Weltkriegsgedenken

Als hätte es Ukrainer und Weißrussen nicht gegeben

Graffiti russischer Weltkriegssoldaten im Nordflügel des Deutschen Bundestages
Graffiti russischer Weltkriegssoldaten im Nordflügel des Deutschen Bundestages © picture alliance / Daniel Kalker
Von Sabine Adler · 22.06.2016
Zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion bekenne sich Deutschland zu seiner Schuld, oft aber nur gegenüber Russen, meint Sabine Adler. Auch die Soldaten anderer Sowjetrepubliken - heute unabhängige Staaten - seien gefallen. Darum müsse gründlicher formuliert werden.
Viele Menschen, die den Kriegsbeginn damals erlebt haben, wissen noch heute ganz genau, was sie an jenem 22. Juni 1941 gemacht haben, der Tag war eine Zäsur in ihrem Leben. Was etwas verwundert. Nicht nur, weil da der Krieg bereits fast zwei Jahre in Europa tobte, sondern auch, weil wenige Tage nach dem Überfall der Wehrmacht in Polen die Sowjetunion selbst in die polnischen Ostgebiete einmarschiert und Moskau damit zum Aggressor geworden war. Als die Nazis dann aber der UdSSR, ihrem einstigen Verbündeten aus dem Ribbentrop-Molotow-Pakt, in den Rücken fielen, wendete sich das Blatt. Vor allem in der Ukrainischen, Weißrussischen und Russischen Sowjetrepublik begann ein Leid, dessen Ausmaß die Welt bis dahin nie sah.
Deutschland bekennt sich zu dieser Schuld, die aber fahrlässigerweise zu häufig nur gegenüber Russen empfunden wird, als hätte es Ukrainer, Weißrussen, die Soldaten aus den vielen anderen Sowjetrepubliken, die gemeinsam in der Roten Armee kämpften und fielen, nicht gegeben. Sogar Polen wird mitunter vergessen. Und weil Russland seine Schuld gegenüber Polen noch nicht einmal diskutiert, bleibt das Verhältnis zwischen Warschau und Moskau belastet, fühlen sich die Polen bei der Annexion der Krim und den russischen Soldaten in der Ostukraine sofort an die eigene Geschichte erinnert, haben Angst vor Wiederholung. Wie die Balten. Für sie ist das, was Außenminister Steinmeier als Säbelrassen bezeichnet, eine unverzichtbare Vergewisserung der eigenen Verteidigungsfähigkeit.
Russland nicht länger als Nachbarn bezeichnen
Wer sich in der aktuellen Politik von Deutschlands geschichtlicher Verantwortung leiten lässt, sollte die also gründlicher formulieren, um in Warschau, Kiew und Minsk nicht neue Wunden zu schlagen, und er sollte Russland nicht länger als Nachbarn Deutschlands bezeichnen. Zwischen unseren Landesgrenzen liegen eine Reihe weiterer Staaten, die schon einmal Opfer eines allzu engen deutsch-russischen Schulterschlusses geworden sind.
In Russland wird heute der heldenhaften Verteidigung der Heimat gedacht, nicht anders als zu Sowjetzeiten. Wie damals weiß dort auch heute kaum jemand, welche Schuld Stalin und die Armeeführung auf sich geladen haben, den Polen, Balten und der eigenen Bevölkerung gegenüber. Die Menschenrechtsorganisation "Memorial", die sich jahrzehntelang um die kritische Aufarbeitung der Kriegsgeschichte bemühte, gilt heute als "Ausländischer Agent". Den Molotow-Ribbentrop-Pakt, den Wladimir Putin auf der Westerplatte in Danzig 2009 noch als "moralisch inakzeptabel und politisch sinnlos" verurteilt hatte, findet er seit einiger Zeit entschuldbar. Die Sowjetunion hätte eben nicht kämpfen wollen. Dass die Rote Armee häufig in völlig ausweglose Gefechte geschickt wurde, durften und dürfen bis heute russische Historiker nicht analysieren. Die Erklärung: Über den Sieger richtet man nicht.
Es stimmt, es gab Millionen Helden, die ihr Leben ließen für die Sowjetunion, ihr Vaterland. Nicht jedes Opfer war unvermeidlich. Doch sie alle sind letztlich wegen des deutschen Überfalls gestorben.
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