Weit weg vom korsettierten Weiblichkeitsideal

16.01.2009
Die 1857 geborene Frieda von Bülow war eine Frau mit Widersprüchen: einerseits Feministin, andererseits schwer verliebt in den nicht gerade fortschrittlichen Kolonialisten Carl Peters. Die Journalistin Monika Czernin hat in "Jenes herrliche Gefühl der Freiheit" die Lebensstationen der Unterhaltungsschriftstellerin in Deutschland, Afrika und der Türkei nachgezeichnet.
Alleinstehend, berufstätig und intellektuell, verkörpert sie einen Frauentypus, der seiner Zeit weit voraus war. Reizvoll sind die Widersprüche in ihrem Leben: Frieda von Bülow (1857-1909), die einer der ältesten Adelsfamilien Deutschlands entstammte, gehört zu den Feministinnen der ersten Stunde.

Zugleich war sie eine nationalistische Kolonialistin, die mit dem berüchtigten rassistischen Politiker Carl Peters eine verhängnisvolle Affäre unterhielt. Mit ihren auflagenstarken Romanen über Afrika wurde sie als Unterhaltungsschriftstellerin gefeiert - und sie fand Anerkennung bei Rilke, Hofmannsthal, Schnitzler und Lou Andreas-Salomé, mit der sie eine innige Freundschaft verband.

Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte die Diplomatentochter im Vorderen Orient, dann bei den Herrnhutern in Thüringen. Schließlich wird sie Lehrerin in Berlin und gründet den Deutsch-Nationalen Frauenbund, für den sie 1884 in karitativer Absicht nach Afrika reist. Dort baut sie Krankenpflegestationen auf und verliebt sich heillos in den Kolonialeroberer Carl Peters, der mit Tricks und Gewalt halb Ostafrika für das Deutsche Reich erworben hat und mit seiner grausamen Politik selbst den Reichstag gegen sich aufbrachte.

Für Frieda von Bülow, die ihre Eindrücke niederschreibt und zunächst in Artikeln für deutsche Zeitungen publiziert, wird der schwarze Kontinent zu einem Ort größter Freiheit - weit weg vom korsettierten Weiblichkeitsideal im wilhelminischen Deutschland. Ihrem Publikum bringt sie ein überwiegend romantisches Afrika-Bild nahe, für das ganz besonders die Frauen zugänglich sind: Die sehnen sich nach Abenteuern, ohne ihr Leben ändern zu müssen.
Den lange verschollenen Nachlass Frieda von Bülows entdeckte die Journalistin Monika Czernin per Zufall in Berlin. Doch sie verarbeitet nicht nur Fakten in ihrer Biografie. Anhand der Tagebücher, Briefe sowie der Kommentare von Bülows Zeitgenossen erfindet sie immer wieder Situationen und Gespräche, in denen Gedanken und Gefühle die Hauptrolle spielen.

Dieser romanhafte Zug, so lebendig er das Geschehen auch macht, stellt aber doch eine Gefahrenquelle dar. Der Kitsch ist dann nahe, gerade in den Liebeszenen, wenn er mit "verhalten lauerndem Blick …wie ein Leopard seine Beute beobachtet".

Sympathisch aber ist der muntere Tonfall, mit dem die Autorin zwischen den Quellen und ihren Vermutungen hin- und herspringt. Unvermittelt wechselt sie die Ebenen zwischen dem Überlieferten und Fragen von heute, sie berichtet von sich und der Arbeit an dem Buch, interpretiert, spekuliert. Sie sieht sich in diesem Leben um, als wäre es ein Stück von ihr.

Um den Ambivalenzen der kolonialistischen Epoche auf die Spur zu kommen, führt sie nicht nur Gespräche mit Historikern. Sie folgt der Empfehlung des Historikers Karl Schlögels, derzufolge sich Geschichte nicht nur in der Zeit sondern ganz besonders im Raum abspiele. So sucht sie die Schauplätze des Bülowschen Lebens auf, in der Türkei, in thüringischen Herrenhäusern, in Sansibar, Daressalem und Tansania. Dass sie auch die Gegenwart miteinbezieht, macht die Biografie besonders spannend. Immer wieder sind Passagen mit Überlegungen zum Afrika von heute eingestreut: über Entwicklungshilfe, postkoloniale Konflikte und immer wieder über die Bilder von diesem Kontinent "zwischen Paradies und Vorplatz zur Hölle".

Lebendig werden so nicht nur die Anfänge der Frauenbewegung in Deutschland, ein Kapitel Kolonialgeschichte mit widersprüchlichsten Facetten, sondern vor allem das abenteuerliche Bild der "Afrikanerin", einer faszinierend leidenschaftlichen Frau. Ganz nebenbei macht diese Biografie über die "deutsche Tanja Blixen" auch Lust darauf, deren Romane kennenzulernen, allen voran die höchst amüsanten "Novellen der Frieda von Bülow über Lou Andreas-Salomé und andere Frauen". Die lohnen sich zu lesen.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Monika Czernin: "Jenes herrliche Gefühl der Freiheit": Frieda von Bülow und die Sehnsucht nach Afrika
List-Verlag, Berlin 2008
384 Seiten, 19,90 Euro