Wehrtechnik

Wie der Waffenmarkt funktioniert

Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr gehen am Schloss Bellevue in Berlin an ihren ausgelegten Gewehren vom Typ Karabiner 98 k vorbei.
Bundeswehr-Soldaten gehen an ausgelegten Gewehren vorbei. © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Maximilian Julius Klein · 01.12.2014
Entwickeln Waffenproduzenten nur, wenn Käufer direkt bei ihnen anfragen und bestellen? Wie läuft der Verkauf von Waffen ab? Welche Rolle spielt die Bundeswehr in diesem Marktgeschehen? Ein Gang über den Waffenmarkt.
"Hubschrauber bleiben am Boden... völlig überlastet ... erfüllt nicht mal NATO-Verpflichtungen...In keinem guten Zustand, ... es fehlt an Ausrüstung... kommt mit vier Jahren Verzug... die Bundeswehr pfeift aus allen Löchern."
Die Bundeswehr ist also in einem desolaten Zustand. Die Empörung ist groß. Es fehle an Strategie und Material. Und natürlich:
Von der Leyen: "Das habe ich immer wieder gesagt, wir werden mittelfristig mehr leisten müssen und das kostet Geld."
Die Bundesverteidigungsministerin will mehr Geld. Dabei fließen doch jetzt schon Milliarden. Doch wohin? Seit Jahren bereits kritisiert der Bundesrechnungshof Kosten und Planung deutscher Rüstungsprojekte. Passiert ist nicht viel.
Es gibt Fragen zum Rüstungsmarkt. Nicht wenige. Wie entstehen die Geschäfte mit Milliarden Volumen? Warum dauern Entwicklungen so lange? Warum will das Ministerium noch mehr Geld? Was ist das denn für ein Markt? Legitime Fragen. Doch für Antworten braucht es erst einmal Gesprächspartner.
"Sehr geehrter Herr Klein,
wie bereits im Telefonat angekündigt, stehen wir für ein Interview u.o.g. Thematik derzeit nicht zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen
Leiter Öffentlichkeitsarbeit – Diehl
Hallo H. Klein,
es tut mir leid, ich habe von der GL noch keine Antwort. Wie Sie wissen, ist H. Ihloff auf Geschäftsreise. Sobald ich eine Info habe, melde ich mich.
Vielen Dank für Ihre Geduld und freundliche Grüße
Sekr. Management / Ltg. Vertrieb / Assistant to the Executive Mgmt. Heckler und Koch
Hallo Herr Klein,
leider nicht. Ich wünsche dennoch viel Erfolg.
Mit freundlichen Grüßen, Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V."
Schriftliche Anfragen bringen nichts. Ich greife zum Telefon. Die Antworten fallen nicht anders aus. Nur immer die gleiche Gegenfrage:
"Wollen Sie auch Fragen zum Thema Export stellen?"
Nein. Darum geht es nicht. Es geht um die Geschäfte in Deutschland. Die Fragen sind ganz einfach. Sollte man meinen. Wo aber lassen sich die Antworten finden?
Wo sich die Rüstungsbranche trifft
2. Berliner Strategiekonferenz, Berlin, Juni 2014. Im Hotel di Rome trifft sich die Rüstungsbranche. 98 Prozent weiße Männer. Der eine oder andere Anzug spannt. Frauen reichen Häppchen. Draußen protestieren 15 Aktivisten. Drinnen wird Jean- Claude Juncker, Spitzenkandidat im EU-Wahlkampf, eine Rede halten. Auf der Einladung prangt der Slogan: Souveränität – Sicherheit – Verantwortung. Große Worte. Große Verkündungen. Für ein Interview ist keiner souverän genug. Nur mein kurzes Gespräch mit Frank Haun vom Rüstungsunternehmen Krauss Maffei Wegmann (KMW) scheint vielversprechend. KMW stellt den Kampfpanzer Leopard II her. Frank Haun wäre bereit für ein Interview. Aber nur mit Vorgespräch. Der Pressesprecher wird sich bei mir melden.
