Weisskirchen: Israel kämpft um sein Existenzrecht

Moderation: Jörg Degenhardt · 12.12.2006
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gert Weisskirchen, hat mit Verständnis auf die indirekten Anspielungen des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert im Interview mit einem deutschen Fernsehsender reagiert, sein Land sei im Besitz der Atombombe. Israel kämpfe gegenwärtig um sein Existenzrecht und müsse sich verteidigen, sagte Weisskirchen im Deutschlandradio Kultur. Olmert trifft sich heute auf seiner ersten Deutschlandreise mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin.
Degenhardt: Heute kommt der israelische Ministerpräsident ins Kanzleramt. Sie sind anders und werden das wahrscheinlich auch immer bleiben, die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Ein Blick in die Geschichtsbücher genügt, und es dürfte klar sein, warum das so ist. Deswegen hat gerade die Bundesrepublik ein besonderes Interesse daran, dass das Existenzrecht Israels nicht angetastet wird, das gehört zur Freundschaft mit dem Land, ebenso die Unterstützung in dessen Kampf für die Sicherheit seiner Bürger. Als vielfach beschworene Lehre aus der Vergangenheit gilt aber auch, gegen alle Formen des Antisemitismus vorzugehen, im Fußballstadion, in der Schule, aber auch in der akademischen Welt, denn das Phänomen antisemitischer Ressentiments und Vorfälle hat keineswegs ab-, sondern eher zugenommen. Woran liegt das und was ist zu tun? Dazu Fragen an Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus. Guten Morgen, Herr Weisskirchen!

Weisskirchen: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Schaut man in Schulen oder noch mehr auf Fußballplätze, dann begegnet man häufig dem Schimpfwort "Jude". Sind das gedankenlose Beleidigungen überwiegend junger Leute oder ist das schon Antisemitismus, den man ernst nehmen muss?

Weisskirchen: Das kann Gedankenlosigkeit sein. Das kann aber auch mehr sein. Es kann der Hass gegen Menschen sein, die man gar nicht kennt oder die man nur versteckt kennt, aber von denen und über die geredet wird, als wären sie die Lenker der Welt. Also es taucht so etwas wieder auf, leider, muss man sagen, schrecklich, besonders in Deutschland, so etwas wie der Jude erscheint als etwas, das gefährlich ist, von dem Aggression ausgeht, der jemanden zu lenken versucht. Es ist furchtbar.

Degenhardt: Wo sehen Sie denn die Ursachen dafür? Es hat doch schließlich in Deutschland eine breite Aufklärung über die Geschichte gegeben.

Weisskirchen: Ja, daran sieht man, dass offensichtlich Aufklärung alleine nicht reicht, obwohl immer wieder neu auch das Wissen befestigt werden muss, was der Holocaust war, was er vernichtet hat, nämlich unser eigenes kulturelles Herz aus unserem eigenen Leib herauszureißen. Das ist etwas, das natürlich Schmerzen verursacht, und diese Schmerzen zu verarbeiten, das bedeutet natürlich auch, dass die ältere Generation, die ja mit dazugehört hat, dass sie Hitler entweder vorsichtig zurückhaltend oder lauthals mit "Ja" begrüßt haben, das ist etwas, das neu aufgearbeitet werden muss, immer wieder.

Degenhardt: Um Ihre Worte aufzugreifen, wie befestigt man denn dieses Wissen, ohne über die Köpfe vor allem der jungen Leute hinwegzureden?

Weiskirchen: Indem man ihnen klarmacht, wen das getroffen hat, was mit dem Holocaust vernichtet worden ist. Es sind Menschen, es sind Kinder, es sind Menschen, die uns mit Augen angucken. Wenn Sie zum Beispiel ins Holocaust-Mahnmal hier nach Berlin kommen, dann können Sie sehen, wer es war, mit Namen und mit einer eigenen Biografie, mit Menschen, die einen freundlich anlächeln, die sind ermordet worden. Also es kommt darauf an, dass die, die zum Antisemitismus neigen, dass sie sich konfrontieren lassen, begegnen lassen mit Menschen, die die gleichen Gesichtszüge haben wie einer selbst.

