Wau-Holland-Stiftung

Hacker im Ehrenamt

08:34 Minuten
Wau Holland vor seinem Arbeitsgerät 1984.
Pionier im Kampf um Informationsfreiheit: Wau Holland, Mitgründer des Chaos-Computer-Clubs. © picture-alliance / dpa
Von Anna Loll · 19.09.2020
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Wau Holland war Hacker und Mitbegründer des Chaos Computer Clubs. Eine nach ihm benannte Stiftung unterstützt neben Projekten zur Informationsfreiheit die Verteidigung von Whistleblowern wie WikiLeaks-Gründer Julian Assange. Anna Loll weiß, warum.
In einer ruhigen, saubergeputzen Seitenstraße in Berlin-Mitte hat im Hinterhof eine kleine Stiftung ihr Berliner Büro: die Wau-Holland-Stiftung. Unbedeutend ist sie jedoch nicht. Im Gegenteil. Sie macht Weltpolitik. Denn neben einigen anderen Dingen bezahlt sie die Anwälte von Julian Assange.
Der 49-jährige Australier steht gerade in London vor Gericht. Seit zwei Wochen wird darüber verhandelt, ob Großbritannien ihn an die USA ausliefern kann – beziehungsweise will – wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente. Die Amerikaner nennen das Spionage.
Ein Plakat mit dem Konterfei Julien Assanges fordert seine Freilassung.
Angeklagt: Julien Assange lebte bis 2019 in der ecuadorianischen Botschaft in London. © picture alliance / NurPhoto / Alberto Pezzal
Tatsächlich ist der Fall größer als nur die Person Assange. Es handelt sich um einen Präzedenzfall. Denn wenn Aktivist und WikiLeaks-Chefredakteur Assange ausgeliefert wird, dann könnte das bedeuten, dass im Prinzip auch jeder Journalist – egal aus welchem Land – fürchten muss, für die Veröffentlichung von geheimen US-Dokumenten lebenslang in ein Hochsicherheitsgefängnis zu kommen. Zu Haftbedingungen, die Amnesty International als Folter bezeichnet.

Nicht einschüchtern lassen

Die Obama-Regierung klagte Assange nicht an, weil sie sonst auch die investigative Arbeit der Journalisten der New York Times, des Guardian oder des Spiegels kriminalisiert hätte. Die Trump-Administration mit Mike Pompeo, dem ehemaligen CIA-Chef als Außenminister, sah das dann anders. Der Wind hat sich gedreht und der Ton ist hart geworden. Doch die Unterstützer der Arbeit von WikiLeaks lassen sich nicht so leicht einschüchtern, auch wenn sie nicht immer laut daherkommen.

Feste Mitarbeiter gibt es keine

Das Berliner Büro der Wau-Holland-Stiftung liegt unweit der Spree, im Hinterhaus eines herausgeputzten Gründerzeitgebäudes. Im Hof plätschert ein Springbrunnen zwischen grün-verblühenden Hortensien.
Im Souterrain sieht es jedoch dann etwas mehr nach Hackern aus: Dicke Kabel liegen auf dem Tisch für eine gute Internetverbindung, an der Wand stehen abgewetzte Ledersofas, im Regal Goethe neben Handbüchern über Hochfrequenz-Elektronik, der Teppich ist fleckig.
Benannt ist die Stiftung nach einem der Gründer des Chaos Computer Clubs, Wau Holland. Das Vermögen umfasst 62.000 Euro. Der fünfköpfige Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Feste Mitarbeiter gibt es keine. Trotzdem wagt sich die kleine Organisation an große politische Themen.
Neben Projekten wie das Informationsfreiheitsprojekt "Frag den Staat" oder das freie Desktop-System "Gnome" unterstützt die Stiftung durch Spendensammlungen Edwards Snowden und Chelsea Mannings juristische Verteidigung sowie einzelne Veröffentlichungen von WikiLeaks. Seit letztem Jahr hat sie außerdem die Kosten für Julian Assanges Verteidigung in London übernommen. Andy Müller-Maguhn erklärt den Gedanken dahinter:
"Selbstverständlich ist das für uns ähnlich wie bei Edward Snowden: Er hat sich einfach für die Menschheit verdient gemacht und natürlich braucht er Geld für seine Anwälte. Unter dem Aspekt fördern wir jetzt seine Verteidigung."