Das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage kennzeichnet die Marktwirtschaft. Wie soll das bei der Rüstung funktionieren? Prof. Joachim Krause von der Universität Kiel forscht mit und für die Bundeswehr im Bereich der Rüstungsstrategie. Wir reden in einer Hotellobby. Über einen Markt von dem viele Firmen profitieren. Weil der Staat zahlt. Aber ist der Rüstungsmarkt überhaupt ein normaler Markt?
Krause: "Nein das ist er nicht. Ich hab auch Zweifel, überhaupt da von einem Markt zu reden. Sondern das ist ein politischer Geschäftsbereich, wenn man so will. Der komplex ist, sehr kompliziert ist und in dem die Emotionen manchmal rauf und runter gehen, aber es ist kein klassischer Markt."
Kein klassischer Markt – aber große Umsätze. Im Jahr 2011 waren es 21,3 Milliarden Euro. Es gibt zwei einflussreiche Interessenverbände der Branche. Einer ist der Bundesverband der Deutschen Rüstungs- und Verteidigungsindustrie, BDSV. Dessen Geschäftsführer: Georg Wilhelm Adamowitsch:
"Also einmal haben wir, alleine in unserem Verband auch mit Verbund Unternehmen ca. 100 unterschiedliche Unternehmen die bei uns Mitglied sind. Das sind Großunternehmen wie Airbus, das sind aber auch kleine Zuliefererunternehmen."
Das Büro, mitten in Berlin. Friedrichstraße. Im gleichen Haus: die Botschaft Neuseelands, das Rüstungsunternehmen Thyssen Krupp und die Botschaft Ägyptens. Nur einen geringen Teil der Umsätze machen die Verbandsmitglieder mit Exportgeschäften. Das meiste Geld verdient die Branche vor der Haustür. Ohne Wettbewerb.
Adamowitsch: "Wir haben im Sinne eines klassischen Marktgeschehens keinen wettbewerbsorientierten Verteidigungsmarkt, weil die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland nur einen Kunden hat. Das ist die Bundesregierung oder das Bundesverteidigungsministerium."
Eingekauft wird für die Bundeswehr.
Adamowitsch: "Zirka 80 Prozent der Ausrüstung der Bundeswehr wird mit Produkten der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedient."
Die Probleme der Waffenindustrie
Eigentlich eine komfortable Situation. Es gibt zwar nur einen Kunden und auch dieser muss überzeugt werden von einem Produkt. Aber: keine großen Marketingkosten oder kostspielige Produkteinführungen. Und eine Zielgruppenanalyse ist bei einem Abnehmer auch kein zentrales Problem. Die Waffenindustrie sieht sich mit einem anderen Problem konfrontiert.
Krause: "Also der gesamte Rüstungssektor ist in Deutschland sehr stark reguliert. Vor allem wer Waffen und Waffensysteme herstellen will, muss für jedes Waffensystem, für jede Waffe eine Genehmigung dafür holen. Das ist ganz anders als in jedem anderen Gewerbezweig. Und das ist auch richtig so, weil es natürlich ein sehr sensitives Gebiet ist. Das heißt, wer bei uns Waffen herstellt macht das auf Wunsch der Bundesregierung oder mit ausdrücklicher Genehmigung der Regierung. Es gibt nicht einfach einen frei schwebenden Waffenmarkt, bei dem jeder was herstellen kann und dann Käufer dafür suchen kann."
Kriegsgerät ist teuer. Kriegsgerät ist Hightech. Die Entwicklungen dauern nicht selten Jahrzehnte. Die bestellten Stückzahlen sind so gering, dass man von Maßanfertigungen sprechen kann. Nicht viele Firmen besitzen Know-how und Kapazitäten, um hochspezialisierte Maschinen wie ein Kriegsgerät, zu bauen.
