Welterbestatus für Tonbänder von Auschwitzprozess

"Viele von uns sind in das Feuer gesprungen"

22 ehemalige Wachen und Beamte des Konzentrationslager Ausschwitz stehen im Dezember 1963 in Frankfurt vor Gericht.
22 ehemalige Wachen und Beamte des Konzentrationslagers Auschwitz stehen im Dezember 1963 in Frankfurt am Main vor Gericht. © imago / stock&people
Von Ludger Fittkau · 30.10.2017
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess gab den Opfern des Nationalsozialismus eine Stimme. Ihnen zuzuhören ist noch immer erschütternd. Die Tonbandaufzeichnungen des Prozesses gehören jetzt zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.
"Das Gericht muss in zwanzig Monaten der Prozessdauer noch einmal im Geiste all die Leiden und die Qualen erleben, die die Menschen dort erlitten haben und die mit dem Namen Auschwitz auf immer verbunden sein werden. Es wird wohl mancher unter uns sein, der auf lange Zeit nicht mehr in die frohen und gläubigen Augen eines Kindes sehen kann, ohne das im Hintergrund und im Geist ihm die hohlen, fragenden und verständnislosen, angsterfüllten Augen der Kinder auftauchen, die dort in Auschwitz ihren letzten Weg gegangen sind."

318 Zeugen, darunter 181 Überlebende

318 Zeugen, darunter 181 Überlebende von Auschwitz vernahm Hans Hofmeyer in diesem vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer initiierten, großen Strafprozess zum industrialisierten Massenmord in Auschwitz. Alle diese Aussagen sind auf Tonbändern dokumentiert. Auch die Zeugenaussage des Arztes Mauritius Berner aus Siebenbürgen. Er erkennt an der Rampe von Birkenau auf Täterseite den Apotheker Viktor Capesius aus seiner Heimat, den er bittet, seine Kinder aus der Reihe zu holen, in der sie gemeinsam mit seiner Frau stehen und losgehen sollen, zur Gaskammer, wie später klar sein wird. Dieser Rettungsversuch misslingt:
"Ich begann zu schluchzen. Worauf Dr. Capesius mir auf Ungarisch sagte: 'Weinen Sie nicht. Sie gehen nur baden. Sie werden sie in einer Stunde wiedersehen.' Ich rufe das noch mit lauter Stimme meiner Frau und meinen Kindern nach. Nie habe ich sie wiedergesehen."
Überlebende Kinder im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau nach der Befreiung durch die sowjetische Armee
Überlebende Kinder im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau nach der Befreiung durch die sowjetische Armee© imago/ITAR-TASS
Nach langer Zeit konnten sich Opfer in ihrer jeweils eigenen Sprache oder Dialekt zu dem grauenhaften Geschehen äußern. So begründete Dr. Joachim-Felix Leonhard, der Vorsitzende des deutschen Nominierungskomitees für das "memory of the wourld", die Nominierung der Tonbandprotokolle des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses zur Aufnahme in das UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Die Opfer würdigen, die Täter verurteilen

Es sei "der große Verdienst des damaligen hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer gewesen, unerschrocken die Aufklärung über die Ermordungen in Auschwitz voranzutreiben und die Ahndung der Taten herbeizuführen. Vor allem ermöglichte der Prozess den Opfern, sofern sie noch lebten, ihre Würde zurückzubekommen, besonders durch die Verurteilung der Täter", so die Begründung des deutschen UNESCO-Nominierungskomitees.
Neu angekommene Häftlinge haben auf der Todesrampe im KZ Auschwitz Aufstellung genommen. Links Frauen und Kinder, rechts die Männer. Anschließend wird mit der Selektion begonnen.
Todesrampe im Konzentrationslager Auschwitz© dpa / picture alliance
Eine besonders schwierige Zeugenbefragung, die der Gerichtsvorsitzende Hans Hofmeyer durchführen muss, ist die Befragung der überlebenden Mitglieder der sogenannten "Sonderkommandos" in Auschwitz-Birkenau. Das sind Häftlinge, die an den Gaskammern und Massengräbern der Mithäftlinge zum Einsatz kommen. Wie Dov Paisikovic, der Leichen zu Gräben schleppen musste, wo sie verbrannt wurden:
Hofmeyer: "Nun, sagen Sie, von den Menschen, die mit da zusammengekommen sind, haben die das alle mitmachen können, oder…"
Paisikovic: "Es waren von uns viele, die selbst in das Feuer gesprungen sind."
Hofmeyer: "Die in das Feuer gesprungen sind?"
Paisikovic: "Ja."
Hofmeyer: "Von sich aus?"
Paisikovic: "Von sich aus."
Hofmeyer: "Aus lauter Verzweiflung über das, was sie gesehen haben."
Paisikovic: "Ja."
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