"Weltparlament" in der Schaubühne

Den Ungehörten eine Stimme verleihen

Der Schweizer Regisseur, Theaterautor, Essayist und Wissenschaftler Milo Rau
Der Schweizer Regisseur, Theaterautor, Essayist und Wissenschaftler Milo Rau © dpa picture alliance/ Horst Galuschka
Milo Rau im Gespräch mit Ute Welty · 03.11.2017
Wenn am Wochenende in der Berliner Schaubühne das "Weltparlament" tagt, sind auch echte Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft dabei. Einberufen wurde es vom Schweizer Theatermacher Milo Rau. In unserem Gespräch erklärt er, worum es ihm bei dieser Aktion geht.
In der Berliner Schaubühne tagt an diesem Wochenende das "Weltparlament" - einberufen vom Schweizer Theatermacher Milo Rau. Mitmachen werden echte Politiker wie etwa Linken-Chefin Katja Kipping, der türkische Schriftsteller Can Dündar und zahlreiche Aktivisten für Menschenrechte und gegen Kapitalismus und Ausbeutung.

Veränderte Mitsprachemöglichkeiten für eine globalisierte Welt

Bei diesem Weltparlament geht es dem Schweizer Theatermacher zum einen darum, denen eine Stimme zu verleihen, die ansonsten nicht gehört werden. Zum Beispiel den Minenarbeitern Schwarzafrikas. Deren Leben sei direkt betroffen durch Entscheidungen, die in nationalen Parlamenten anderer Länder getroffen werden, auch dem Deutschen Bundestag, sagte Rau im Deutschlandfunk.
Außenansicht der Schaubuehne am Lehniner Platz in Berlin
Die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin© Gianmarco Bresadola
"Wir haben Abgeordnete, die sich uns angeschlossen haben, weil die tatsächlich diesen Widerspruch, dass Nationalparlamente die internationale Politik machen, auch sehen und auch sehen, dass das in einer globalisierten Welt verändert werden muss, dass es da eine Mitsprachemöglichkeit geben muss."
Insofern geht es beim Weltparlament auch darum eine Charta für das 21. Jahrhundert zu erarbeiten, die auslotet, was national und was supranational geregelt werden soll.

Gilt Meinungsfreiheit kulturübergreifend?

"Diese Charta wird hauptsächlich untersuchen, was überhaupt die Zuständigkeit eines solchen Weltparlaments ist", so Rau. "Beispielsweise Kulturfragen: Inwiefern ist, sagen wir mal, die Meinungsfreiheit kulturübergreifend für alle Länder? Gilt das, dass man in Bahrein auch alles sagen kann? Gerade in der Türkei, die Sie angesprochen haben. Wo sind da nationale Vorrechte, und wo muss es so was wie ein internationales Menschenrecht geben, eine Regulierung?"
Die Charta soll am kommenden Dienstag im Rahmen eines Sturms auf den Bundestag übergeben werden. Das klingt martialischer als von den Initiatoren geplant: "Es ist ein Sturm auf den Bundestag und nicht in den Bundestag. Wir wollen da nicht reinstürmen und wieder rausgeworfen werden", stellt Rau klar. "Es gibt ja auch so eine Art von Verlesung der Charta, und dann gibt es eine Übergabe natürlich an den Bundestag, eine kleine Feier auf dem Platz der Republik. Also, das ist eine ikonische Aktion, also der Versuch, ein Bild zu schaffen für diese Demokratie für das 21. Jahrhundert, vor dem deutschen Reichstagsgebäude.
Die Sitzungen des Weltparlaments finden am 3., 4. und 5. November in der Berliner Schaubühne statt. Ein Livestream der Plenarsitzungen ist unter www.general-assembly.net zu sehen.
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Als ob das reguläre Parlament nicht schon groß genug ist – ab heute kommt in Berlin auch noch das Weltparlament zusammen, und zwar nicht im Bundestag, sondern in der Schaubühne. Initiiert hat das der Schweizer Theatermacher Milo Rau, mindestens so bekannt wie streitbar. Guten Morgen, Herr Rau!
Milo Rau: Guten Tag!
Welty: Warum braucht es ein Weltparlament? Es gibt doch reichlich Institutionen wie eben den Bundestag oder auch die Vereinten Nationen?
Rau: Es gibt tatsächlich auch sehr viele transnationale Institutionen wie eben die UNO beispielsweise. Das Problem ist, dass die einerseits von den beteiligten Nationen gesteuert werden, also nicht tatsächlich transnational sind – United Nations Organization heißt ja die UNO –, und zum anderen nicht demokratisch legitimiert sind, also beispielsweise die Weltbank. Und das Problem der nationalen Parlamente, gerade des deutschen, ist ja, dass die Ausdehnung der Entscheidungen dieses Parlaments sehr groß ist. Deutschland hat ein sehr mächtiges Parlament. Das betrifft die ganze EU, aber auch eigentlich die ganze Welt. Das geht bis zur Minenindustrie Zentralafrikas. All diese Lobbys, also all diese Leute, der Minenarbeiter in Zentralafrika beispielsweise, der bei uns dabei sein wird, hat nichts zu sagen zu diesen Entscheidungen, die teilweise direkt sein Leben betreffen. Und das wollen wir versuchsweise ändern mit dieser General Assembly.