Adamowitsch: "Da werden 80 Hubschrauber eines bestimmten Typs bei einer Firma bestellt. Es gibt auch weltweit keine andere Firma die einen Hubschrauber mit den spezifischen Bundeswehranforderungen bauen kann. Aber aus dem Bereich nur 80 Stück zu bestellen ergibt sich schon von der volkswirtschaftlichen Logik her das dies etwa mit Marktgeschehen nichts zu tun hat."
Ein wirtschaftliches Geschehen im klassischen Sinne lässt gerade dieser Umstand nicht zu. Doch wie kann es sein, das ein Hubschrauber bei einem Stückpreis von 51 Millionen Euro landet?
Adamowitsch: "Um mal bei dem Thema Hubschrauber zu bleiben, hat es mal eine ursprüngliche Vorstellung gegeben das die Bundeswehr 120 Hubschrauber von dem Typ, den ich angesprochen habe, NH 90 bestellt. Dann hat es wieder eine Bundeswehrreform gegeben, die Bundeswehr ist kleiner geworden, die Bundeswehr braucht, soweit ich informiert bin, nur noch 80 von diesen Hubschraubern. Deswegen werden die erstmal nicht billiger sondern die werden teurer, weil sag ich mal, die Entwicklungskosten, die man früher auf 120 Hubschrauber umgelegt, hat im Grunde genommen jetzt auf 80 Hubschrauber umgerechnet werden und von daher erhöht sich der Preis automatisch. Weil die Entwicklungskosten ja nicht kleiner werden."
Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG kommt zum gleichen Ergebnis:
"Im Dezember 1999 wurde für die Beschaffung von 134 NATO-Helikoptern 90 TTH mit Kosten in Höhe von knapp 2,4 Mrd. EUR gerechnet. Derzeit ist von Kosten in Höhe von rund 4,4 Mrd. EUR – bei signifikanter Stückzahlreduzierung – auszugehen."
Steht im KPMG-Prüfbericht.
Geld spielt keine Rolle
Die Kostensteigerungen basieren vor allem auf veränderten Fähigkeitsanforderungen und den verlängerten Entwicklungsphasen. Zudem wirkten sich die Entwicklungskosten der beiden eingestellten Programme Marinehubschrauber MH 90 und CSAR Rettungshubschrauber kostensteigernd aus.
Die Entwicklungskosten bleiben gleich. Das Geld fließt. In seinem Buch „Die Panzerindustrie" schreibt der Diplom-Ingenieur und Rheinmetall-Mitarbeiter Dieter Hanel:
"Die außerordentlichen Kosten für die Entwicklung und Fertigung gepanzerter Fahrzeuge machen es erforderlich, dass eine Entwicklung fast ausschließlich durch die öffentlichen Haushalte finanziert wird oder nur bei kalkulierbaren Risiken eine Unternehmensfinanzierung möglich ist. Die Serienfertigung gepanzerter Fahrzeuge erfolgt grundsätzlich nur im Auftragsfall."
Soll heißen: Das finanzielle Risiko trägt der Steuerzahler.
Ein Blick auf die Weltlage zeigt: Die Rüstungsindustrie wird gebraucht. Aus strategischer Sicht.
Krause: "Die Begründung kann eigentlich nur eine strategische sein. Das heißt, wenn man die Bundeswehr braucht, zur Verteidigung und für internationale Einsätze, dann braucht sie auch Ausrüstung. Das muss modern sein und da muss man zumindest im Kernbereich auf verlässliche Lieferanten zählen können und das ist dann meistens die eigene Industrie."
In keinem anderen Wirtschaftszweig wird die Verbindung von Produzenten und Politik so deutlich wie in der Rüstung. In der Vergangenheit hat dieses Modell fast lautlos funktioniert. Doch...
Adamowitsch: "Der Punkt, über den wir zurzeit in Deutschland diskutieren, ist ein anderer. Dahinter steht die Frage die wir der Politik stellen. Was erwartet ihr denn von der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Auf welche Herausforderungen sollen wir uns denn einstellen?"
