Weihnachten im Lockdown

Bitte keine erziehlichen Besinnungsbefehle!

04:14 Minuten
Weihnachtsmann am Baum mit Maske (Symbolfoto)
Emotionale Momente gibt es dieses Jahr nicht nur unter dem Weihnachtsbaum, sondern auch in der Politik. © imago images / Political-Moments
Gedanken von Gesine Palmer · 24.12.2020
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Angesichts von Corona sind Politikerinnen und Politiker öfter emotional geworden. Die Theologin Gesine Palmer versteht das, mag sich mit der Übergriffigkeit der Emotionalität aber nicht anfreunden. Sie verärgern belehrende Worte und "Gefühlskitsch".
Als neulich gerade der nächste harte Lockdown beschlossen worden war, titelte eine Berliner Tageszeitung "Deutschland muss sich besinnen" und zeigte dazu ein Foto vom maskierten Kopf eines Plastik- oder Salzteigweihnachtsmannes, der mit weit aufgerissenen himmelblauen Augen in einem Weihnachtsbaum hängt.
Ungefähr so habe ich mir Besinnung auch immer vorgestellt: Einfach mal still sein und sich aufs Wesentliche besinnen! Oder?
Unzählig sind in diesem besonderen Jahr die Empfehlungen, wie aus einer erzwungenen Verlangsamung und Beschränkung aller Begegnungen irgendein positiver Sinnfunke zu schlagen sei. Untypisch ist in diesem Jahr allerdings, dass dergleichen wohlfeile Empfehlungen recht paternalistisch auch von einer politischen Exekutive kommen, die unangenehme Einschränkungen verhängen muss, um eine Pandemie einzudämmen.

Diese Einschränkungen sind in sich so empfindlich, dass sie allen Leuten mindestens schlechte Laune machen, außer vielleicht den Produzenten von Verpackungsmaterial für den Onlinehandel.

Pseudospirituelle und belehrende Worte verärgern

Mir macht freilich nicht nur der Blick auf den in unermessliche Höhen wachsenden Berg von Verpackungsmüll schlechte Laune – mich stört ebenso sehr die pseudospirituelle und fürchterlich erziehliche Verpackung, mit der manche Politiker und Politikerinnen glauben, die Maßnahmen annehmbarer machen zu müssen. Das passt nicht zu ihrem Amt, denn sie müssen ja für alle sprechen.
Wenn sie einsame Menschen zu weiterer Einschränkung ihrer Kontakte auffordern, kommt ihre Botschaft so gut an wie die allfällige Konsumkritik bei ärmeren Menschen oder bei bewusst Enthaltsamen. Da bleibt dann nur die Unterstellung übrig, sie würden zu viel konsumieren. Denn die eigentlich gemeinte Forderung, weniger zu konsumieren, erfüllen sie ja schon. Wer anderen ins Gewissen redet, muss immer erst einmal von einer Anklage ausgehen, die vielleicht völlig unberechtigt ist.
Nichts aber verzeiht die Seele der Gutwilligen weniger als mangelnde Würdigung der eigenen Bemühungen oder gar eine falsche Beschuldigung. Das gilt erst recht in diesen besonderen Zeiten.

"Die Menschen mitnehmen" entgleist in Gefühlskitsch

Was aber kann die Politik wirklich tun, um unser privates Verhalten zu ändern? Die Spindoktoren sagen: Sie müssen die Menschen mitnehmen. Sie müssen sie emotional ansprechen.
Das wird als Regel verstanden, und wie wir Deutschen so sind, versucht die Politik dann, diese Regeln quasi bürokratisch umzusetzen. Mit anderen Worten: Es wird herumgemenschelt, dass die Schwarte kracht!
Da soll die reduzierte Gemeinschaft, in der wir uns gerade noch bewegen dürfen, zu einer Intensivierung der Bindungen führen und die gegenseitige Aufmerksamkeit füreinander erhöhen. Die Besinnung fern von aller Reizüberflutung soll uns zu einer je nach politischer Präferenz hierhin oder dahin für wünschenswert gehaltenen Änderung der Gesinnung veranlassen. Kurzum: Im Lockdown wartet der bessere Mensch. Er muss nur ausgebrütet werden.

Der Widerspruchsgeist wächst

Dass sich dagegen ein Widerspruchsgeist auch bei den längst besonnen und vernünftig handelnden Menschen regt, wundert mich nicht. Gewiss, die Politik muss die notwendigen Maßnahmen so klar und so demokratisch wie möglich treffen, mitteilen und auf ihre Durchsetzung achten.
Es ist schön, wenn die Politikerinnen dabei Verständnis für die vielen verschiedenen Situationen zeigen, in denen ihre Verordnungen die Menschen hart treffen können. Es schadet auch nicht, wenn sie ihre Sorge um die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung mit schönen Worten und etwas Leidenschaft zum Ausdruck bringen. Aber wie die einzelnen Bürgerinnen versuchen, die durch das sinnfreie Virus veränderte Zeit mit Sinn füllen – das muss schon ihnen überlassen bleiben. Die meisten können das ganz gut. Vielleicht sogar schon wieder ein bisschen besser.

Gesine Palmer, geboren 1960, ist Religionsphilosophin. Sie studierte evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. 2007 gründete sie in Berlin das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihre Themen sind Religion, Psychologie und Ethik.

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