Webserie "Abgedreht"

Schauspiel Dortmund gewährt neue Einblicke

05:26 Minuten
Julia Wissert, neue Intendantin Theater Dortmund, aufgenommen am Rande einer Pressekonferenz auf einem Stuhl sitzend. Das Theater Dortmund stellte heute seinen neuen Spielplan für die Spielzeit 2020/21 vor, die mit neuer Intendantin und neuem Ensemble beginnt.
Die Intendantin des Schauspiels Dortmund hat eine Webserie über das Theater entwickelt und lädt zum Probelauf ein. © picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Von Stefan Keim · 12.12.2020
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In kurzen Episoden zeigt eine Webserie die Gewerke des Theaters und entwickelt darüber hinaus eine fiktionale Geschichte. Den Auftakt gestaltet Intendantin Julia Wissert mit Witz und Selbstironie.
"Herzlich willkommen zu 'Abgedreht', einer Miniserie, die wir in den letzten fast acht Wochen gemeinsam entwickelt haben", so Julia Wissert zum Publikum der Zoom-Konferenz beim Probelauf. Neben einigen Journalisten sind Menschen aus dem Freundeskreis des Theaters Dortmund dabei. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer haben die Kameras ihrer Computer eingeschaltet und zeigen ihre Gesichter. Die anderen Rechtecke bleiben schwarz.
Die Webserie, sagt die Regisseurin, soll in das Innere des Theaters führen und zeigen, was die dort beschäftigen Menschen alles machen. "Gleichzeitig aber auch eine fiktionale Ebene einziehen, um zu zeigen, was Theater eigentlich Fantastisches kann, dass es Zeit und Raum aushebeln kann, dass man in jeder Zeit, in jeder Situation leben kann, wenn man möchte."

Das Bild ist weg

Dann ist es 19 Uhr und es geht los: "Bühne, Publikum, Schauspiel, Leidenschaft – einen Augenblick. Habt ihr was gesehen? - Nein."
Nur der Ton ist angesprungen, das Video nicht. Eine kleine Irritation, der nächste Versuch klappt.
"Wie jeden Tag kommt Julia Wissert morgens zu Fuß zur Arbeit. Seit August 2020 ist sie die Intendantin des Schauspiels Dortmund. - Morgen! Schön dass ihr da seid."
Der Anfang wirkt wie ein mittelmäßiger Imagefilm eines mittelständischen Unternehmens. Oder wie immer noch so mancher Bericht in Kulturmagazinen des Fernsehens. Schlagworte, Klischees und eine supernette Intendantin, mit der das Publikum zunächst eine Probe auf der Studiobühne besucht.
Geprobt wird "La Chemise Lacoste" von Anne Lepper, ein Stück über das elitäre, klassenbewusste Bürgertum, über Macht und Ausgrenzung. Gezeigt wird es mit Puppen in einem Kasperletheater.
Nach einer Minute geht es weiter durch das Schauspielhaus. Im Foyer steht der Schauspieler Ekkehard Freye und rezitiert einen Text des Dichters Rolf Dieter Brinkmann: "Als ich erwachte, war der Park schon voll Lärm, und die Dinge wurden bewegt, schon lange vorher, bevor ich noch richtig erwacht war."

Sogar auf der Toilette

Es ist ein langer Text, deswegen wird im Film schnell vorgespult. Freye geistert weiterhin durch die Episode. Hinter jeder Ecke, sogar auf der Toilette, lauert er. Kaum sieht er Kamera und Intendantin, brinkmannt er wieder los. Ein Verzweifelter auf der Suche nach der letzten Zuschauerin, ein Künstler auf dem Weg, zum Phantom des Schauspielhauses zu werden.
Auf der großen Bühne wird gerade ein Teppich für das Weihnachtsstück "Die Schöne und das Biest" verlegt. Wissert versucht, mit den Arbeitern ins Gespräch zu kommen. Sie reagieren erkennbar verwirrt, wiederholen die Formulierungen aus ihren Fragen, haben erkennbar keine Ahnung, was die Intendantin von ihnen will.
Am Ende der ersten Folge ist Wissert in ihrem Büro angelangt. Oder doch nicht? Die künstlerische Betriebsdirektorin Ulrike Niestradt schaut verwirrt. Etwas stimmt nicht. Das ist der Cliffhanger zur nächsten Episode.
Rasant ist der erste Teil vorbeigegangen, eine über die einzelnen Impressionen herausführende Geschichte ist noch nicht klar geworden. Das Bild wechselt wieder zur Zoom-Konferenz. Wissert erklärt, dass sie sich an der YouTube-Ästhetik des schnellen Inputs orientiert: "Wir machen zwischen fünf und acht Minuten und versuchen so, über die nächsten Folgen, eine längere Geschichte aufzubauen."

Versuch auch für die Zeit nach Corona

Die Regisseurin fragt, was sich die Zuschauerinnen und Zuschauer wünschen. Einer regt ein Laserschwertduell an, ein anderer wünscht sich den Stil von David-Lynch-Filmen. Letzteres scheint den Macherinnen nicht fremd zu sein, denn die spießige Ästhetik des Beginns war natürlich Ironie.
Es geht nicht darum, noch eine von Tausenden Theaterdokus zu produzieren, sondern um Irritationen und surreale Momente. Die Intendantin wird zum Beispiel in den kommenden Folgen auch von anderen aus dem Ensemble gespielt.
Wie gelungen diese Webserie ist, lässt sich nach der ersten Episode noch nicht beurteilen. Wissert sagt, "Abgedreht" sei ein erstes digitales Experiment, dem weitere folgen werden. Auch wenn auf den Bühnen wieder gespielt werden darf.
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