Weimar fühlt sich abgekoppelt

Von Julia Möckl · 17.01.2012
Weimar hat viel zu bieten. Viele Kulturschaffende haben allerdings Angst, dass sich das in Zukunft ändern könnte. Denn die Bahn reduziert Schritt für Schritt die Fernverkehrsanbindung der Stadt. Nun wehrt sich Weimar mit einem Aktionsbündnis dagegen.
In der zugigen Eingangshalle steht ein großer, festlich gedeckter Tisch: mit einer weißen Tischdecke darauf, Blumen und einem Miniatur-Modell des "ICE Weimar". Und um genau den geht es:

"Wir stoßen an auf den neunten Geburtstag des ICE Weimar."

Die feierliche Stimmung ist ironisch gemeint: Nicht nur, dass der ICE Weimar noch nie in Weimar gehalten hat. Vor rund einem Jahr hat die Deutsche Bahn auch noch die Fernverkehrshalte in Weimar insgesamt stark reduziert: von täglich 50 auf 30 - darunter nur 11 ICE-Halte.

Die Begründung der Bahn: Auf den entsprechenden Strecken gibt es viele Baustellen und die Züge können aus technischen Gründen nicht mehr mit Neigetechnik fahren – sind also langsamer. Um den Fahrplan einzuhalten, mussten einige Halte gestrichen werden. Argumente, die Christoph Stölzl nicht gelten lässt. Der Präsident der Weimarer Hochschule für Musik Franz Liszt ist Sprecher des Aktionsbündnisses "Nächster Halt – Weimar":

Stölzl: "Das ist das Problem der Bahn, sag ich deutlich als Bürger. Mich interessiert nicht, wie ein Milliarden-Unternehmen wie die Bahn ihre Technik organisiert, das muss sie können. Drei Minuten müssen drin sein für diesen bedeutenden Ort!"

Drei Minuten für einen Halt in der Stadt von Goethe und Schiller - dafür kämpft das Aktionsbündnis aus Weimarer Kulturschaffenden, Wirtschaftsvertretern und Politikern. Mit spontanen Konzerten und eben mit Aktionen wie dieser: einem Geburtstagsfestessen im Berliner Hauptbahnhof. Serviert werden Thüringer Spezialitäten wie die Roulade von Wildpüree nach Goethes Rezept. Aber nicht nur Goethe und Schiller hat Weimar zu bieten, betont Christoph Stölzl:

"Zwei große Universitäten, die Bauhaus-Universität und die Hochschule für Musik, Weimar hat die Klassikstiftung und diesen international hochbedeutsamen Gedenkort Buchenwald. Es ist ein Deutschland im Kleinen, vielleicht die deutscheste aller Städte in ihrer Mischung von Glanz und Elend der Erinnerungen, aber auch ein wissenschaftlicher Ort. Und jeder weiß, dass heutzutage Kultur und Wissenschaft auf Kommunikation angewiesen ist, nicht nur durch Glasfaserströme und Computerdinge, sondern Menschen, die sich da hinbewegen."

Und das ist eben seit gut einem Jahr nicht mehr so einfach, weiß auch Ulrich Hauschild, Geschäftsführer des Weimarer Kunstfests "pèlerinages":

"Ich spür das in meiner eigenen Logistik beim Festival, weil wenn ich Künstler abhole vom Bahnhof, ich die nicht mehr in Weimar abholen kann am Bahnhof. Sondern ich muss nach Erfurt fahren oder eben noch weiter - nach Leipzig, um sie dann zum Kunstfest nach Weimar zu bringen. Und das kostet natürlich alles mehr ja, mehr Geld, mehr Zeit, mehr Personal oder auch mehr Sprit mit Auto."

Wie fast alle Veranstaltungen des Aktionsbündnisses, wird auch diese "Protest-Feier" musikalisch untermalt - unter anderem von Studenten der Weimarer Musikhochschule Franz Liszt. Der SPD-Politiker und Weimarer Oberbürgermeister Stefan Wolf verweist auf die größeren Zusammenhänge des Problems.

Wolf: "Das ist ja’n Thema nicht allein für Weimar, dass die Deutsche Bahn nicht mehr den hoheitlichen Auftrag hat, den sie früher immer hatte, nämlich für den öffentlichen Personenfernverkehr zu sorgen, sondern nur noch auf Gewinn orientiert sein muss aufgrund der politischen Entschlüsse und das damit die Regionen überall abgehangen werden."

Die Deutsche Bahn bemüht sich nach eigener Aussage, in Zukunft wieder öfter in Weimar zu halten. Konkrete Versprechen oder einen Zeitplan gibt es noch nicht - der Protest wird also weitergehen, verspricht Christoph Stölzl - auch in kalten, zugigen Bahnhofshallen.

Stölzl: "Wir frieren für Weimar, wir kämpfen für Weimar und wir musizieren für Weimar."