"Welcome to Germany" an den Sophiensaelen

Das Grauen hinter der Wohlfühlfassade

Eine Szene des Stückes "Welcome to Germany" von der Theatergruppe Monster Truck.
Eine Szene des Stückes "Welcome to Germany" von der Theatergruppe Monster Truck. © Florian Krauss
Von Alexander Kohlmann · 07.05.2015
Einmal verschoben, dann abgesagt - ein bühnenreifes Drama hat sich um die Produktion "Welcome to Germany" des Theaterkollektivs Monstertruck entsponnen. Schuld war das Schwein, das auf der Bühne zerlegt werden sollte. Nun feierte es in Berlin Premiere.
Es erschließe sich ihm nicht, warum in der Performance "Welcome to Europa" ein Schwein zerlegt werde, sagte der Intendant des Schauspiel Leipzig Enrico Lübbe im Deutschlandradio Kultur. In Leipzig durfte der neue Abend von Monster-Truck deshalb nicht gezeigt werden - in Berlin dagegen schon. Gestern Abend kam die Co-Produktion mit den Sophiensaelen doch noch zur Uraufführung - mit einem Schweine-Massaker in einem eindeutigen Kontext.
Blasmusik zu hören
Schon beim Betreten des Saals zeigt sich, dass dieser Abend viel eher eine Kunstinstallation, denn eine klassische Theaterinszenierung ist. In die Mitte der Bühne ist eine riesige Rotunde aufgebaut. Aus dem Inneren des hölzernen Karussells ist Blasmusik zu hören. Der Pavillon steht für eine Enklave deutschen Brauchtums am Fuße der chilenischen Anden. In der heutigen Villa Baviera auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad hat jahrzehntelang eine Sekte mit deutschen Antlitz geherrscht. Während die Läden Schwarzbrot und Wurst vor bayrischer Kulisse verkauften, folterten die Schergen des Pinochet-Regimes ihre Gegner auf dem weitläufigen Gelände.
Die Zuschauer steigen durch die Tür und sitzen in der Rotunde an Biertischen. Um sie herum kreisen die Wände, an denen bunte Gemälde deutschen Brauchtums prangen. Ordentliche Buben in der Schule, ein Bauer auf dem Mähdrescher, niedliche Bayern-Häuser. Bier wird serviert und Würstchen mit Senf. Gemütlich geht es hier zu - bis das Licht verlischt und ohne Prolog passiert, worauf alle gewartet haben. Zu düsteren Splatter-Movie-Klängen trägt eine Frau im OP-Kostüm ein Schwein auf ein Podest in der Mitte der Bühne. Kein frischgeschlachtetes Tier ist das, sondern ein vorbereitetes Stück Fleisch aus dem Supermarkt, ausgenommen, ausgeblutet, gewaschen und gehäutet.
Fleisch wächst nicht am Baum
Nicht wirklich schockierend, sondern eher klinisch-steril erscheint es deshalb, als die Frau dem Schwein mit dem Messer zu Leibe rückt, die Knochen durchtrennt und das Fleisch abschabt. So sieht die Wahrheit eben uns, unser Fleisch wächst nicht am Baum. Vor dem Hintergrund der heilen Welt-Gemütlichkeit macht sich dennoch so etwas wie Beklemmung breit, die knackenden Knochen, das brutal verrenkte Schweine-Bein, ein übler Geruch - etwas bleibt hängen für den Rest des Abends.
Der wird nach dem Schweine-Massaker von einem diabolischen Moderator im Lederhosen-Dress moderiert. Auf der Plattform lässt er von seinen drei Kollegen in verschiedenen Nummern die Wahrheit hinter dem schönen Schein aufführen. Da schnallt sich dann ein Seppel eine Banane um, an der die anderen lustvoll killern - auch Kindesmissbrauch war an der Tagesordnung in der deutschen Außenstelle bayerischer Gemütlichkeit.
Auseinandersetzung mit Abgründen
Nur eines macht stutzig bei soviel süddeutsch-chilenischer Folklore. Der Moderator der Revue des Grauens spricht gar nicht bayrisch, sondern es klingt viel mehr verdächtig nach sächsisch. Und je länger man ihm zuhört, desto mehr erscheinen die Heile-Welt-Bilder wie Szenen aus einem ganz anderem Freistaat.
Auch der sogenannte sozialistische Realismus verbarg hinter biederen Bildern von properen Arbeitern und Bauern sein wahres, brutales Gesicht. Es ist eine deutsche Spezialität, das Grauen hinter spießbürgerlicher Volkstümelei zu verstecken, da nehmen sich die rechte und die linke Diktatur nichts. Und die Auseinandersetzung mit den Abgründen hinter dieser Wohlfühlfassade hätte mit Sicherheit auch der "Heldenstadt" Leipzig sehr gut gestanden.
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