Ein formaljuristischer Drahtseilakt

Seit 2019 hat die Wau-Holland-Stiftung rund 250.000 Euro für Assanges Prozess gesammelt. 150.000 Euro hat sie bereits für Anwaltskosten ausgegeben. Die Spenden sind dabei immer zweckgebunden und werden feinsäuberlich verbucht.
Assange als Person werde allerdings nicht gefördert. Das Geld werde für die juristische Verteidigung der Veröffentlichungen gegeben, die Assange als Chefredakteur von WikiLeaks verantwortete – ein kleiner, aber wichtiger Unterschied. Die Wau-Holland-Stiftung würde außerdem auch nicht WikiLeaks als Organisation unterstützen. Nur ausgewählte Publikationen.
Schreibtisch mit einem Schild, das vor Audio-Überwachung warnt und darum bittet, keine sensiblen Gespräche zu führen.
Bei der Wau-Holland-Stiftung ist man eher vorsichtig.© Anna Loll
Diese Sorgfalt, um nicht zu sagen Erbsenklauberei, hat einen Grund: 2010 hatte die Wau-Holland-Stiftung ihre Gemeinnützigkeit vorübergehend verloren.

Behörden gegen die Stiftung

Die damals zuständige hessische Stiftungsaufsicht gab formal-juristische Gründe an. Aus E-Mails und dem Schriftverkehr ging dann jedoch hervor, dass dem hessischen Innenministerium die finanzielle Unterstützung für WikiLeaks durch die Wau-Holland-Stiftung ein Dorn im Auge war:
"Wie uns aus der Presse bekannt wurde, unterstützt die o.g. gemeinnützige Stiftung Wikileaks. Sie sammelt für die Organisation Spenden, stellt dafür Spendenquittungen aus und reicht die Spenden an die Aktivisten der Organisation weiter. (...) Ich bitte um stiftungsrechtliche Überprüfung des Vorgangs und Unterrichtung der zuständigen Finanzbehörde im Hinblick auf Anerkennung der Stiftung als gemeinnützig. Über das Ergebnis bitte ich, mich zeitnah zu unterrichten."
Zuständige aus Kassel konnten erst einmal kein Fehlverhalten finden. Aber, so die Reaktion auf das Schreiben des Innenministeriums: "Wenn das Ministerium das so will, sollten wir aber das Finanzamt informieren."

Die Stiftung musste sogar umziehen

"Das hat damals natürlich einen riesigen öffentlichen Wirbel verursacht", beschreibt Müller-Maguhn die damalige Situation. "Durch die Veröffentlichung der diplomatischen Depeschen durch WikiLeaks kam auch die politische Diskussion auf, wie es denn sein könne, dass eine deutsche Stiftung, die auch noch gemeinnützig ist, so etwas unterstützt. Und natürlich haben wir in unserer wunderschönen Bundesrepublik teilweise der US-Regierung nahestehende Kräfte, die, wodurch auch immer motiviert, gemeint haben, das kann ja so nicht sein und dann einen Weg gesucht haben."
Die Verantwortlichen der Wau-Holland-Stiftung allerdings auch. Sie zogen mit der Stiftung nach Hamburg, arbeiteten dort die Satzung noch einmal neu mit Anwälten, dem Finanzamt und der Stiftungsaufsicht aus.

Gelegentliche Unbotmäßigkeit

Die europäische, insbesondere die deutsche Hackerszene um den Chaos Computer Club, schreckt vor dem Streit mit Autoritäten nicht so leicht zurück. Der Grund dafür ist unter anderem Wau Holland. Hier Auszüge aus Interviews aus den 80er-Jahren zu seinem Selbstverständnis als Hacker:
"Ein Hacker versucht, die Regeln eines Systems so gut und umfassend möglich überhaupt zu verstehen. Und wenn er diese Regeln verstanden hat, dann kann er letztlich mit dem System machen, was er will."
Sich "unbotmäßigkeit", also nicht so zu verhalten, wie es von der Obrigkeit gefordert werde, passiere dabei gelegentlich:
"Das lässt sich manchmal nicht vermeiden. Wenn man bestimmte Überlegungen macht und sich an bestimmten, kritischen Stellen und Schwachstellen umschaut und informiert, dann passieren manchmal sehr verrückte Sachen."

"Das kommt aus der Seele in die Tastatur"

Der Funkamateur, der mit bürgerlichem Namen Herwart Holland-Moritz hieß, verstand sich vor allem anderen als Pazifist. Für Frieden, so seine Überzeugung, brauche es über nationale Grenzen hinweg informierte Bürger – und Menschen, die ihnen die notwendigen Daten und Informationen beschafften, also Whistleblower, Hacker und Journalisten.
Geheimdienste, intransparente Regierungen und Unternehmen waren für die Hacker schon immer ein Problem, wie Andy Müller-Maguhn sich erinnert:
"Ich würde es so formulieren, dass WikiLeaks die konsequente Fortsetzung oder Anwendung von Waus Gedankengut war. Natürlich hat es der US-Regierung nicht gefallen, dass ihre Geheimnisse überall im Netz stehen und natürlich gab es technische Angriffe, also den Versuch, das zu verhindern. Und da ist so eine europäische Hackerszene mit von Wau geprägten Wertvorstellungen natürlich das richtige Publikum. Das kommt aus der Seele in die Tastatur, also das passte alles."
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