Mitsprachemöglichkeiten für Betroffene schaffen

Welty: Sie sagen, Sie wollen den Nicht-Gehörten und den Unterrepräsentierten eine Stimme geben. Das sagt die AfD von sich auch.
Rau: Ja, das kann schon sein. Nur, natürlich betreibt die AfD eine ultranationale Politik, also die AfD oder der Einzug der AfD in den Bundestag ist eine Renationalisierung des Deutschen Bundestags. Wir arbeiten mit allen [???*] anderen Parteien zusammen, SPD, die Linke, die Grünen und so weiter, sogar die CDU, wir haben Abgeordnete, die sich uns angeschlossen haben, weil die tatsächlich diesen Widerspruch, dass die Nationalparlamente die internationale Politik machen, auch sehen, und auch sehen, dass das in einer globalisierten Welt verändert werden muss, dass es eine Mitsprachemöglichkeit geben muss für Betroffene.

Der Regisseur als Techniker im Hintergrund

Welty: Dürfte ich Sie bitten, vielleicht zwei Schritte zur Seite zu gehen, weil wir Sie gerade im Moment nicht so ganz so gut verstehen. Vielleicht stabilisiert sich die Leitung an einem anderen Ort in Ihrer Wohnung?
Rau: Ich werde mich jetzt etwas ans Fenster stellen.
Welty: Das klingt schon sehr viel besser.
Rau: Vielleicht ist auch meine Stimme etwas schwach so früh am Morgen.
Welty: Ach nein, das geht schon.
Rau: Ich muss den ganzen Tag laut reden, wissen Sie, das ist …
Welty: Ja. Aber was ist denn überhaupt Ihre eigene Rolle in diesem Weltparlament? Sind Sie dann noch Regisseur oder doch eher so etwas wie Kanzler oder Präsident?
Rau: Wir haben eine Präsidentin, und wir haben zwei Vizepräsidenten und einen Alterspräsidenten, also es läuft alles gewissermaßen so, wie es auch in einem richtigen Parlament läuft. Meine Rolle ist die des Initianten, in gewisser Hinsicht des Moderators. Natürlich haben wir uns schon überlegt, wie genau das läuft mit unseren Spezialisten. Aber was genau da gesagt wird, was passiert – wir haben ja unterschiedlichste Positionen, also es wird auch sicherlich sehr viel Streit geben, wie in einem richtigen Parlament es auch sein muss. Da kann ich nicht eingreifen, da muss ich akzeptieren, was entschieden wird, was in den Abstimmung gemacht wird, was die Leute sagen. Also da ist meine Rolle die des – fast schon des Technikers im Hintergrund.

Was soll national und was supranational geregelt werden?

