Weltpolitik

"Es wurde auch vorher geschossen"

Michael Wolffsohn, Historiker, aufgenommen am 21.07.2016 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema "Erdogans Rache - ist die Türkei noch unser Partner?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden. Foto: Karlheinz Schindler | Verwendung weltweit
Für "außerordentlich kritisch" hält Michael Wolffsohn die Situation um Nordkorea. © dpa-Zentralbild
Michael Wolffsohn im Gespräch mit Dieter Kassel · 18.04.2017
Wird mit Donald Trump das Säbelrasseln in der internationalen Politik wieder salonfähig? Der Historiker Michael Wolfssohn findet diese Frage "weltfremd".
Raketen auf eine syrische Luftwaffenbasis, Bomben auf den IS in Afghanistan, Kriegsschiffe vor der koreanischen Halbinsel: Viele in Deutschland fragen sich besorgt, ob mit der Präsidentschaft Donald Trumps auch das Säbelrasseln wieder Einzug in die internationalen Politik hält.
Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn findet diese Frage "germanozentrisch" und weltfremd: "Das heißt, man guckt auf den deutschen Bauchnabel und wacht auf, schaut in die Welt und stellt fest: Holla, da wird geschossen!", sagte Wolffsohn im Deutschlandradio Kultur und betonte: "Es wurde auch vorher geschossen. Ich finde das nicht gut, aber so zu tun, als ob die Welt vorher besonders friedlich gewesen wäre, das ist nun wirklich weltfremd, ahistorisch und nichtfaktisch. Das sind keine Fake News, sondern das ist Fake Reality."

Vor 1989 haben die USA die "Kastanien aus dem Feuer" geholt

Dass das in der deutschen Welt nicht wahrgenommen worden sei, liege an den in gewisser Weise "paradiesischen Zuständen", in denen sich jedenfalls die alte Bundesrepublik befunden habe.
"Deutschland hatte ziemlich genau bis zur Wiedervereinigung eine an sich wunderbare Situation, zumindest Westdeutschland. Wenn es brenzlig wurde, wusste man, dass die USA die Kastanien aus dem Feuer holen würden."
Inzwischen reagierten die USA in der internationalen Politik heftiger, räumt Wolffsohn mit Blick auf die Bombardierungen in Syrien und Afghanistan ein. Aber beides seien keine Kriegsaktionen im eigentlichen Sinne.

Kritische Situation zwischen USA und Nordkorea

Für "außerordentlich kritisch" hält Wolffsohn die Situation bezüglich Nordkorea: "Sie müssen bedenken, dass Nordkorea unmittelbar davorsteht, interkontinentale Raketen fertigzustellen, die auch erstmals die Westküste der USA oder zumindest Hawaii oder Guam erreichen können."
Außerdem liege die südkoreanische Hauptstadt Seoul in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie. "Ein falscher Schritt könnte tatsächlich zu im wörtlichen Sinne fatalen, also tödlichen Folgen führen."
Dennoch sei er optimistisch, da letztlich weder Nordkoreas Verbündeter China noch die USA Interesse an einer Eskalation hätten. "Ausgehend von einer Rationalität ist nicht damit zu rechnen, dass es zu einer Explosion in Nordkorea kommt."


Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Der Raketenangriff der US-Armee auf einen Stützpunkt der syrischen Luftwaffe, der Angriff der USA mit ihrer größten konventionellen Bombe auf angebliche Stellungen des sogenannten Islamischen Staats in Afghanistan, Kriegsschiffe vor der koreanischen Halbinsel, aber auch Drohungen, wie sie der türkische Präsident Erdogan regelmäßig ausstößt oder auch Wladimir Putin, all das könnte man als Säbelrasseln bezeichnen. Wenn man das tut, dann redet man von einem, na ja, Stilmittel der internationalen Politik, von dem sicherlich viele geglaubt haben, es gehöre eher der Vergangenheit an. Kehrt dieses Säbelrasseln im Moment zurück? Gibt es, weil das ja, was ich gerade aufgezählt habe zum Beispiel, international sehr unterschiedlich beurteilt wurde, gibt es so etwas wie gutes Drohen und böses Drohen? Über all das wollen wir jetzt mit dem Historiker Michael Wolffsohn reden. Er ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München und übrigens in diesem Jahr zum Hochschulprofessor des Jahres gewählt worden. Professor Wolffsohn, schönen guten Morgen!
Michael Wolffsohn: Guten Morgen!
Kassel: Machen wir das doch mal ein bisschen sortiert, reden wir zuerst über den Raketenangriff auf die Basis der syrischen Luftwaffe durch die US-Armee! Da haben viele gesagt, Säbelrasseln oder nicht, das finden wir richtig, da hat wirklich Trump mal was richtig gemacht. Sehen Sie das auch so?

"Man guckt auf den deutschen Bauchnabel und wacht auf"

Wolffsohn: Das ist eine Frage, die auf den syrischen Krieg zu beziehen ist, anders als die anderen Beispiele, die Sie genannt haben. In Bezug auf Syrien und den Bürgerkrieg, der ja ein Krieg ist mit auswärtigen Akteuren auch, war es aus meiner Sicht – und das kann ich auch begründen – eine richtige Entscheidung, weil damit angedeutet wird, dass man dem Abschlachten des syrischen Volkes nicht mehr tatenlos zusieht, also ungestraft nicht mehr abgeschlachtet werden darf. Aber die Frage, um die es ja geht hierbei, Säbelrasseln als Rückkehr, ist ein bisschen weltfremd. Sie ist germanozentrisch, das heißt, man guckt auf den deutschen Bauchnabel und wacht auf, schaut in die Welt und stellt fest: Holla, da wird geschossen! Es wurde auch vorher geschossen. Ich finde das nicht gut, aber so zu tun, als ob die Welt vorher besonders friedlich gewesen wäre, das ist nun wirklich weltfremd, ahistorisch und nicht faktisch. Das sind keine Fake News, sondern das ist Fake Reality.
Kassel: Das heißt… Zum einen haben Sie damit ja klargemacht, mit dem Begriff Säbelrasseln, der mir ja doch relativ laienhaft vorkommt, können Sie durchaus etwas anfangen als Historiker, aber Ihr Fazit ist: Das war nie weg, das haben wir nur in unserer westlichen Welt eine Weile nicht wahrgenommen?
Wolffsohn: Nein, in der westlichen Welt schon, aber in der deutschen Welt nicht. Denn machen wir uns nichts vor, Deutschland hatte ziemlich genau bis zur Wiedervereinigung eine an sich wunderbare Situation, zumindest Westdeutschland: Wenn es brenzlig wurde, wusste man, dass die USA die Kastanien aus dem Feuer holen würden. Das ist auch weitergegangen eine ganze Weile, und trotzdem oder gerade deshalb, wie man will, wurde an den Vereinigten Staaten heftig Kritik geübt. Und nun hat ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung einen Mann gewählt, der sagt, das lassen wir uns nicht mehr bieten. Ob dieser Mann der Richtige ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch das muss man verstehen. Kurzum, die Welt war vorher nicht friedlich, nun reagieren die USA heftiger, aber sie reagieren noch nicht mit einem Krieg. Der Beschuss des syrischen Luftwaffenstützpunktes ist keine Kriegsaktion in dem Sinne, die Aktion gegen den Islamischen Staat in Afghanistan ist eine gezielte Operation, eine Einzelaktion, es werden wahrscheinlich mehrere folgen, aber das ist noch kein Krieg. Anders sieht das mit Korea aus.
Kassel: Ja, kommen wir gleich zu Korea… Wobei, können wir eigentlich jetzt sofort, weil meine nächste Frage eigentlich auch wäre: Wir dürfen jetzt beide aber doch glaube ich auch nicht so tun, als sei die US-Regierung die einzige Seite, die Säbel rasseln lässt, das tun andere auch?

