Weiß: Mindestlöhne gefährden nicht das deutsche Jobwunder

Peter Weiß im Gespräch mit Marcus Pindur · 27.04.2011
Der Unionsabgeordnete Peter Weiß fordert die Einführung von Mindestlöhnen für alle Branchen. Die Entwicklung, dass geringfügige Beschäftigung mit staatlichen Sozialleistungen ergänzt werde, sei bedenklich und führe zu immensen Sozialkosten.
Marcus Pindur: Sie sind Teil des deutschen Jobwunders, die Minijobber. Seit 2003, als die damalige rot-grüne Regierung die Regelung für den Minijob gelockert hat, sind 1,6 Millionen mehr Menschen in solchen Arbeitsverhältnissen. Die Regel gilt: bis 400 Euro Einkommen keine Steuern und Sozialabgaben. Die Gewerkschaften beklagen genau das jetzt, diese Regelung unterlaufe Tariflöhne, oft seien die Stundenlöhne deutlich zu gering angesetzt und die Minijobs seien für viele eine Beschäftigungssackgasse. Viele Arbeitnehmer hätten nämlich – besonders im Hotel- und Gaststättengewerbe und in der Gebäudereinigung – gar keine Möglichkeit, in ein Vollzeitarbeitsverhältnis zu wechseln.
Ich begrüße jetzt Peter Weiß, er ist Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, guten Morgen, Herr Weiß!

Peter Weiß: Guten Morgen!

Pindur: Was halten Sie davon, dass es immer mehr Minijobs gibt? Suchen da die Arbeitgeber eine billige Alternative zur normalen Beschäftigung?

Weiß: Also, zuerst muss man feststellen, dass natürlich die Zunahme der Minijobs zusammenfällt in der Tat mit dem deutschen Jobwunder. Wir werden morgen die neuen Arbeitsmarktzahlen bekommen, die noch mal zeigen, dass sich die Situation auf dem Beschäftigungssektor in Deutschland mehr als erwartet positiv entwickelt.

Auf der anderen Seite sehe ich auch das Problem, dass man sich in der Tat fragen muss, werden da nicht eine Vielzahl von Minijobs geschaffen, die, wenn man sie zusammenfassen würde, auch Vollzeitbeschäftigungsstellen geben würden, von denen dann auch ordentlich Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bezahlt werden.

Und als besonderes Problem sehe ich, dass wir natürlich eine ganze große Zahl von Minijobbern haben, für die es das einzige Einkommen ist und die deswegen ergänzend Arbeitslosengeld II beziehen. Und dazu war der Minijob natürlich nicht gedacht, dass er aus Minijob und ergänzender staatlicher Leistung besteht.

Und ein weiteres Problem ist, es gibt natürlich schon die Vermutung – und das kann niemand richtig beweisen, aber es spricht viel dafür –, dass Minijob oft gar nicht Minijob ist. Formal wird da zwar 400 Euro verdient, aber in Wirklichkeit wird wesentlich mehr gearbeitet, wesentlich mehr an Arbeitsleistung erbracht, als durch diesen 400-Euro-Job abgedeckt ist.

Pindur: Ist denn der Missbrauch Ihrer Ansicht nach so groß, dass da politischer Handlungsbedarf besteht und die Bundesregierung etwas unternehmen sollte?

Weiß: Ich glaube, man kann auf zwei Gebieten handeln. Das eine ist, die Jobcenter sollten jetzt, in der Phase wirtschaftlichen Aufschwungs, versuchen, jedem, der einen Minijob hat und ergänzend Arbeitslosengeld II bezieht, eine Beschäftigungsmöglichkeit oberhalb von 400 Euro anzubieten. Ich glaube, wenn da die Jobcenter sehr gezielt diese Personengruppen raussuchen würden und konkrete Jobangebote machen würde, diese Kombination Minijob plus Aufstocken durch staatliche Leistung zurückgehen ...

Pindur: ... aber das ist Einkommen, was erzielt wird, und das ist ja besser, als wenn die Leute nur vom Arbeitslosengeld leben und nicht am Arbeitsmarkt sind.

