Wechselwirkung zwischen Globalisierung und Nationalisierung

08.02.2007
Globalisierung ist keineswegs ein neues Phänomen. Der Berliner Historiker und Volkswirtschaftler Sebastian Conrad zeigt in einer umfangreichen Studie, dass vergleichbare Prozesse bereits im 19. Jahrhundert einsetzten. Doch während heutzutage der länderübergreifende Handel eher staatliche Grenze abbaut, förderte er damals nationalstaatliche Abschottung.
"Made in Germany" - heute gilt diese Markierung von Waren als Gütesiegel, als Nachweis hervorragender Qualität. Ursprünglich war sie ein Zwang. Kaum jemand erinnert sich, dass Großbritannien 1887 mit dem "Merchandise Marks Act" die Herkunftsbezeichnung von Industrieprodukten vorschrieb. Die Maßnahme richtete sich gegen internationale und vor allem deutsche Konkurrenz. Deren Produkte sollten damals stigmatisiert werden. Denn es öffneten sich die Gütermärkte in großem Umfang und ungehindert zirkulierten Waren über nationale Grenzen hinweg. Ein Phänomen, das wir heute als Globalisierung kennen.

Sebastian Conrad, studierter Japanologe, Volkswirtschaftler und Professor für Geschichte am Berliner Friedrich-Meinecke-Institut, beschreibt in seinem neuen Buch ausführlich die Formen der Globalisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Speziell geht er ein auf die Wechselbeziehung von Globalisierung und Nationalisierung. Offene Märkte erfordern Protektion nationaler Produkte, die sich wiederum in Konkurrenz mit anderen erst weiterentwickeln.

Das Hauptaugenmerk richtet Conrad auf die Verhältnisse im deutschen Kaiserreich. Wir befinden uns in der Epoche des Hochimperialismus, der wirtschaftlichen und politischen Konkurrenz europäischer Kolonialmächte, des Anschwellens von Nationalbewusstsein - welches seinen (selbst)mörderischen Höhepunkt im Ersten Weltkrieg finden sollte.

Nationalismus und Globalisierung, möchte man meinen, schließen einander aus. Conrad nun beschreibt Nationalismus als wichtigen Faktor der Globalisierung. Und die wiederum als Schubkraft bei der Radikalisierung nationaler Identität. Für ihn prägt eine dialektische Beziehung das Verhältnis zwischen Globalisierung und Nationalisierung.

Dementsprechend betrachtet er in seiner Studie die deutsche Geschichte aus globaler und nicht allein aus nationalstaatlicher Perspektive. Das erweitert den Verständnishorizont, zumal der Autor seine Sicht der Dinge ausdrücklich als ergänzende Betrachtungsweise anbietet, nicht als einzig gültige.

Ein beispielhaftes Phänomen für die Einwirkung der Globalisierung auf nationalstaatliche Prozesse sieht er auf dem Feld der Migration. Im Umgang des Kaiserreichs mit Einwanderern, auch im Verhältnis von deutschen Auswanderern und "Mutterland", erkennt er eine Parallelität von "Entgrenzung und Re-Lokalisierung". Mobilität wurde nicht nur als Fortschritt, sondern auch als Bedrohung der eigenen nationalen Identität begriffen. Conrad zeigt auf, wie stark diese gerade in Deutschland durch Arbeit gestiftet wurde. Ob Kolonialisten, Missionare oder Auslandsdeutsche - alle definieren ihr "Deutschsein" um den Begriff der "Deutschen Arbeit" - in Abgrenzung zu "arbeitsscheuen" Afrikanern, Chinesen oder Polen. Der Arbeitsbegriff wird aufgewertet - und mit ihm die Nation: "Made in Germany".

"Vor allem aber war der Begriff kulturell aufgeladen und meinte mehr als den bloßen Einsatz von Arbeitskraft. Berichte über "Deutsche Arbeit in Kleinasien", in Bolivien oder Brasilien, im Kaiserreich gang und gäbe, schilderten eben nicht nur die wirtschaftliche Tätigkeit, sondern berichteten zugleich von einer Kulturleistung."

Conrad verweist immer wieder darauf, dass Folgen der Globalisierung nicht nur Angleichung und Assimilation sind, sondern auch Abgrenzung und Fragmentierung. Deutlich macht er das am Beispiel des deutsch-polnischen Verhältnisses, in dem seit Mitte des 19. Jahrhunderts die jeweils eigene Identität in Opposition zum Gegenüber konstruiert wird, obwohl, oder gerade weil es hier zu einer starken Durchdringung und Vernetzung kam.

Seit den 1880er Jahren waren rund 500.000 "Ruhrpolen" in die Industriestädte des Ruhrgebiets eingewandert. In den preußischen Ostprovinzen gab es eine polnischsprechende Mehrheit. Der Import polnischer Saisonarbeiter in der preußischen Landwirtschaft war Bedingung für deren Bestehen. Doch löste der grenzüberschreitende Austausch von Arbeitskräften - im Jahr 1913 waren über 360.000 Ausländer in der preußischen Landwirtschaft tätig - nationalpolitische Vorbehalte und verstärkte Kontrollmaßnahmen aus. Mit fortschreitender "Vermischung" wuchs die Angst vor "Überfremdung". Grenzkontrollen wurden verschärft, Identitätskarten für Arbeiter eingeführt, ihre Freizügigkeit eingeschränkt.

Conrad führt aus, dass auch die deutsche Polenpolitik immer stärkere Züge eines Kulturkampfes annahm und zunehmend als "koloniale Frage" wahrgenommen wurde. Das in den Kolonien "erprobte" rassistische Element, Produzenten "Deutscher Wertarbeit" versus faule, arbeitsscheue "Neger", tritt deutlich hervor - und ließe sich in abgewandelter Form bis zu den heute beliebten Polenwitzen verlängern.

Conrads Untersuchung der "Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich" verbindet auf intelligente Weise Kultur- und Wirtschaftsgeschichte mit politischer Theorie. Der Autor versteht es, ohne sich der Gefahr platter Analogienbildung auszusetzen, historische Phänomene mit großer Detailbesessenheit zu analysieren - und damit den Blick auf die gegenwärtigen Entwicklungen zu schärfen.

Rezensiert von Carsten Hueck

Sebastian Conrad: Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich
C.H. Beck Verlag, München 2006
445 Seiten, 39,90 Euro