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Ernst Abbe
Vom Arbeitersohn zum Unternehmer

Er ermöglichte als Physiker den Bau besserer Mikroskope. Als Unternehmer begründete er den Erfolg der Firma Carl Zeiss und der Glaswerke Schott. Vor 175 Jahren wurde Ernst Abbe in Eisenach geboren.

Von Irene Meichsner | 23.01.2015
    Er hat den Weg in neue Welten geebnet, und das gleich dreifach - als Physiker, Unternehmer und als Sozialreformer, der in seinen eigenen Betrieben unter Beweis stellte, dass sich die Achtung der Menschenwürde und wirtschaftlicher Erfolg nicht widersprechen müssen. Am 23. Januar 1840 in Eisenach in einfachsten Verhältnissen geboren, hatte Ernst Abbe die oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen, die damals noch herrschten, als Kind hautnah miterlebt. In einer Rede zum 1. Mai 1954 erinnerte Bundespräsident Theodor Heuss daran:
    "Wie er davon spricht, der Arbeitersohn, dass er als sechs-, siebenjähriger Junge in der Mittagsstunde mit dem kleinen Topf der Suppe in die Spinnerei ging, wo sein Vater Arbeiter war. 14 Stunden Arbeitszeit das Normale. Wenn Arbeitsauftrag einging 15, 16 Stunden. Und der junge Bub sieht zu, wie der überlebensgroße Vater ganz schnell aus dem Topf die Mittagssuppe herunterlöffelt, um wieder an die Spinnmaschine gehen zu können."
    Dank privater Unterstützung konnte Abbe eine höhere Schule besuchen, Mathematik und Physik studieren und sich 1863 in Jena habilitieren. Dort wurde Carl Zeiss auf den jungen Mann aufmerksam. Zeiss stellte in seiner Werkstatt für optische Geräte unter anderem Mikroskope her, war aber mit deren Qualität selber nicht zufrieden. Weil sich die optimalen Eigenschaften von Mikroskopen damals noch nicht berechnen ließen, half nur ständiges Probieren mit unterschiedlichen Linsenkombinationen, das sogenannte "Pröbeln". Dazu Katharina Schreiner, Autorin eines Buchs über die Nachkriegsgeschichte der Firma Zeiss Jena:
    "Der Zeiss hat zum Beispiel ein Mikroskop, was ihm nicht gefiel, auf den Amboss gelegt und zerschmettert. Und gesagt: Bei Zeiss wird kein Pfusch gemacht. Merkt Euch das!"
    Verbesserung von Mikroskopen
    Zeiss wollte die Herstellung von Mikroskopen endlich auf eine wissenschaftlich fundierte Grundlage stellen und bat Abbe, ihm dabei zu helfen. Abbe bekam eine eigene Werkstatt, tüftelte jahrelang an seinen Formeln. 1873 veröffentlichte er seine erste Theorie des Mikroskops. Zwei Jahre später wurde er Teilhaber von Zeiss, der sich mit Abbes Expertise das Monopol auf dem Markt sichern wollte. 1884 gründeten Abbe, Carl Zeiss, dessen Sohn Roderich und der Glas-Chemiker Otto Schott die "Glastechnische Versuchsanstalt Schott und Genossen". Schott hatte die Eigenschaften von Glas seit Jahren wissenschaftlich untersucht. Sein Sohn Erich erinnerte sich inmitten der Feierlichkeiten zum 100. Firmenjubiläum an den alten Pioniergeist:
    "Das war der Anfang, die jahrelangen Versuchsserien, in denen die neuen optischen Gläser erfunden wurden, die erst die Entwicklung der Optik und damit auch die Entwicklung der ganzen Naturwissenschaften und Medizin möglich gemacht haben. Und begleitet war das alles von den sozialen Ideen Ernst Abbes, der ja doch in missionarischer Weise versucht hat, die industriellen Formen neu zu gestalten."
    Alleininhaber der Optischen Werke
    Nach dem Tod von Carl Zeiss wurde Abbe 1889 Alleininhaber der Optischen Werke - eine gewaltige Herausforderung für den Arbeitersohn, dem, wie er es einmal formulierte, "über Nacht nicht Kapitalistenaugen wachsen wollten". Abbe schenkte der Firma eine einzigartige Verfassung. Sie wurde in die Carl-Zeiss-Stiftung überführt, der sich später auch die Schott Glaswerke anschließen sollten.
    Ein von Abbe sorgfältig ausgearbeitetes Statut schrieb fest, was Arbeiter sich andernorts erst mühsam erkämpfen mussten: Vergütung von Überstunden, Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub, eine Arbeitervertretung ähnlich dem heutigen Betriebsrat, eine Kranken- und Pensionskasse. Von 1900 an galt bei Zeiss der Achtstundentag - keineswegs nur aus Gründen der Wohltätigkeit, sondern auch aus der Erkenntnis heraus, dass die Produktivität damit nicht etwa sank, sondern im Gegenteil sogar stieg. Sowohl Ernst Abbe, der am 14. Januar 1905 in Jena starb, als später auch Otto Schott haben schließlich sogar auf ihr persönliches Eigentum an den Firmen verzichtetet - eine beispiellose Geste der Selbstlosigkeit im kapitalistischen Wirtschaftssystem.