Hans Peter Bartels ist SPD- und Bundestagsmitglied. Er ist seit zehn Jahren im Verteidigungsausschuss, derzeit Vorsitzender. In seinem Büro im Paul-Löbe-Haus hängen die deutsche und die europäische Flagge. Die Politik und die Waffenhersteller. Aus seiner Sicht keine leichte Beziehung:
"Die Beziehungen sind angespannt, von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Man erzählt gerne wechselseitig von schlechten Erfahrungen. Auf Seiten der Industrie wird viel geklagt über zurückgehende Geschäfte. Die Tatsache, dass wir 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges eben weniger kaufen, hat der Industrie sicher Probleme gemacht. Aber die sind überhaupt nicht neu. Die sind auch nicht allein dadurch aufzufangen das jetzt mehr in den Export in schwierige Länder geht."
Weniger Bedrohung, weniger Waffenbestellungen. Dazu kommt eine verkleinerte Bundeswehr. Ein Marktmechanismus bleibt also bestehen?
Bartels: "Viele Firmen sind geschrumpft. Das ist immer noch ein Marktmechanismus. Man kann kleiner werden und dann wieder gesund sein."
Verschwendung von Steuergeldern
Hat die Regierung ein Projekt und damit Gelder zu vergeben, so muss sie den Auftrag öffentlich ausschreiben. Das gilt auch für Rüstungsgüter. Der Anbieter mit den besten Konditionen in Preis und Qualität bekommt am Ende den Zuschlag. Das soll sicherstellen, dass Steuergelder nicht verschwendet werden. Sollte man meinen.
Bartels: "Bei den Firmen, die sich bewerben, wird es immer schnell existentiell. Beispiel wir haben zwei panzerbauende Firmen in Deutschland. Während ein Schützenpanzer zu vergeben ist. Der soll entwickelt und gebaut werden. Dann wird sicher nicht eine Firma diesen Auftrag bekommen sondern am Ende beide weil sonst die andere Firma zehn Jahre gar keinen Auftrag mehr kriegen würde."
Eine faire Verteilung von Aufträgen. Oder indirekte Subventionen? Gut für die Industrie. Doch: Es leidet die Effizienz.
Bartels: "Bei der Marine haben wir erlebt, dass der letzte Einsatzgruppenversorger..."
... ein Versorgungsschiff der Marine...
Bartels: "... von vier Werften gemeinsam produziert wurde... Das wird Lürssen, Thyssen Krupp, Vulcan und noch eine Vierte gewesen sein und hat im Preis den Vorherigen Einsatzgruppenversorger, der von zwei Werften gebaut wurde, um das doppelte übertroffen. Also wir zahlen doppelt so viel für ein Schiff das von vier Werften gebaut als für ein Schiff das von zwei Werften gebaut wird. Ich glaube Eines, das von einer Werft gebaut werden würde, wäre sogar noch etwas kostengünstiger um es etwas zugespitzt zu sagen."
Ausrutscher. Einzelfall. Wegwischen. Versuchen zu vergessen.
Bartels: "Den Eurofighter, baut ja auch nicht eine Firma sondern drei. Den A400M baut auch nicht eine Firma allein. Die Hubschrauber werden auch nicht von einem Helikopterhersteller allein produziert. Es wäre für gute technische Lösungen, damit es überhaupt gut funktioniert, besser wenn man eine Firma hätte. Wenn sich in erster Linie Ingenieure sich um die Problemlösung kümmern würden und nicht in erster Linie Rechtsanwälte, die immer wenn ein Problem auftritt erstmal klären, welche Firma war Schuld."
Konkurrenz belebt den Markt. Sie sorgt dafür, dass Preise und Gewinnkalkulation von Unternehmen nicht zu sehr aneinanderliegen.
