"We need to talk about Kevin"

Von Hannelore Heider · 15.08.2012
Im gleichnamigen Bestseller von Lionel Shriver schreibt Eva Briefe, im Film "We need to talk about Kevin" sind es Rückblenden, die erzählen, was Eva mit ihrem Sohn durchstehen musste - und woran sie fast zerbricht.
Wer den gleichnamigen Bestseller der amerikanischen Schriftstellerin Lionel Shriver gelesen hat weiß, was ihn mit dieser Literaturverfilmung erwartet, auch wenn die schottische Regisseurin Lynne Ramsay eine eigene, dem Kino adäquate Dramaturgie und Bildsprache gefunden hat.

Im Roman schreibt Eva Briefe an ihren Ehemann und mit diesen eher Selbstgesprächen gleichenden Beschreibungen versucht sie etwas zu bearbeiten, was so schrecklich und - der Leser spürt es von der ersten Zeile an - nicht zu überleben ist. Aber Eva hat die Katastrophe, die über ihre Familie gekommen ist, überlebt, als einzige. Sie ist völlig allein, täglich bestraft von einer Gesellschaft, die ihr die Schuld gibt an der schrecklichen Gewalttat ihres Sohnes Kevin.

Der Film überträgt die Abrechnung in den Briefen in Rückblenden, die so nüchtern wie der Briefreport im Roman, erzählen, was passiert ist, das Furchtbarste ganz am Ende. Es ist das Drama in ihrem Kopf, das den Zuschauer fast zwei Kinostunden lang schockiert und es ist schwer, sich eine andere Darstellerin für diesen schauspielerischen Gewaltakt vorzustellen, als Tilda Swinton.

Nicht zum ersten mal spielt sie eine Mutter, die mit dem scheinbar ja so natürlichen Zustand des Elternseins in dramatisches Bedrängnis kommt, aber noch nie war die Herausforderung so groß. Sie liebt einen Mann, sie wird schwanger, sie will sich freuen und sie kann es nicht. Als der Sohn Kevin schon als Baby mit allen Lebensäußerungen und als Heranwachsender (Ezra Miller) mit vollem Sadismus die Mutter ablehnt und ihr Ehemann Franklin (John C. Reily) ihr in diesem bedrohlichen Zustand nicht helfen kann, läuft ein Albtraum ab, der so lange dauert, bis der Sohn als halbwüchsiger im Gefängnis sitzt, schuldig einer Tat unvorstellbaren Ausmaßes.

Ihre Besuche im Gefängnis, ihre Versuche, den Sohn zu verstehen, ihm wenigstens näher zu kommen, sind aussichtslos, sie verlängern nur das Martyrium, das diese beiden, von der Natur als engste Gemeinschaft gedachte Wesen, immer verbunden hat. Ihre Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet, keine Erklärung für die Tat des Jungen, keine psychologische Einfühlung in ihre Schuld, wenn es denn eine gibt.

Damit stellt der Film mit brutaler Direktheit eines der letzten Tabus ohne Ausflüchte und Umwege ins Zentrum. Er erzählt ruhig, aber das was sich Menschen hier antun, welche Höllenqualen sich in Seelen abspielen können, reißt die Farbe Rot in vielen Szenen immer wieder auf - als Provokation und moralische Herausforderung für den Zuschauer.

USA,GB 2011. Regie: Lynne Ramsay. Darsteller: Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller. 110 Minuten, ab 16 Jahren.

Filmhomepage "We need to talk about Kevin"
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