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Sommerlich schräg
Die harmonischen Welten von Cristobal and the Sea

Luftig, leicht, licht und von mehrstimmigem Gesang geprägt: So klingen die Songs der multinationalen Band Cristobal and the Sea – ohne dabei glatt und langweilig zu erscheinen. Der süßliche Albumtitel "Sugar Now" bereitet somit nur bedingt auf die poetische, oft aber auch angeschrägte Musik des Quartetts vor.

Von Bernd Lechler | 19.09.2015
    Mehrstimmige Refrains, ineinander verschlungene Gesangslinien und Frage-Antwort-Passagen: da waren unter Kritikern schnell The Mamas & The Papas und andere Sixties-Träumer als maßgebliche Einflüsse von Cristobal and The Sea ausgemacht. Aber: alten Westcoast-Pop mögen andere auch. Bassist Alejandro vermutet hinter den dichten Vocals eher: den Mangel und den Zufall.
    "Das kommt aus der Zeit, als wir noch an der Uni aufnahmen - und einfach kaum Instrumente hatten! Und als Leila dazukam, hatten wir plötzlich noch eine gute Stimme mehr in der Band, da haben wir das halt auch genutzt."
    Von Konzepten halten sie eh wenig. Die positive Stimmung? Kein Programm, sagen sie, jede Emotion tauge zur Verarbeitung, aber als Studenten hätten sie's zuletzt eben lustig gehabt. Und die lateinamerikanischen und brasilianischen Einflüsse: Haben sie sich damit lange beschäftigt? Nö, sagt Schlagzeuger Joshua.
    "Das sickert so unbewusst rein. João spielt gern diese Bossa-Nova-Akkorde auf der Gitarre, und selbst wenn man das noch abwandelt - plötzlich bist du auf so einem Latin-Pfad."
    Man versteht, dass sie als "Urban Hippies" etikettiert werden: die Melodien sonnig-naiv, die Querflöte wie ein Batikkleid - spannend wird's aber durch die psychedelische Weite der Produktion, die windschiefen Echos, den modernen Blick auf die traditionellen Elemente. Flötistin Leila hat ihre Band-Songwriter Alejandro und João als Zweier-WG kennengelernt und beobachtet, wie sich deren Geschmäcker und Inspirationsquellen wandelten:
    Vom Blues also zu Animal Collective, den Indie-Avantgardisten aus Brooklyn - mit deren Produzent, Rusty Santos, sie nun im Studio waren, was sicher zum angenehm verschrobenen Klangbild beiträgt. Aber sie bringen auch Eigenwilligkeit mit: Joãos Texte etwa lesen sich auf Papier wie kleine Gedichte - deren Zeilenordnung man ansieht, dass sie frei strukturiert sind, nicht herkömmlich in Strophen und Refrains. Neben metaphorisch besungenem Lebensgefühl stehen ganz konkrete Erlebnisse, wenn es in "Legs Gone Feathers" heißt: "Come to your daddy, girl".
    "Da geht es um zu viele Nächte in Clubs, in denen ältere Herren junge Mädchen angraben." – "João und ich sind ja in Luxemburg aufgewachsen, da ist viel Geld, und entsprechend gibt es Clubs, in denen man sowas oft sieht. Der Song ist ein Destillat davon."
    Der zuckrige Albumtitel "Sugar Now" hingegen bedeutet nur so viel, wie man in ihn hineinlesen will.
    "Ein Albumtitel sollte feststehen, bevor man fertig ist. Das gibt einem so ein seltsames kosmisches Verständnis dafür, was man da tut. In "Sunset Of Our Troubles" fehlte noch ein Element, und unser Produzent Rusty schlug vor, irgendwas zu rufen. Wir probierten alle möglichen Wörter aus, bis er mit "Sugar Now!" kam. Das gefiel uns sofort. Wir hatten uns für einen mehr oder weniger sinnreichen Albumtitel endlos das Hirn zermartert - aber da sagten wir einfach: "So, genauso nennen wir's jetzt."
    Ein Spanier und ein Portugiese, die teils in Brüssel zusammen aufgewachsen sind; die korsische Französin, die die beiden an der Uni im englischen Louchborough kennenlernte; der Brite, der als letzter dazukam - vielleicht ist das Erstaunliche an Cristobal And The Sea gar nicht, dass sie eine facettenreiche und vielfältig inspirierte Musik machen, sondern, dass das Ergebnis so geschlossen klingt. Offenbar fügt sich bei dieser Band wirklich alles wie von selbst zusammen. In Zukunft wollen sie aber doch auch drüber nachdenken.
    "Wir waren einfach Freunde, die Musik gemacht haben, um Musik zu machen. Und dann trafen wir zur rechten Zeit am rechten Ort die richtigen Leute. Aber keine Sekunde haben wir an irgendein Konzept gedacht. Erst jetzt müssen wir uns damit mal befassen."