Bartels: "Die Aufrechterhaltung der Konkurrenz, führt eher dazu, dass die Preise steigen. Weil eben auch die Firma die den Auftrag nicht bekommt, ja dafür um beim nächsten Mal in der Konkurrenz teilnehmen zu können, überhaupt erst einmal am Leben gehalten werden muss. Das heißt, die kriegt dann Aufträge die nur deshalb ausgelöst werden, weil diese Firma beim letzten Großauftrag nicht berücksichtigt wurde. Wenn man das nicht tun würde hätte man schnell durch die ja geringer werdenden Aufträge auch eine Tendenz zur Monopolisierung dann wird eben das Unternehmen das den letzten Großauftrag bekommen hat, das jenige sein das überlebt."
Kein Wettbewerb und Monopolstellung
Pest oder Cholera. Monopol oder überteuerter Wettbewerb der keiner ist. Die Wirtschaftswissenschaftler Keynes, Clark und Smith schütteln ratlos mit dem Kopf.
Bartels: "Wenn Sie so wollen, die Monopole werden dann im Nachhinein dann geschaffen. Sie wählen eine Firma aus, sagen der aber sie muss die andere Firma mit ins Geschäft holen, damit die weiterleben kann."
Warum stellt der Staat seine Rüstungsgüter nicht selbst her? Joachim Krause begründet das mit marktwirtschaftlichen Überlegungen:
"Gut, es gibt immer ein Alternativmodell, das ist, dass der Staat die Rüstungsgüter selber herstellt. Das haben wir ja in viele staatssozialistischen Ländern gehabt. Aber in westlichen Demokratien ist es eigentlich üblich, dass Waffen nicht vom Staat hergestellt werden. A, weil dann die Waffen erstens sehr viel schlechter und sehr viel teurer werden als normalerweise das der Fall ist. Und weil man die ganzen Synergieeffekte die aus der zivilen Industrie kommen können, dadurch sich verwirken würde. Und diese Synergieeffekte sind eigentlich die, die aus der normalen Industrie in die militärische Technologie hinübergehen und umgekehrt."
Die Rüstungsbranche in der Hand des Staates. Das kennt man auch aus westlichen Demokratien.
Bartels: "Ich glaube die Erfahrungen mit Staatskonzernen, die wir auch in Frankreich beobachten können, sind nicht so, dass dies die effektivste Art ist zu produzieren. Da haben sie ehr noch vervielfältigt das Problem auszulasten selbst wenn sie keine Aufträge haben. Selbst wenn Sie jetzt nicht für eigenen Bedarf etwas brauchen und dann werden Exporte genehmigt. Weil eben die Auslastung hochgehalten werden muss. Die, wenn man das nach politischen Gesichtspunkten tun kann, nie genehmigen würde."
Planwirtschaft hieß das bis vor 25 Jahren.
Der Kunde ist König. Er bestimmt was er will. Der Kunde will viel. So viel, dass er am Ende den Überblick verliert. So viel, dass er eine Firma beauftragen muss, die ihm erklärt, warum seine Bestellungen so teuer geworden sind. Die Wirtschaftsprüfer von KPMG, ein Ingenieursbüro und eine Anwaltskanzlei haben im Auftrag von Ursula von der Leyen einen 1500-seitigen Mängelbericht über die Großprojekte der Bundeswehr angefertigt. Für die Öffentlichkeit sind davon 52 Seiten einsehbar. Über den Schützenpanzer PUMA schreiben die Prüfer zum Beispiel:
"Besonderer Wert wurde auf die Fähigkeit zum Lufttransport im zukünftigen Transportflugzeug A400M gelegt. Dieses systembestimmende Merkmal erforderte einen erheblichen Konstruktionsaufwand und technische Innovationen. Der Transport im A400M erfordert eine vorherige Demontage der seitlichen Panzerung sowie der Motorraumabdeckung. Die gleichzeitige Verlegung eines Panzergrenadierzuges erfordert daher sechs A400M; zwei von vier Kompanien eines Panzergrenadierbataillons ließen sich folglich nur unter Inanspruchnahme der gesamten zukünftigen A400M‐Flotte parallel im taktischen Lufttransport verlegen."
