Weizengenom entschlüsselt

Jetzt bloß keine Wunder erwarten

Weizenfeld, vertrocknet und nur niedrig gewachsen, durch die Sommer Trockenheit, Dürre, in Ostwestfalen Lippe, NRW
Mit der Entschlüsselung des Weizengenoms wurde eines der größten Projekte der Pflanzenforschung abgeschlossen © imago stock&people / Jochen Tack
Stig Tanzmann im Gespräch mit Katrin Heise  · 18.08.2018
Nach der Entschlüsselung des Weizengenoms warnt Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft bei "Brot für die Welt", vor zu hohen Erwartungen. Neuzüchtungen seien viel komplizierter als oft gedacht.
Nach jahrelangen internationalen Anstrengungen ist das komplexe Erbgut des Weizens nahezu vollständig entschlüsselt. Eine Gruppe von mehr als 200 Forschern aus 73 Einrichtungen in 20 Ländern hat in der Fachzeitschrift "Science" das Genom von Brotweizen, der weltweit wichtigsten Weizenart, veröffentlicht. Die im International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC) zusammengeschlossenen Forscher erhoffen sich davon Verbesserungen für die Welternährung.
"Aus meiner Sicht ist es eine große und wichtige wissenschaftliche Erkenntnis, die schon hilft, diese großen Probleme anzugehen und dort gezielter an den Problemen zu arbeiten", begrüßt Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft bei der Hilfsorganisation "Brot für die Welt"  die Forschungsergebnisse.
Er erinnerte aber daran, dass Reis und Mais gerade in Hungerregionen Afrikas und Asiens eine viel größere Rolle für die Ernährung spielten. Die Genome dieser Nutzpflanzen seien schon lange entschlüsselt und hätten auch nicht die vorausgesagten großartigen Veränderungen erbracht.

Wissenschaftlicher Erfolg

Dennoch würdigte Tanzmann den Durchbruch der Forscher beim Weizen als wichtigen wissenschaftlichen Erfolg. Aber es sei einfach ein Teil der Arbeit, die gemacht werden muss, um widerstandsfähige Sorten zu bekommen. "Da darf man das Ergebnis nicht herunterspielen, man darf es aber auch nicht überbewerten und jetzt Wunderdinge auf einmal von der Wissenschaft und von der Züchtung verlangen", sagte der Referent. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich müsse man längerfristig denken. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: Weizen soll laut Wissenschaft das Grundnahrungsmittel für mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung sein. Aus diesem Grund jubeln zurzeit Forscher, nämlich darüber, dass das Weizengenom, also das Weizenerbgut, jetzt entschlüsselt ist. Eine Gruppe von mehr als 200 Forschern aus 73 Einrichtungen in 20 Ländern haben in der Fachzeitschrift "Science" das Genom des Brotweizens veröffentlicht.
Damit ist eines der größten Projekte der Pflanzenforschung abgeschlossen. Was könnte man damit alles machen – klimagerechte Sorten züchten oder Sorten für Menschen, die kein Gluten vertragen beispielsweise. Stig Tanzmann ist Referent für Landwirtschaft bei "Brot für die Welt". Schönen guten Morgen!
Stig Tanzmann: Guten Morgen!
Heise: Herr Tanzmann, jubeln Sie mit?
Tanzmann: So eine wissenschaftliche Erkenntnis oder so ein wissenschaftliches Ergebnis ist natürlich immer erst mal begeisternd. Und da muss man sagen, herzlichen Glückwunsch, dass dieses Projekt zu Ende gegangen ist und man das Genom entschlüsselt hat.
Weizenernte in Mailand, Italien
Weizen ist für mehr als 30 Prozent der Menschheit ein Grundnahrungsmittel. © imago/Italy Photo Press
Heise: Jedenfalls zu über 90 Prozent, wie ich gelesen habe. Wenn Weizen, also dieser Brotweizen für mehr als 30 Prozent der Menschheit ein Grundnahrungsmittel ist, dann kann doch nun an der Lösung des Ernährungsproblems gearbeitet werden, oder, durch beispielsweise widerstandsfähigere Sorten?
Tanzmann: Ich würde das jetzt nicht mit der Welthungerbekämpfung überhöhen, dieses Ergebnis. Man darf nicht vergessen, dass zum Beispiel Reis auch ein Grundnahrungsmittel ist, auch für über 30 Prozent der Weltbevölkerung. Das Genom ist schon 2002 entschlüsselt worden. Und das Maisgenom wurde 2009 entschlüsselt. Aber ähnliche Sachen, wie Sie jetzt angesprochen haben, wurden auch damals bei Reis und bei Mais versprochen, und das hat sich jetzt nicht ganz so umgesetzt.