Welty: Zu den Teilnehmern des Parlaments gehören Katja Kipping als die Vorsitzende der Linkspartei, der türkische Schriftsteller Can Dündar und zahlreiche Aktivisten für Menschenrechte und gegen Kapitalismus und Ausbeutung. Und die sollen, wie gesagt, eine Charta für das 21. Jahrhundert erarbeiten. Was soll da soll da drin stehen, was nicht schon über den Zustand dieser Welt zu lesen war?
Rau: Diese Charta wird hauptsächlich untersuchen, was überhaupt die Zuständigkeit eines solchen Weltparlaments ist. Wir haben ja Regionalparlamente, wir haben Nationalparlamente, wir haben auch andere Organisationen. Beispielsweise Kulturfragen: Inwiefern ist, sagen wir mal, die Meinungsfreiheit kulturübergreifend für alle Länder? Gilt das, dass man in Bahrein auch alles sagen kann? Gerade in der Türkei, die Sie angesprochen haben. Wo sind da nationale Vorrechte, und wo muss es so was wie ein internationales Menschenrecht geben, eine Regulierung?
Also das sind Fragen, die wir von Klimapolitik bis zu ökologischen und ökonomischen Fragen durchgehen - und eben auch bis zu Kulturfragen. Also Dinge, die absolut nicht klar sind. Andere Dinge werden wirklich die Menschheit als Schicksalsgemeinschaft umfassen, die nicht bearbeitbar sind in Nationalparlamenten, den aktuellen transnationalen Institutionen. Es wird eine Art Entwurf sein dessen, was zu tun ist in so einer Institution, und dann auch vielleicht, dass es nach dieser ersten Session dann weitergeht mit dem Weltparlament.

Ein Bild für die Demokratie des 21. Jahrhunderts

Welty: Die Charta soll dann am nächsten Dienstag, am Jahrestag der Oktoberrevolution übergeben werden. Sie rufen auf zum Sturm auf den Bundestag. Was passiert, wenn Sie jemand beim Wort nimmt?
Rau: Ja, es ist ein Sturm auf den Bundestag und nicht in den Bundestag. Wir wollen da nicht reinstürmen und wieder rausgeworfen werden. Es gibt ja auch so eine Art von Verlesung der Charta, und dann gibt es eine Übergabe natürlich an den Bundestag, eine kleine Feier auf dem Platz der Republik. Also, das ist eine ikonische Aktion, also der Versuch, ein Bild zu schaffen für diese Demokratie für das 21. Jahrhundert, vor dem deutschen Reichstagsgebäude. Sollte jemand versuchen, reinzustürmen, dann darf er nicht vergessen, dass der Bundestag, was ich eigentlich sehr schade finde, das meist- und bestgesicherte Gebäude der Republik ist. Ist übrigens anders in anderen Ländern. In der Schweiz kann man da einfach reingehen. In Deutschland sind da ganz große Ängste. Vielleicht ist das auch ein Anfang, dass sich das wieder ändert.

Weniger Inszenierung als im richtigen Parlament

Welty: Jetzt findet das Ganze ja, also Ihr Weltparlament, im Theater statt. Wie viel Inszenierung erlaubt und verträgt eine solche Veranstaltung?
Rau: Wir müssen ja wissen, die richtigen Parlamente sind ja ultra-inszeniert. Das unterliegt alles extremsten Regeln, was überhaupt möglich und was unmöglich ist. Wie man spricht, wer spricht, in welcher Reihenfolge. Da gibt es bei uns tatsächlich größere Freiheiten, einfach weil es dieses Weltparlament auch noch nicht gibt. Wir haben natürlich einige Regeln gemacht. Ob die Inszenierung ausreicht, gerade bei der Dichte der Thematik, das werden wir sehen müssen.
Welty: Wen wünschen Sie sich als Zuschauer? Wer soll das Weltparlament besuchen? Oder gibt es überhaupt so etwas wie Zuschauer?
Rau: Es gibt eine Zuschauertribüne mit, ich glaube, 450 Leuten ungefähr, die da Platz finden. Für mich ist das natürlich ein öffentlicher, ein demokratischer Vorgang. Wir streamen das auch in fünf andere Theater und Nationaltheater in ganz Europa, es wird auch aufs Netz gestreamt. Es gibt drei Stenografen, die das alles mitschreiben und direkt aus dem Parlament tweeten. Also wir suchen eine ganz große Öffentlichkeit herzustellen für diese Debatten, die da stattfinden.
Welty: Der Schweizer Theatermacher Milo Rau beruft ab heute das Weltparlament in der Schaubühne in Berlin ein, und die Gründe dafür hat er uns gerade erklärt. Ich danke Ihnen!
Rau: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Auf Grund der schlechten Qualität der Telefonverbindung sind einige Passagen des Interviews schwer zu verstehen.
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