Als man den Schützenpanzer PUMA in den 90er-Jahren in Auftrag gab, wurde noch nicht an die Transportfähigkeit im A400M gedacht. Diese Anforderung wurde nachträglich gestellt. Anforderung erfüllt. Nur leider muss der Panzer vorher auseinandergebaut werden, um ihn transportieren zu können. Fehlplanung. Wie kann so etwas passieren?
Die Prüfer sagen mit Blick auf die untersuchten Rüstungsprojekte, dass viel zu viele Menschen in viel zu vielen Behörden zuständig sind. Zum Beispiel das „Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr". Auf der Website des BAAINBw steht, man sei zuständig für:
„... die Entwicklung, die Erprobung, die Beschaffung und das Nutzungsmanagement von Wehrmaterial. Dem ... Amt obliegt dabei die Durchführung aller Rüstungsprojekte."
Allein im BAAINBw sind fast 10.000 Mitarbeiter beschäftigt:
"Die Prozesslandschaft zur Steuerung von Rüstungsprojekten wird ihrem Anspruch nicht angemessen gerecht, Großprojekte nach Zeit, Kosten und Leistung zu steuern. sowie übergeordneten strategischen Zielen gerecht zu werden."
Prozessmanagement. Ein Zauberwort aus der Wirtschaft. Die Berater finden:
"Ein klassisches Prozessmanagement ist nicht erkennbar."
Projektmanagement. Noch ein Begriff aus der Wirtschaft. Die Unternehmensberater lassen kein gutes Haar an der Politik und ihren Entscheidungen.
"... der den Beschaffungsprozess begleitende Projektmanagementprozess ist für zentrale Projektmanagementdisziplinen nicht ausreichend dokumentiert und dadurch nicht genügend handlungsleitend."
Das Versagen der Politik
Soll heißen: Keiner hat wirklich darauf geachtet, was wann wer wo braucht. Das ist eine komplexe Aufgabe. Aber es ist der Job der Politik, der Ministerien und ihrer vielen Mitarbeiter. Nicht wenige Mitarbeiter sind Juristen. Doch:
"Dem Bund gelingt es häufig nicht, seine Kosten, Termine und Leistungsziele gegenüber dem Auftragnehmer durchzusetzen. Sie werden häufig bereits bei Vertragsschluss nicht ausreichend verankert. ... Dazu kommt der Verzicht auf die von Beginn an kontinuierliche Begleitung solcher Projekte durch erfahrene Juristen."
Der Kunde ist eben nicht nur König, sondern trägt auch die Verantwortung für den erfolgreichen Ablauf. Egal, wer im Ministerium in den vergangenen Jahren den Hut aufhatte. Mit Ruhm hat sich hier keiner bekleckert.
Kann man mit der Rüstungsindustrie ins Gespräch kommen?
Der Panzerhersteller Krauss Maffei Wegmann ist so etwas wie der Star der Branche. Und schweigt. Frank Haun, Geschäftsführer der Panzerschmiede hatte uns, wir erinnern uns auf der Strategiekonferenz in Berlin ein Interview versprochen. Aber Hand drauf. Nach vielen E-Mails und Telefonaten endete es mit einem Brüllen. Dr. Kurt Braatz. „Presseoffizier" des Unternehmens, war nicht angetan, dieses Interview zu organisieren. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München gegen Frank Haun wegen Steuerhinterziehung und gegen Krauss Maffei Wegmann wegen des Verdachts auf Schmiergeldzahlungen lassen auch ein Nervenkostüm aus Kruppstahl schwächeln.
Doch dann redet doch einer: Burkhart von Braunbehrens. Ende der 1960er-Jahre war er aktiver Kommunist. Später erbte er Anteile an der verschwiegenen Panzerschmiede Krauss Maffei Wegmann. Er wollte Verantwortung übernehmen und ließ sich in den Aufsichtsrat wählen. Er sprach sich öffentlich gegen den Export des Leopard II nach Saudi Arabien, aus. In einem Bahnhofsrestaurant in Frankfurt am Main redet er über seine Ansichten und Erfahrungen:
"Deutschland ist nun mal die stärkste Wirtschaftsmacht in Europa und braucht ein effektives Militär. Meines Erachtens geht es nicht ohne."