Züchtung ist komplizierter

Heise: Woran liegt das?
Tanzmann: Züchtung ist, würde ich mal sagen, ganz einfach deutlich komplizierter, als man das gemeinhin denkt und wie es dann suggeriert wird. Um auf den Brotweizen zurückzukommen, muss man sagen, der Brotweizen ist vor allem ein Grundnahrungsmittel in Regionen, die jetzt nicht vom Hunger betroffen sind. Sondern da sind eigentlich Reis und Mais viel grundlegender, weil die wachsen dort, in Afrika, in Asien, wo es noch wirklich viele Hungernde gibt.
Heise: Sie haben eben was angesprochen, was ich mir auch so überlegt habe. Jetzt ist das Genom erforscht worden, und dann müsste man ja diese Ergebnisse jetzt irgendwie umsetzen in der Züchtung. Da wird gesagt, das könne jetzt beschleunigt werden. Sie haben da jetzt eben ganz stark auf die Bremse getreten. Warum?
Tanzmann: Weil das einfach nicht – ganz einfach: Erst mal muss man auch sagen, natürlich ist da jetzt ein Genom entschlüsselt worden. Es gibt natürlich ganz viele verschiedene Sorten, und das weiß man auch aus der Reis- und Maisforschung, dass es natürlich auch eine große Varianz zwischen den verschiedenen Sorten gibt.
Eine Frau arbeitet am 13.10.2015 auf einem Reisfeld bei Thanjavur (Indien). 
Ein Reisfeld bei Thanjavur - in Indien zählt Reis neben Mais und Weizen zu den wichtigsten Getreidesorten. © dpa / Sebastian Kahnert
Wenn man sich vorstellt, dass es allein in Indien früher 160.000 verschiedene Sorten Reis gegeben hat, die ungefähr eine Eigenschaftsspanne von "Ich wachse auch noch bei zwei Meter Überflutung oder einer sehr großen Trockenheit", dann weiß man ungefähr, was da sozusagen auch für verschiedenste und komplexe genetische Informationen drin stecken. Und man hat zwar vielleicht jetzt das Genom entschlüsselt, man sieht sozusagen, was da für Buchstaben stehen, aber dass man das jetzt auch zu hundert Prozent verstanden hat und lesen kann, was man dort aufgeschrieben oder entschlüsselt hat, das ist einfach auch noch nicht der Fall.