"Anwendung von politisch motivierter Gewalt ist ein Faktum"

Wolffsohn: Keinesfalls, keinesfalls! Russland, die Annexion der Krim, Ostukraine, die vielen Kriege im Nahen Osten… Wie definieren sie auch nicht nur Säbelrasseln, sondern den Einsatz von Säbeln? Terror ist auch eine Gewaltaktion, Terrorismus ist ein Phänomen, unter dem auch Deutschland neuerdings leidet. Also, kurzum: Die Anwendung von politisch motivierter Gewalt ist leider ein Faktum, das wir in Deutschland, weil wir sozusagen paradiesische Zustände hatten, nicht unbedingt wahrnehmen mussten. Das ändert sich nun.
Kassel: Sie haben so in einem Nebensatz – das können wir, glaube ich, nicht einfach stehenlassen – gesagt, das, was in Syrien passiert ist, dieser Angriff auf Afghanistan, die Stellung des IS, ist noch kein Krieg, anders als vielleicht die Lage in Korea. Ich meine, Krieg haben wir da auch nicht, aber verstehe ich Sie richtig, dass Sie da eine ernsthafte Kriegsgefahr sehen?
Wolffsohn: In Korea ist die Situation außerordentlich kritisch. Sie müssen bedenken, dass Nordkorea unmittelbar davorsteht, interkontinentale Raketen fertigzustellen, die auch erstmals die Westküste der USA oder zumindest Hawaii oder Guam erreichen können. Das ist die eine Seite. Die andere Seite, dass in unmittelbarer Reichweite der nordkoreanischen Artillerie – wohlgemerkt, der Artillerie, also der Kanonen, um es mal umgangssprachlich zu sagen – die südkoreanische Hauptstadt Seoul liegt mit 20 Millionen Einwohnern. Und ein falscher Schritt könnte tatsächlich zu im wörtlichen Sinne fatalen, also tödlichen Folgen führen.
Kassel: Liege ich da völlig falsch als auch nicht mehr so wahnsinnig junger Mensch oder erinnert mich das zu Recht schon auch an den Kalten Krieg und an das, was wir damals so als das Gleichgewicht des Schreckens zwischen der Sowjetunion und den USA bezeichnet haben? Könnte so was Ähnliches – und da sind wir bei der Frage, ob Säbelrasseln auch sehr viel Sinn machen kann – jetzt auch in Korea passieren?

"Die Situation ist kritisch"

Wolffsohn: Könnte, alles kann. Was denkbar ist, kann machbar sein. Und die Situation in Korea ist sowohl politisch als auch militärisch-strategisch außerordentlich heikel. Aber zum Kalten Krieg gehörte eben die wechselseitige Fähigkeit, den anderen zu vernichten. Das wäre im Falle eines koreanischen Krieges durchaus eine reale Gefahr, nicht die vollständige Vernichtung, aber doch eine ganz erhebliche. Da Atomwaffen ausstrahlen, wäre also nicht nur – nur in Anführungszeichen – die koreanische Halbinsel betroffen. Aber ich bin diesbezüglich dennoch optimistisch, denn China wird es nicht zulassen, dass sein Verbündeter, also der kleinere Verbündete, der von China letztlich abhängig Verbündete etwas macht, das man nennen könnte, dass der Schwanz mit dem Hund wackelt. Und China hat kein Interesse an einer Eskalation, die USA letztlich auch nicht. Es gehörte im Kalten Krieg dazu, zu zeigen, wenn du die Aktion A machst, dann bedeutet das B und das ist für dich auch nicht von Vorteil. Also, insofern: Ausgehend von einer Rationalität ist nicht damit zu rechnen, dass es zu einer Explosion in Nordkorea kommt. Aber die Situation ist kritisch.
Kassel: Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn über Säbelrasseln als Mittel der Politik und wie es eigentlich nie weg war, nur wir haben das so gesehen, sagt er zumindest. Herr Wolffsohn, vielen Dank für das Gespräch!
Wolffsohn: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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