Klare Worte. Und harte Kritik an der Politik.
Braunbehrens: "Also wir haben in Deutschland ja generelle Probleme das diese ganzen wehrtechnischen Fragen und verteidigungspolitischen Fragen ungern diskutiert werden, was man verstehen kann aus unserer Geschichte. Auf der anderen Seite sind wir in einer weltpolitischen Position, zumindest in einer Position innerhalb Europas wo wir uns das eigentlich nicht leisten können. Und wir müssen eigentlich eine offene Debatte führen, in der die Politik eigentlich führend sein muss und die Politik verpisst sich auch um unpopuläre Fragen herum."
Zumindest ist Schwung in die Debatte gekommen. Viele Firmen kämpfen um ihre Existenz. Die von der Industrie gern genutzte Drohung der "Abwanderung ins Ausland" hat auch die Rüstungsindustrie gebracht. Doch hier schießt sie mit Platzpatronen.
Krause: "Aber ansonsten ist das kein besonders großer Industriezweig. Das ist richtig. Man rechnet, dass etwa 100.000 Menschen in der wehrtechnischen Industrie und in der Sicherheitsindustrie tätig sind. Plus 100.000 bis 120.000 Arbeitsplätze im Zuliefererbereich. Der ist nicht zu vernachlässigen, aber andererseits ist es auch nicht einer dieser ganz großen Sektoren wie der Automobilindustrie oder die Chemieindustrie."
Von der Leyen: "Die Bundeswehr beschafft, was sie braucht, und nicht, was ihr angeboten wird."
Wenn der Druck in einem Kessel steigt gibt es zwei Möglichkeiten. Er explodiert oder der Druck wird abgelassen. Aber es kommt Bewegung in den Markt, auch dank einer neuen Ministerin, meint Burkhart von Braunbehrens:
"Da sind wir gerade in einem interessanten Umbruch. Und ich glaube, dass da die aktuelle Verteidigungsministerin große Verdienste hat als das sie Regeln der Industrie einfordert, auch in diesem Bereich. Und ich denke das ist sehr heilsam."
Ob künftig die Rüstungsproduzenten das Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen bei Geschäften nicht mehr über den Tisch ziehen, bleibt abzuwarten.
Die Zeiten haben sich geändert
Heilsam für die Rüstungsbranche könnten allerdings aktuelle politische Entwicklungen werden. Terror durch den IS und Krisen im Nahen Osten. Das Verhältnis zu Russland ist angespannt. Die Besetzung der Krim verunsichert. Die Situation in der Ukraine: bedrohlich. Vielleicht sind die Zeiten sinkender Wehretats in Europa bald vorbei. Panzer seien wieder gefragt, heißt es bei Krauss-Maffei. Schon sprechen Unternehmen wie Rheinmetall wieder von „guten Aussichten". Geschäftlich. Versteht sich.
Die regulären marktwirtschaftlichen Kriterien taugen nicht für den Rüstungsmarkt. Aber was könnte den Markt überschaubarer und effektiver werden lassen?
Bartels: "Effektiv wären größere Einheiten. Also wenn diese Firmen, die in der gleichen Sparte anbieten, sich erstmal in Deutschland zusammenschließen würden, wenn wir in Deutschland konsolidieren, wir haben zu viele Firmen, die Landschaft ist zu kleinteilig. Und wenn diese Firmen dann auch europäischer würden, sich auch mit europäischen Firmen im gleichen Bereich zusammentun würden, sodass wir am Ende einen europäischen Rüstungsmarkt haben. Da könnten ja durchaus mehrere konkurrierende Wettbewerber sein, aber die Zahl derer, die dann Aufträge zu vergeben haben, wären eben deutlich größer, 28 Staaten in der Europäischen Union, als ein Staat."