Skepsis gegenüber Gentechnikverfahren

Heise: Und gehen wir mal einen Schritt weiter. Hätte man das bereits getan und hätte man jetzt auch in der Forschung und der Züchtung dann schon andere Sorten erkannt und kreiert, kämen eigentlich Ihres Wissens nach oder Ihrer Erfahrung nach normale Landwirte eigentlich an diesen verbesserten Weizen?
Tanzmann: Die Zuchtfortschritte, die sozusagen auch möglich sind, weil man jetzt sozusagen verschiedene Regionen im Genom besser identifizieren kann, was sie damit zu tun haben, also Leistung, Trockenheitsresistenz, das sind Sachen, die kommen natürlich dann auch beim normalen Landwirt an über die Zuchtunternehmen oder auch staatliche Züchtung. Das ist auch schon möglich.
Nur, was auch suggeriert wird, man könne das schneller machen über neue Gentechnikverfahren – das ist ja sozusagen der nächste Satz, der dann dazugehört, wenn man das so schneller machen möchte, wie sich das einige vorstellen, da wird es dann schon ein bisschen schwieriger, weil die auch noch gar nicht ausreichend erforscht sind und es einfach auch Gentechnikverfahren sind und sie natürlich einer Regulierung unterliegen.
Genfood als Mittel gegen den Welthunger? Sogenannter "Goldener Reis" (l) soll Mangelerscheinungen bei Menschen in Entwicklungsländern vorbeugen. Die auch in Deutschland legale Spekulation auf Lebensmitteln geht dessen ungehindert weiter
Genfood als Mittel gegen den Welthunger ist umstritten. Sogenannter "Goldener Reis" (l) soll Mangelerscheinungen bei Menschen in Entwicklungsländern vorbeugen. © Universität Freiburg/dpa picture alliance
Heise: Das heißt, nur einige bestimmte Unternehmungen haben dann den Daumen drauf.
Tanzmann: Bei den neuen Gentechnikverfahren kann das der Fall sein. Und Pflanzenzüchtung in Deutschland oder in Europa ist da sowieso sehr stark spezifisch in der Hand von kleinen mittelständischen oder großen Zuchtunternehmens. In den Ländern des Südens sieht das anders aus. Da ist es zum Beispiel so, dass es noch eine stärkere bäuerliche Zucht gibt, und dies ist auch eine Möglichkeit, zum Beispiel trockenheit- oder salzresistente Sorten viel schneller auf den Markt zu bekommen.
Die züchten mit den alten Sorten, die sie haben, auf neue Zuchtziele hin, und können das sozusagen mit dem, was an Zuchtmaterial vorhanden ist, an Saatgut vorhanden ist, können die genauso gut salz- und trockenheitsresistente Sorten erzeugen. Das muss man sagen gerade bei Mais – eigentlich alle trockenheitsresistente Sorten, die wir sehen, sind über klassische Züchtung erzeugt worden.

Längerfristig denken

Heise: Das heißt, Sie setzen gar nicht so viel Hoffnung in die Entschlüsselung des Genoms, da erwarten Sie gar nicht so viel, weil sowieso daran gearbeitet wird und es eben auch noch komplizierter ist. Wer, meinen Sie denn, profitiert von diesen Forschungserfolgen?
Tanzmann: Aus meiner Sicht ist es eine große und wichtige wissenschaftliche Erkenntnis, die schon hilft, diese großen Probleme anzugehen und dort gezielter an den Problemen zu arbeiten. Aber es ist natürlich einfach ein Teil der Arbeit, die gemacht werden muss, um widerstandsfähige Sorten zu bekommen. Da darf man das Ergebnis nicht herunterspielen, man darf es aber auch nicht überbewerten und jetzt Wunderdinge auf einmal von der Wissenschaft und von der Züchtung verlangen. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich muss man längerfristig denken.
Laborgefäße, wie Glaskolben und Messzylinder, mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten
Die Forschung benötigt vielerorts Regulierung © dpa / Michael Rosenfeld
Heise: Und etwas mehr Geduld mitbringen. Was sollte Ihrer Meinung nach mit den neuen Erkenntnissen geschehen? Haben Sie da irgendeinen Wunsch, dass das nicht in falsche Richtungen geht?
Tanzmann: Das hatten Sie ja auch schon so ein bisschen angesprochen, irgendwie, reißen sich das jetzt irgendwelche Unternehmen unter den Nagel. Das bringt natürlich auch ganz neue Fragen mit sich oder Fragen, die man in internationalen Abkommen regulieren muss, die eigentlich dort auch schon reguliert sind, aber die man etwas der neuen Zeit anpassen muss. Das sind Abkommen, die im Bereich der Konventionen zu biologischer Vielfalt getroffen worden sind. Da geht es dann um genetische Sequenzen, wie die gehandelt werden. Weil jetzt nicht mehr nur noch das ganze Saatgut ausgetauscht wird, sondern teilweise wirklich nur noch genetische Sequenzen.
Heise: Also alles Dinge, die zu beachten sind. Stig Tanzmann, Experte für Landwirtschaft bei der Organisation Brot für die Welt. Die Entschlüsselung des Weizengenoms und seine Folgen, das war unser Thema. Herr Tanzmann, danke schön für die Informationen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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