"We Want Plates"

Der neue Teller zur neuen Cuisine

05:49 Minuten
Ein modern angerichteter, tiefer Teller mit einem Rote Bete Türmchen und Bittersalat.
Ein modern angerichteter, tiefer Teller mit einem Rote Bete Türmchen und Bittersalat. © Rutz / Ricarda Spiegel
Von Marietta Schwarz · 10.12.2019
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Der weiße Teller stirbt aus: Es ist nicht mehr chic, die Suppe, den Hauptgang und die Schale für den Nachtisch mit dem immer gleich weißen Geschirr zu präsentieren. Doch es gibt auch Anzeiger dafür, dass die weißen Klassiker wieder in Mode kommen.
Vielleicht kennen Sie ja auch diese Website "We Want Plates", wo Menschen weltweit Fotos von ungewöhnlich serviertem Essen posten: Frittierte Kroketten im Sneaker. Würstchen auf Klemmbrett. Spiegeleier auf Garten-Schaufel. "We Want Plates" ist ein großer Spaß, gerade weil es doch ziemlich erschütternd ist, was im Gastro-Bereich alles unternommen wird, um Aufregung und Aufmerksamkeit zu erzeugen - und das nicht nur im niedrigen Preissegment.
Als ich vor kurzem wieder über den Leipziger Sternekoch Peter Maria Schnurr las, der ein Dessert auf Flip Flops serviert, dachte ich: Warum sind die weißen eigentlich die Standard-Teller als Basis fürs Essen, zumal die weißen so unattraktiv geworden sind? "Un-Teller" nennt der Chef der Weinbar Rutz, Marco Müller, die weißen Teller. Das "Rutz" ist eine der besten Gourmet-Adressen mit zwei Sternen in Berlin. Und dort wird alles auf handgemachter Keramik in Naturtönen serviert. Selbst der Espresso. Vor allem auf den dunklen Untergründen kämen die Farben des Essens besser zur Geltung, meint Marco Müller.

Der Entwurf? - So etwas wie ein Stein!

Aber was ist das, das ist ja kein Teller, oder würden Sie das noch Teller nennen? Und Marco Müller antwortet: "Hier war die Grundidee, so etwas wie einen Stein zu entwerfen." Die Platte vor uns hat tatsächlich Steinoptik. Sie ist flach, daumendick, ohne Rand, aber mit unterschiedlichen Wölbungen. Man könnte sagen: Unpraktisch, denn die Platte ist schwer zu greifen und Flüssiges fließt leicht seitlich runter.
Egal! Es gehe darum, mit anderen Formen und Oberflächen die Sinne anzuregen, sagt Marco Müller.
Und er bekommt Zustimmung: "Dem kann ich durchaus etwas abgewinnen, obwohl ich die meiste Zeit meines Berufslebens mit weißem Porzellan zu tun hatte, und das auch besonders gut für Nahrung geeignet ist...", sagt Barbara Schmidt. Sie ist Porzellangestalterin und lehrt an der Kunsthochschule Weißensee Design. Sie hat bereis mehrere weiße Serien für die Firma Kahla entworfen. Derzeit gebe es eine Neigung zu individuellen Lösungen und zum Handwerklichen.

Der weiße Teller als Leinwand

Aber das weiße Porzellan - "weißes Gold" hat man es mal genannt - habe eben auch unschlagbare Eigenschaften, sagt Barbara Schmidt: "Das helle bietet einen schönen Kontrast zum Essen, und die Oberfläche ist wahnsinnig hygienisch, und es klingt angenehm, wenn man mit Metall rankommt, oder auch mit den Händen, man hat das Gefühl, es ist ein hochwertiges Material."
In der ungefähr 300-jährigen Geschichte der Porzellanproduktion in Europa haben sich zwei Grundformen beim Teller herausgebildet: Die sog. "Coup"-Form, mit großer Fläche und wenig Rand. Auf so einen Teller passt viel Essen drauf. Wenn es hingegen wenig ist, wie in guten Restaurants, wird es wohlüberlegt mit Leerräumen dazwischen auf den Teller komponiert. Der andere Tellertyp setzt sich aus "Kessel" und "Fahne" zusammen. "Der Kessel ist der Teil, auf den Essen gelegt wird, und die Fahne ist der abstehende Rand, den man dann auch anfassen kann und man hat auch einen schönen Rahmen um das Essen herum, aber man verschenkt auch Platz", was aber gerade die gehobene Gastronomie nicht stört. Dort wird der Rand, also die "Fahne", immer breiter.
"Dieser Teller hier ist 32 Zentimenter im Durchmesser, aber innen nur 16 Zentimenter. Den benutze ich für Hauptgerichte. Der Fokus geht dann ganz stark aufs Essen", sagt Gal Ben Moshe. Er betreibt das PRISM Restaurant in Berlin Charlottenburg. Anders als viele seiner Kollegen hat er keine Lust auf Keramik-Geschirr und benutzt ausschließlich weißes Porzellan: "Ich mag die Idee, dass der weiße Teller wie eine unbemalte Leinwand ist. Und alles, was ich drauf setze, leuchtet."

Vasenähnliche Gefäße für Flüssiges

Auf den Tisch kommen im Restaurant "Prism" selbstverständlich nicht irgendwelche Teller. Alles ist wohlfeil ausgewählt bis hin zu vasenähnlichen Gefäßen für Flüssiges, damit auf dem gedeckten Tisch auch so etwas wie eine Landschaft, eine Topografie, entsteht: "Die Vorstellung, dass der Tisch eine flache Oberfläche ist, gefällt mir nicht. Es muss aufregend sein, wie jeder Teller, jedes Gefäß unterschiedlich hoch platziert ist. Wie ein Spielplatz!"
Er habe in der Vergangenheit ziemlich viel ausprobiert, gesteht Gal Ben Moshe etwas verschämt ein: Essen direkt auf dem Tisch serviert zum Beispiel, ohne Geschirr: "There is not a good excuse for this, I was young and stupid." Etwa: Essen auf Besteck gespießt. Essen auf Holz, Metall, Glas und Silikon serviert. Doch in der Praxis habe sich das nicht bewährt: "Etwas kühlt zu schnell ab, die Haptik stimmt nicht. Es lässt sich nicht ordentlich anrichten." Am Ende, sagt Gal Ben Moshe, spreche eben doch sehr viel für den weißen Porzellanteller.
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