Einheit. Politik und Hersteller harmonisieren bei diesem Gedanken.
Adamowitsch: "Also einmal sind wir schon daran interessiert im Grunde genommen das im europäischen Bereich, viel stärker harmonisiert wird. Es macht keinen Sinn ein Flugzeug mit 400 Maschinen auf den Markt zu bringen die werden bestellt und letztendlich verbergen sich hinter den 400 Maschinen 5 unterschiedliche Flugzeuge."
Burkhart von Braunbehrens ist nach seiner Kritik am Saudi-Arabien-Deal aus dem Aufsichtsrat von Krauss Maffei Wegmann rausgeflogen, hat seine Aktienanteile mittlerweile abgegeben. Zu groß war ihm die Last. Befreien wollte er sich von seinem schweren Erbe. Trotzdem lässt ihm das Thema bis heute keine Ruhe. Und auch er sieht eigentlich nur einen Weg für die Branche.
Braunbehrens: "Deshalb ist eine Konzentration, und in dem Fall muss man sagen Konsolidierung notwendig, um die kommt man nicht drumrum. Es sind bisher nur Geschäfte gewesen die einigen Firmen Aussicht gegeben hat das zu umgehen. Und es ist natürlich schöner alleine Profit zu machen als mit anderen zusammen."
Gewinne wurden in der Vergangenheit ja mit der Gießkanne verteilt. Aber nun werden Firmen gezwungen sich zusammenzuschließen. Schon jetzt produzieren KMW und Rheinmetall auf hohem Niveau gemeinsam gepanzerte Fahrzeuge. Eine gute Grundlage noch enger zusammen zu arbeiten. Die viel beschworenen Synergie-Effekte werden genutzt. Doch anstatt Gespräche zu führen, versucht KMW, seit Monaten mit dem französischen Hersteller NEXTER zu fusionieren.
Braunbehrens: "Halte ich für ein sehr fragwürdiges Manöver, was auch nicht günstig ist für die Entwicklung, was eine notwendige Entwicklung weiter verzögert. Ich bin überhaupt nicht sicher, ob das zustande kommen wird. Weil meines Erachtens die keine Synergieeffekte bringt. Die produzieren einfach sehr ähnlich und KMW ist technologisch in vielen Bereichen ein bisschen besser. Und ich sehe da keinen Vorteil von. Und mit Rheinmetall gibt es diese Zusammenarbeit, die ja auch funktioniert."
Man steht sich selbst im Weg. Einzelne Interessen haben eben Vorrang. Auch bei KMW.
Braunbehrens: "Man muss einfach auch davon ausgehen das Familieninteressen und man will Kontrolle im eigenen Haus behalten und all diese traditionellen und traditionalistischen Argumentationen, die man hat, wenn man so eine starke Position hat, wenn man die verteidigen will. Und wenn man auf so einem hohen Ross gelassen wird und sich das leisten kann und bisher konnte man das aufgrund der Beschaffungspolitik... ist man damit erfolgreich gewesen."
Der Ausweg: Europa!
Adamowitsch: "Deswegen brauchen wir eine viel stärkere politische Diskussion in Europa. Nicht nur die Frage von gemeinsamen Streitkräften. Ich glaube, das dass nicht realistisch ist. Aber wir brauchen eine Diskussion, das eine Harmonisierung im Beschaffungsbereich in Europa eintritt."
Eigentlich ist es ganz einfach. Ob man Geschäfte nun in Europa, Asien oder der ganzen Welt abwickelt.
Braunbehrens: "Insgesamt muss dieses System gestrafft werden und es müssen sowohl von der Politik als auch von Seiten der Industrie muss man sich gewöhnen an ganz normale Konkurrenzbedingung. Man muss innerhalb einer bestimmten Frist eine bestimmte Aufgabe erfüllen, die optimal und die muss dann funktionieren. Und zu einem bestimmten Preis."
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