Gedichtband von Karin Fellner: "eins: zum anderen"

Sprachfeuerwerkereien aller Art

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Das Bild zeigt das Buchcover des Gedichtbandes "eins: zum anderen" der Dichterin Karin Fellner.
Verbindet eminente Lust an Sprachartistik mit naturgeschichtlichen Denkbildern: Karin Fellner und ihr neues Werk "eins: zum anderen". © Parasitenpresse / Deutschlandradio
Von Michael Braun · 09.08.2019
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Es wäre schön, wenn ihr ein "leichtfüßig-bocksbeiniges Schreiben" gelänge, wünschte sich die Dichterin Karin Fellner einmal. In ihrem fünften Gedichtband "eins: zum andern" meistert die Münchnerin dies mit Bravour, findet Michael Braun.
"Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück": Das Diktum von Karl Kraus erweist vor allem in der Lyrik seine Wahrheit. Denn je genauer sich die Dichter und Dichterinnen unserer Tage das von ihnen bearbeitete Sprachmaterial anschauen, desto fremder und veränderungsbedürftiger erscheinen ihnen die Wörter.
"Sprahahache, ach! bewegtes Gefilde, ondulierter Wald,/ du interaktives Modul, krauswandig, stark gekammert!": So beginnt ein Gedicht der 1970 geborenen Münchner Dichterin Karin Fellner, das in die Morphologie der einzelnen Wörter hineinleuchtet und aus Assonanzen und Laut-Ähnlichkeiten die fremde Nähe der uns scheinbar vertrauten Redeweisen auslotet.

Mündliche Reize und Wörterbuch-Fundstücke

"eins: zum andern", Karin Fellners fünfter Gedichtband, ist in der kleinen Kölner Parasitenpresse erschienen. Die Lust am Wortklang, an Lautverschiebungen, Verwandlungen und Sprachfeuerwerkereien aller Art hat schon früh Fellners Art des Schreibens bestimmt.
Der poetische Prozess kann sich an ein paar Fragmenten mündlicher Rede entzünden, an Funden im Wörterbuch oder am taktilen Kontakt mit Naturstoffen oder Alltagsgegenständen. Und dann entfaltet sich mit immensem Sprachwitz und ebensolcher Assoziationskraft eine genuin poetische Motivkette.
So etwa in einem Gedicht, das sich mit der lautlichen Nähe der Wörter "Gelingen" und "Lehrlingin" befasst: "ha! habe kein Gelingen. Lehrlingin bleib ich von/ Pilzpartnern, Algenpartnern, Mitfellträgern, d.i./ Filets häkelnd, Filiationen/ entsprechen nicht notwendigerweise den/ Hüllen, Hymnen, Hymen, Hieroglypen, Hyphen."

Die Wege sind nicht all zu weit

Der Weg von den rätselhaften Zeichen, den Hieroglyphen, zur Materie der Schöpfung, zu den Hyphen bzw. Pilzzellen ist in dieser Dichtung nicht weit. Gleichzeitig gibt es den ernsthaften Versuch, sich von reiner Sprachimmanenz zu lösen und das lyrische Sprechen zu öffnen für O-Töne, für Zitate, für ein Gegenüber.

"In der Sprache", so hat es die Autorin in einem Interview gesagt, "aktualisiert sich Grazie, Schönheit in Bewegung, für mich meist über Lautlichkeit und Rhythmus, nah am Tanz, an einer Beschwörung, auch über einen bestimmten Stimmton."

Leichtfüßig-bocksbeiniges Schreiben

Diese "Schönheit in Bewegung" manifestiert sich auch in "eins: zum andern". Und zwar in einer Verssprache, die auch Fragmente aus dem Englischen, Französischen und Spanischen in sich aufnimmt. Wenn in dieser Dichtung "eins: zum andern" kommt, dann werden nicht nur die Verhältnisse zwischen den Wörtern auf den Prüfstand gestellt, sondern auch alle Arten von Liebesverhältnissen.
"Schön wäre es, wenn mir ein leichtfüßig-bocksbeiniges Schreiben gelänge!", hat Fellner einmal als Zielpunkt ihrer Poesie genannt. In "eins: zum andern" gelingt ihr ein Schreiben, das eine eminente Lust an Sprachartistik mit naturgeschichtlichen Denkbildern verbindet.

Karin Fellner: "eins: zum andern". Gedichte.
Parasitenpresse, Köln 2019
60 Seiten, 10 Euro

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