Donnerstag, 28. März 2024

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"Die Globalisten"
Die kleinen Gauner des Kulturbetriebs

Von Gisa Funck | 30.01.2015
    "Und was machen Sie, wenn ich fragen darf?" Adolphe Weill hatte direkt und wie aus der Pistole geschossen gefragt. (...)
    - "Nun ich bin Filmproduzent, Entwickler von Fernsehformaten (...), begann Wallauschek eher umwegig (...) "Im Moment hab ich ein großes Projekt am Köcheln, eine Geschichte, die es wirklich in sich hat ...."
    - "Erzähl keinen Schmonzes! Die Wahrheit, bitte!" Weill hatte den Kopf jetzt vorgereckt wie ein wildes Tier, zum Zuschnappen bereit.
    Zwei Männer in den sogenannten "besten Jahren", die sich zufällig als Patienten im Krankenzimmer kennenlernen. Der eine, der Schweizer Geschäftsmann Adolphe Weill, wurde von einem Auto angefahren und tätigt dubiose Deals mit der Russenmafia. Der andere, ein selbst ernannter Filmproduzent namens Alfred Wallauschek, ist im Suff gestürzt und will ebenfalls zu Geld kommen. Wallauschek träumt nämlich von einem Serienhit im Fernsehen. Irgendetwas mit Kultur soll es sein. Und schon mit dieser vagen Andeutung gelingt es ihm, seinen Zimmergenossen Weill als Financier zu gewinnen:
    "Was mir vorschwebt, ist eine ganze Serie von Filmen, kritisch, bissig aktuell und dabei hochkünstlerisch! Wir stehen bereits mit Sendern in Verhandlung. Jeder weiß, jeder ist heiß...."
    Weill sagte erst einmal gar nichts darauf. Den Kopf wiegend, meinte er schließlich: (...)
    "Klingt ja mächtig interessant!"
    Spätestens seit seinen beiden letzten Romanen "Madame Stern" und "Geld!" gilt Peter Rosei, 1946 in Wien geboren und studierter Jurist, als scharfzüngiger Kapitalismuskritiker. Doch während diese beiden Aufsteiger-Geschichten quasi noch mitten hinein ins schwarze Herz des Big Business zielten - nämlich mal im Banken-, mal im Werbemilieu spielten - nimmt Rosei diesmal einen kapitalistischen Nebenschauplatz aufs Korn: den zunehmend vom Profitdenken bestimmten Kulturbetrieb:
    "In der Kunst gibt es viele Dinge nebeneinander, so wie Sonnenblumen und Glockenblumen oder Löwenzahn. Wer will sagen, der Löwenzahn ist besser als die Glockenblume?! Das kann man eigentlich nicht sagen, außer man denkt nur ökonomisch. Dann muss man die Sonnenblume vorziehen. Aus der kann man Öl machen und das kann man verkaufen. Mit der Glockenblume, die kann man nur zu Sträußen binden, das ist ja ein schlechteres Geschäft. Also, wenn man diesen Blick verabsolutiert, dann bleibt gar nichts davon verschont, und eben auch die Kunst nicht."
    Den Part des verführbaren Künstlers übernimmt in Roseis Buch der zwar talentierte, aber bislang erfolglose Dichter Josef Maria Wassertheurer, den sein alter Filmkumpel Wallauschek alsbald überredet, doch bitte das Drehbuch zur bereits verkauften Fernsehserie zu schreiben. Größenwahnsinniger Arbeitstitel: "Die Komödie der Welt". Zu viert - Wassertheurer und Wallauschek lassen sich von ihren Partnerinnen begleiten - zieht man sich zwecks Kreativproduktion nach Bad Aussee in eine Villa zurück. Wo der Versuch des Dichters, eine TV-Comedie humaine á la Balzac zu Papier zu bringen, dann natürlich scheitern muss. "Die Globalisten" hat viel von einer schwarzhumorigen Boulevardkomödie, die den Kulturbetrieb auf ein Gaunertrio aus Sponsor, Vermarkter und Künstler reduziert:
    "Man hätte auch eine Götterdämmerung des Kapitals schreiben können oder des Marktes, ja aber das war nicht mein Interesse. Das Buch spielt eher in der Küche der Walhalla oder in der Bediensteten-Abteilung, wo natürlich auch die Reflexe erkennbar sind, die das große Geschehen bestimmen. Das sind nicht Topmanager oder Bankdirektoren, sondern eben kleine, wie soll man jetzt sagen? Kleine Verlotten, ja?!"