Weiß: Gar keine Frage. Ein 400-Euro-Job ist immer noch besser als gar kein Job. Aber der Minijob ist nicht gedacht worden und konzipiert worden, um dauerhaft, über Jahre hinweg durch staatliche Leistung aus dem Arbeitslosengeld II aufgestockt zu werden ...

Pindur: ... den höchsten Zuwachs ...

Weiß: ... und da hat man schon den Verdacht, dass diese Kombination für den einen oder anderen Arbeitnehmer und auch Arbeitgeber ganz bequem ist.

Pindur: Den höchsten Zuwachs haben die Minijobs aber bei Arbeitnehmern, die eben diesen Minijob neben einer regulären Beschäftigung versehen. Und das ist ja so eine Art Flucht aus dem staatlichen Abgabensystem. Sollte man also nicht eher schauen, dass man die Sozialabgaben langsam auf ein erträgliches Maß senkt, damit der Anreiz für diesen 400-Euro-Brutto-für-Netto-Job nicht mehr so groß ist?

Weiß: Also das ist ja immer wieder diskutiert worden, ob man im unteren Lohnbereich die Sozialabgaben staffelt. Nur, wer vollen Sozialversicherungsschutz gewähren will, der kann natürlich nicht bei Sozialabgaben mit Billigangeboten kommen. Da muss man auch definieren, wo kommt der Ersatz her. Und deshalb hat man ja beim Minijob eine ganz andere Lösung gefunden, nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer selbst einen Zusatzbeitrag bezahlt, dann kann er ja auch zum Beispiel den vollen Rentenversicherungsschutz erhalten. Und das halte ich eigentlich auch für die sinnvollere Lösung und dafür sollten wir auch mehr werben.

Pindur: Herr Weiß, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, CDA, will jetzt auch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn erreichen. Legen Sie damit nicht die Axt an dieses viel bestaunte deutsche Beschäftigungswunder?

Weiß: Ich halte das für einen Irrglauben. Denn wir haben jetzt mittlerweile in acht Beschäftigungssektoren in Deutschland branchenbezogene Mindestlöhne festgelegt und wir werden ja im Herbst diesen Jahres einen Evaluierungsbericht bekommen über die Auswirkungen dieser acht branchenspezifischen Mindestlöhne. Bisher ist nicht erkennbar, dass das Arbeitsplätze zerstört. Vielmehr ist es so, dass wir die meines Erachtens bedenkliche Entwicklung in Deutschland haben, dass geringfügige Beschäftigungen mit geringen Löhnen ergänzt werden durch staatliche Sozialleistungen über das Arbeitslosengeld II, und zwar dauerhaft, das aber immense Sozialkosten verursacht.

Das Zweite ist, wir sehen, dass mit ungenügenden und geringen Altersversorgungsansprüchen, weil zu geringe Löhne bezahlt worden sind, wir immense Soziallasten im Alter auf uns kommen sehen, also volkswirtschaftlich ist hier eine riesige Belastungswelle zu erwarten. Und zum anderen bekommen wir auch immer mehr Hinweise vor allen Dingen aus dem Handwerk, die sagen, also das ist kein Zustand, dass wir mit einem Lohndumping nach unten Konkurrenzsituationen bekommen, die einfach vernünftiges und anständiges Arbeiten kaputt machen.

Und deswegen glaube ich, dass wir über kurz oder lang nicht herum kommen, möglichst in allen Branchen in Deutschland zuerst einmal branchenspezifische Mindestlöhne festzulegen, und wenn das nicht funktioniert, zustande kommt, eben als Ersatz einen allgemeinen Mindestlohn festzulegen.

Im Übrigen wird ja der kommende 1. Mai 2011 uns die Arbeitnehmerfreizügigkeit in ganz Europa bringen, und die Hinweise, die wir bekommen, ist, dass wir nicht bei den Fachkräften ein Problem bekommen – die sind überall in Europa gefragt –, aber dass wir ein Problem bekommen bei der Zuwanderung von wenig qualifizierten Arbeitslosen aus Ost- und Mitteleuropa, die natürlich noch einmal die Gelegenheit geben, zusätzlich Löhne nach unten zu drücken, wenn man keine Mindestlohnregelungen festlegt.

Pindur: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Weiß: Vielen Dank, bitte schön.

Pindur: Peter Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.
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