgegeben hat, gesagt hat, er werde sich jetzt in besonderer Weise den ökumenischen Fragen zuwenden. Das wird er beim Katholikentag erstmals auch vor breiter Öffentlichkeit tun. 'Auf dem Weg in die Weite' in Ahnlehnung an das Katholikentagsleitwort wird er der Frage nachgehen, welche Perspektiven die Ökumene im 21. Jahrhundert hat. Ich bin sehr gespannt und erwarte mir da vielleicht auch die eine oder andere Überraschung."

Paul: "Andererseits aber werden aber wir durch neue Fragestellungen von außen elementar angefragt, und denen müssen wir uns stellen. Stichwort Atheismus."

Zum festen Bestandteil von Katholikentagen zählen zahlreiche Zentren, etwa das Jugendzentrum und das Geistliche Zentrum, sowie die Kirchenmeile. Sie verdeutlicht mit mehr als 250 Ständen die große Bandbreite der Strömungen innerhalb der katholischen Kirche.
So beteiligt sich auch die KirchenVolksBewegung WIR SIND KIRCHE am offiziellen Programm. In einer von drei Veranstaltungen geht man der Frage nach: Was ist aus den Aufbrüchen in der Kirche geworden?

Grossmann: "Der Katholikentag ist per se offen für alle Strömungen des Katholizismus. Das schließt weder das rechte noch das linke Lager aus, aber der rechte Rand hat sich separiert. Der rechte Rand sucht seinerseits nicht mehr das Gespräch und den Kontakt zu uns."

Blickt man ins Kulturprogramm, entdeckt man neben Musik und Kabarett, Film und Theater auch Literaturveranstaltungen. Hier dreht sich vieles um die befreiende Kraft des Wortes. In Schreibwerkstätten etwa kann man dies selbst kreativ erproben. Oder man hört den Profis zu, wie zum Beispiel dem iranischen Dichter Said und der deutschen Schriftstellerin Ulla Hahn. Veronika Krenzel-Zingerle aus der Vorbereitungsgruppe des Kulturprogramms erläutert:

Krenzel-Zingerle: "Ulla Hahn wird aus ihrem Roman 'Das verborgene Wort' lesen. Es geht darum, dass ein kleines Mädchen sich befreit aus der Enge ihres katholischen Arbeitermilieus durch das Schreiben und durch das Lesen.
Der iranisch-deutsche Schriftsteller Said liest aus seinen Psalmen. Said schreibt jenseits von konfessionellen Grenzen. Er begibt sich in wahre Zwiegespräche mit Gott bis hin an die Grenzen des Blasphemischen fast, hoch spannend, sehr intelligent und in wunderschöner Sprache sucht er nach seinem Gott."

Ein großer Teil des Kulturprogramms spielt sich abends unter freiem Himmel ab. Wer dann durch die Friedensstadt schlendert, kommt an vielen Orten auf seine Kosten – auch ohne Dauer- oder Tagesausweis.

Krenzel-Zingerle: "Man wird Ben Becker mit einer Bibel-Performance ebenso erleben können wie Culcha Candela oder auch die Wise Guys."

Grossmann: "Culcha Candela ist eine HipHopper-Gruppe, multi-kulti zusammengesetzt. Wenn man die jüngere Generation danach fragt, dann hört man: Das ist topp, das ist Bingo, das ist ganz große Klasse."