    Kleine Verlotten, also nur die kleinen Gauner der Kultur will Rosei in "Die Globalisten" vorführen, die dann aber - wenn's hart auf hart kommt - auch vor Mord nicht zurückschrecken. Wie schon seine Bankerin Gisela Stern aus dem Vorgänger-Roman "Madame Stern", die regelmäßig in die Oper ging, macht die Liebe zur Kunst Roseis Karrieristen auch diesmal keinesfalls zu besseren oder weniger skrupellosen Menschen. Ganz im Gegenteil: Die Beschäftigung mit schöngeistigen Dingen bewirkt bei seinen Helden gerade keine Erkenntnis oder gar Läuterung, sondern dient letztlich bloß als Deckmantel oder Gewissensberuhigung, um die eigenen, unsauberen Machenschaften zu kaschieren:
    "Wenn Sie sich anschauen, sagen wir: die Budgets von den berühmten Salzburger Festspielen, die könnten ohne Private Sponsoring überhaupt nicht den Betrieb aufrechterhalten. Porsche oder irgendwelche Pharmakonzerne, die sponsern diese Kultur. Und besonders lustig ist, wenn dann irgendwas vom Luigi Nono gespielt wird, eine Kantate über die Revolution, und drunten sitzt ein Managerpublikum mit ausfinanzierten Plätzen. Also, die Situation selbst ist ja satirisch, ja."
    Auch in "Die Globalisten" korrumpiert die Macht- und Geldgier erneut den Charakter und verwandelt schließlich sogar den anfänglich idealistischen Dichter Wassertheurer in einen amoralischen Zyniker. Zwar kein sonderlich überraschender, aber typischer Rosei-Befund. Doch zum Glück verpackt der bewährte Menschheitsskeptiker aus Wien ihn auch diesmal wieder durchaus vergnüglich, mit einer gehörigen Portion Selbstironie. Dazu lässt Rosei einen Erzähler auftreten, der den Leser wie ein Conférencier durch die Geschichte führt und mit seinen Kommentaren immer wieder augenzwinkernde Distanz zum Geschilderten schafft. Etwa dort, wo er die Freundin von Fernsehproduzent Wallauschek folgendermaßen vorstellt:
    "Wir konzentrieren uns auf die offenstehende Tür des Vorbaus (...) In einem Zimmer im oberen Stockwerk werden wir fündig. Auf einem breiten französischen Bett liegt (...) eine zierliche Frau. (...) Sie ist nicht tot. Eine in die Stirn hängende Haarsträhne bewegt sich mit jedem Atemzug. (...) Olga Tessier heißt die Besitzerin der schönen Villa. Früher ist sie einmal eine gefeierte Schauspielerin gewesen. (...) Zwischendurch hat sie mehrfach geheiratet. ‚Wozu heiratet man denn? Nur, damit's bei der Scheidung ein ordentliches Trostpflaster gibt!', ist eins ihrer Bonmots."
    "Die wesentliche Vorgabe ist, dass das möglichst knapp und ohne Redundanzen, also ohne überflüssiges Geschwafel und Aufgeblasenheiten über die Bühne geht. Und dafür brauche ich so eine Art Regisseur. Der erspart mir riesige Umwege. Und ich halte nix davon, dass der Leser in diese Figuren hineinschlüpft und mitleidet. Der Leser soll sozusagen bei Verstand bleiben, ja. Also, ich habe das ganz gern, wenn das so wie ein Pokerspiel runtergeht, ja?!"
    Allein schon wegen seines amüsanten Conferencier-Erzählers ist Roseis Kulturbetriebssatire lesenswert, auch wenn seine Globalisten stellenweise eher den 1950er/60er-Jahren als dem 21. Jahrhundert entsprungen zu sein scheinen. Nicht genug, dass Geschäftsmann Weill seine Osteuropa-Deals ziemlich altbacken im "Cafe Imperial" abschließt und viel mit dem Zug durch die Gegend fährt. Erschwindeltes Geld wird auch altbewährt mit Schampus und Huren verprasst. Und vor allem Frauen treten hier - höchst unemanzipiert- stets nur als hübsch drapierte Männer-Anhängsel auf. Ein durchweg von Männern dominierter Kulturbetrieb?! Zumindest in dieser Hinsicht hinkt Roseis Satire wohl tatsächlich ein paar Jahrzehnte der Zeit hinterher. Ansonsten aber stellt der Roman treffend und vergnüglich die Piefigkeit vieler heutiger Kulturliebhaber aus, bis einem als Leser schlagartig das Schmunzeln vergeht, wenn die Kulturbiedermänner urplötzlich den Unmenschen hervorkehren.