Degenhardt: Heute kommt der israelische Ministerpräsident Olmert in die deutsche Hauptstadt. Der Konflikt im Nahen Osten strahlt natürlich auch in die deutsche Gesellschaft hinein. Es gibt Stimmen, die behaupten, Israel sei mit seiner Politik selbst Schuld daran, dass es insbesondere in türkischen und arabischen Kreisen eine derartige feindliche, antijüdische Stimmung gäbe. Was sagen Sie dazu?

Weisskirchen: Nein, das ist vollständig falsch, und wenn man sich anschaut – das macht man am besten, indem man Israel selbst besucht oder mit Menschen spricht, die aus Israel kommen –, wenn man sich anschaut, wie Israel gegenwärtig um sein Existenzrecht kämpfen muss, es wird ja bedroht, Hisbollah und Hamas haben sich ja ausdrücklich erklärt, oder wenn Sie den Iran nehmen oder auch in Syrien die Stimmung beobachten, die haben sich vorgenommen, Israel von der Landkarte auszuradieren. Also das Existenzrecht Israels steht auf dem Spiel, und dabei kann es für uns Deutsche nichts anderes geben, als dieses Existenzrecht zu verteidigen, an der Seite Israels zu stehen.

Degenhardt: Es ist die erste Deutschlandreise des israelischen Regierungschefs. Der hat sein Land jetzt in einem Interview mit einem deutschen Fernsehsender erstmals in eine Reihe mit Atommächten wie die USA, Frankreich und Russland gestellt. Er brach damit ein Tabu der israelischen Politik, Atomwaffenbesitz nicht offiziell zu bestätigen. War das klug von Herrn Olmert?

Weisskirchen: Es gibt Tabus, die man irgendwann einmal brechen muss, und ich finde es klug, dass Herr Olmert das in dieser Form getan hat. Das wussten wir nicht als Beweis, aber doch eigentlich schon seit langem, dass Israel sich verteidigen muss, dass es das Recht haben muss, darauf mit allen militärischen Mitteln zu antworten, wenn es ausradiert werden soll, wie Herr Ahmadinedschad gesagt hat. Also das ist etwas, das von vielen geahnt, jetzt endlich von Israel selbst ausgesprochen worden ist. Es ist immer gut, wenn man Tabus, die überfällig sind, auch selbst bricht.

Degenhardt: Von wegen Tabu, Herr Weisskrichen, ist Kritik an der israelischen Regierungspolitik erlaubt oder eben tabu oder anders gefragt: Gibt es in der deutschen Politik so etwas wie eine falsche Rücksichtnahme gegenüber Israel, wie das unlängst 25 hiesige Politologen behauptet haben?

Weisskirchen: Das ist eine These, mit der ich gar nichts anfangen kann. Ich gebe nur den Rat, sich einmal die israelische Presse selbst anzuschauen, die heftigen Debatten, die es in der Knesset gibt, in der Öffentlichkeit Israels. Da wird schonungslos mit der eigenen Regierung umgegangen, das ist, wenn man so will, demokratisch gesprochen, eine Freude, wie mit eigener Kritik nicht gespart wird, und insoweit kann ich diese These gar nicht akzeptieren. Ich verstehe auch nicht, dass Politikwissenschaftler, die ja von der Sache etwas verstehen, sich in einer solchen abwegigen Formulierung selbst verloren haben. Nein, Kritik an Israel, am Regierungshandeln Israels ist durchaus zulässig, allerdings Vergleiche anzustellen, beispielsweise Israel in eins zu setzen mit Nazideutschland, das wäre völlig abwegig und würde auch nicht das treffen, worum es eigentlich geht.

Degenhardt: Gert Weisskirchen war das, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus. Vielen Dank für das Gespräch!